Süddeutsche Zeitung

Berg am Laim:Warum der Konzertsaal ins Werksviertel muss

Fakten statt Illusionen: Am Ostbahnhof kann früher, billiger, funktionaler und ästhetisch anspruchsvoller gebaut werden - sowie auch konfliktloser.

Kommentar von Gerhard Matzig

In Zeiten, da sich die "Vision" der Hamburger Elbphilharmonie als überteuerter, verspäteter Gernegroßgigantismus herausstellt, plant man besser mit Umsicht - und mit Fakten. Deshalb ist das zentral in Altstadtnähe gelegene Werksviertel ein sehr viel besserer, stadträumlich anspruchsvollerer und somit zukunftsträchtigerer Standort für einen neuen Konzertsaal als die alte Paketposthalle im Niemandsland früherer Bahnbrachen und neuer, schon jetzt depressiv verstimmt erscheinender Banalbüroburgen.

Die Überlegenheit ist seriös belegt

Im gründlich durchdachten AS&P-Gutachten, das nicht aus Visionen, sondern aus Analysen besteht, erhält das Werksviertel 81 von 100 Punkten. Die Paketposthalle erreicht nur 67. Fazit: Im Werksviertel kann der Konzertsaal früher, billiger, funktionaler, stadträumlich vitaler und ästhetisch anspruchsvoller sowie auch konfliktloser gebaut werden als anderswo. Das betrifft etwa die Kosten- und Terminrisiken (Paketposthalle: "hoch"; Werksviertel: "kaum"). Oder die "Standortidentität", womit auch die architektonische und stadträumliche Ausstrahlung gemeint ist (Paketposthalle: "geringe Eignung, mittleres Potenzial"; Werksviertel: "hohes Potenzial"). Kurz: Die Überlegenheit des Werksviertels ist seriös belegt und so signifikant, dass man sich wundert, warum überhaupt noch jemand für eine in allen Belangen schlechtere Lösung votieren mag.

Einen Grund gibt es allerdings: Es ist jener der Illusion. Die computergestützten Renderings von einer der Paketposthalle implantierten Musikstadt, die eine - sich gut auf Kommunikationsstrategien verstehende - Agentur nun schon seit geraumer Zeit streut, sind verführerisch. Aber eben: illusorisch. Das war bei der Elbphilharmonie (neuer Konzertsaal für altes Industriedenkmal) ebenso. Auch dort existierte am Anfang eine einzige, PR-tüchtige Animation, anmutig, flirrend, suggestiv - und die Realität bedeutete dann: exorbitante Mehrkosten, Baugutachten, Anwälte, Stillstand, öffentlicher Hohn . . . Wer das für München verantworten möchte, soll nur weiter an ein paar schnell hingefieberte, medial wirksame Skizzen glauben, in der die Paketposthalle plötzlich nicht mehr aussieht wie eine meterdick zubetonierte, dunkle und patinierte Industriehalle - sondern wie ein zauberhaft luftiges Elysium der Kultur.

München will in angemessener Zeit mit Planungssicherheit und zu vertretbaren Kosten einen großartigen Konzertsaal haben? Bitte, in einem großstädtisch geprägten, lebendigen Werksviertel, bald Hotspot einer Stadt, die zu den großen Musikmetropolen zählt, kann mithilfe eines Wettbewerbs ein grandioser Konzertsaal gebaut werden - der architektonisch und akustisch Weltgeltung haben kann. Wobei die Verzahnung von Kultur und städtischem Alltag, das Überschreiten von Grenzen und Schichten noch dazu kommt. Im Werksviertel, es wird durch die geschickte Nachnutzung früherer, identifikatorisch wirksamer Strukturen so attraktiv und vital sein wie beispielsweise New Yorks Chelsea, lässt sich das scheinbar Elitäre mit dem öffentlichen Raum versöhnen. Es geht um ein Nebeneinander, um Augenhöhe. Das zeichnet eine Stadt im 21. Jahrhundert aus: Sie ist ein Ort der Integration.

Das Konzept

Ein Konzertsaal wäre für Grundstücksbesitzer Werner Eckart der krönende Abschluss seines Werksviertels. Die Betonung liegt auf Abschluss: Denn das neue Stadtquartier wird so oder so gebaut. Auf dem alten Pfanni-Gelände soll ein Mix aus Wohn-, Büro-, Gewerbe-, Gastronomie-, Hotellerie- und Kulturbauten entstehen. Ein Teil davon existiert schon, etwa zwei große Musikhallen, der größere Teil entsteht in den nächsten Jahren. Der Konzertsaal wäre also kein Solitär, sondern eingebettet in dem neuen Stadtviertel. Die Baufläche läge in zweiter Reihe von den Gleisen des Ostbahnhofs. Mit 7200 Quadratmetern ist sie noch nicht einmal halb so groß wie die Paketposthalle. Laut staatlichem Gutachten wäre aber das Raumprogramm des BR plus Musikhochschule umsetzbar, wenn man ein dreistöckiges Gebäude nebst Anbau errichten würde. Werner Eckart verweist zudem auf die umliegenden Musikbühnen und -hallen, die mitgenutzt werden könnten. Ein Knackpunkt sind die Besitzverhältnisse: Grundbesitzer Eckart will nicht verkaufen, sondern dem Staat das Areal nur in Erbpacht zur Verfügung stellen, zu marktüblichen Konditionen, wie es heißt. Da die Fläche derzeit nur als Parkplatz genutzt wird und auch planungsrechtlich keine großen Hindernisse zu erwarten sind, könnte relativ rasch mit dem Bau begonnen werden. Die Gutachter halten einen Start im Jahr 2019 für möglich, eine Fertigstellung Ende 2021. kc

Ein funkelndes Wunderhaus wie das von Kopenhagen

Man kann sich im Werksviertel ein funkelndes Wunderhaus wie das von Kopenhagen vorstellen (Jean Nouvel, Paris) oder eines, das so integrativ und zugleich überwältigend zeichenhaft ist wie die Philharmonie in Stettin (Barozzi Veiga, Barcelona). Man kann sich alles hier vorstellen, einen Quader oder einen Weinberg. Beton, Stahl, Glas. Futurismus oder das backsteinerne Gegenteil. Das Haus könnte angeben oder bescheiden sein: Es wäre an dieser Stelle immer ein vitaler Teil einer Stadt, die sich im Werksviertel endlich mal wieder der eigenen Lebensfähigkeit versichern kann.

Die denkmalgeschützte schöne Industriehalle, in der mal Briefe sortiert wurden, wird immer aussehen wie eine denkmalgeschützte schöne Industriehalle, in der mal Briefe sortiert wurden. Die umgebaute Paketposthalle wäre ein Blick zurück, das Werksviertel wäre ein Schritt nach vorn.

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Quelle:
SZ vom 03.12.2015/sim
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