Berg am Laim:Das Grauen der Maikäfersiedlung

Berg am Laim: Krimibuchautor Harry Kämmerer, hier fotografiert im U-Bahnhof Michaelibad, hat eine Reihe von München-Krimis geschrieben.

Krimibuchautor Harry Kämmerer, hier fotografiert im U-Bahnhof Michaelibad, hat eine Reihe von München-Krimis geschrieben.

(Foto: Robert Haas)

Harry Kämmerer schickt seine Kommissarin Andrea Mangfall auf falsche Fährten durch den Münchner Osten

Von Renate Winkler-Schlang, Berg am Laim

Kriminelle Gegend, der Münchner Osten: Da werden Menschen am U-Bahnhof Michaelibad einfach so vor die einfahrende U-Bahn geschubst, da verfolgt man sich im nebligen Ostpark, Unbekannte fahren einen jungen Mann vor seiner Haustür an der Quiddestraße tot, und Kommissarin Andrea Mangfall wird in einem dem Abbruch geweihten Häuserblock gegenüber der Maikäfersiedlung mit Kabelbindern an eine Heizung gefesselt und allein zurückgelassen. Harry Kämmerer hat dieses Grauen und dann gleich noch einen Mord mit 50 Messerstichen, einen Selbstmord, einen mysteriösen Todesfall beim Kostümfest in einer Burg und ein vom Wind des Polizeihubschraubers ausgelöstes Lawinenunglück in einer Berghütte in seinem neuen Krimi "Absturz" gekonnt zu einer spannend zu lesenden Geschichte verwoben.

Es ist schon der zweite Fall von Andrea Mangfall, der 30-jährigen Kommissarin mit den lockeren Sprüchen und dem musikalischen Bruder. "Filmriss" war der Titel des ersten. Diese neue Reihe erscheint im Berg am Laimer Volk-Verlag, der an sich spezialisiert ist auf Geschichtsträchtiges aus München und seinen Stadtteilen und aus dem Land der Bayern. Doch Verleger Michael Volk freut sich offenbar, sein Programm um diese neue Buchgattung zu erweitern. Hat ja auch mit München zu tun, diese ganze ersonnene Gewalt.

Für Harry Kämmerer, der wirklich so heißt - "kein Künstlername" - war die zufällige Begegnung mit Volk ein doppelter Glücksfall. Zum einen war seine frühere Verlegerin Tanja Graf zur Chefin des Münchner Literaturhauses geworden und ihr Verlag, in dem er seine Mader- und Hummel-Krimis herausgebracht hatte, geschlossen worden, er also auf der Suche. Zum anderen ist der Volk-Verlag nur wenige Schritte von Kämmerers Arbeitsplatz entfernt. Zum Broterwerb arbeitet Kämmerer nämlich in einem ganz anderen Genre: Der Germanist, Anglist und Theaterwissenschaftler, der in Regensburg und Passau aufgewachsen ist und zum Studium nach München gekommen war, ist im Südwestverlag aus der Verlagsgruppe Random, der Ratgeber herausgibt, Programmleiter. "Spirituelles, Darmgesundheit oder Fettleber." Er habe zu tun mit manchmal eitlen Ärzten ("Ich hab die Cher gemacht"), mit Autoren und ihren Wünschen, "wenn sie sich nicht erfüllen". Er lacht: "Weil groß rauszukommen ist eine ganz schwierige Sache." Kämmerer kann gar nicht anders, als bildreich und anschaulich zu erzählen, eindringlich, augenzwinkernd. Nicht umsonst hat er über Satire promoviert.

Der 50-Jährige, der mit Frau und drei Kindern in Haidhausen lebt, sitzt in der Echardinger Einkehr, mitten in der Maikäfersiedlung, und erzählt, dass der Übungsraum, wo er in der Band "KDG" Trompete, Klarinette und Saxofon spielt, an der Quiddestraße in Neuperlach liegt. Mit dem Rad sei er daher regelmäßig durch die Maikäfersiedlung und den Ostpark gefahren, alles beobachtend, seine Fantasie niemals ruhend: Die Schauplätze für den neuen Fall waren da schnell gefunden.

"Ich schreib' schon immer", sagt Kämmerer. In der Schule und der Theater-AG habe das angefangen, bei Radio Feierwerk sei es später weitergegangen, dort habe er eine Hörspielserie für Kinder und Jugendliche gemacht, vor vielen Jahren schon. Über Ronnie, den rasenden Reporter, oder über Till Sitter und Gorgon Zola und den tückischen Romadur. "Lange her." Er habe auch immer teilgenommen am Wettbewerb für den Literaturpreis der Stadt. Zum Geldverdienen habe er als Student auch Geschichten für Groschenheftchen verfasst - und viel dabei gelernt.

Für seine Krimis suche er zuerst die Typen wie Andrea Mangfall, die schon einst in der Groschen-Reihe angelegt war, seine erste weibliche Ermittlerin, von der er spricht, als existiere sie wirklich. "Sie hat schon ein bisschen was erlebt." Der Einstieg mit einem Dialog, dann gleich ein Feuerwerk "wie in den guten James-Bond-Filmen", der Rest ergebe sich, ohne kompliziertes Konzept oder Riesen-Pinnwand, einfach spontan, kurze Szenen wie im Film. Jeden Abend noch zwei Seiten oder mehr auf einer langen Zugfahrt, das empfinde er nicht als Arbeit, sondern als pures Vergnügen. Und dann ein bisschen lesen, er liebt Bücher. Seine Liebe zur Musik lässt Kämmerer einfließen in seine Storys: "Ein Lebensgefühl, das man sich selbst machen kann. Das setzt sofort Emotionen frei."

Überall macht er sich Notizen, ganz altmodisch mit der Hand auf einem Block, Dialoge, die das Leben schreibt. Neulich zum Beispiel in Hamburg: "Ich weiß noch nicht, ob ich sie in meine Infrastruktur lasse", sagt ein junger Schnösel über seine Verlobte. Aus solchem Rohstoff Geschichten machen, die die Leute unterhalten. Das will er. Das macht er auch bei seinen lebendigen Lesungen, untermalt mit der Musik seiner Kumpels. Doch er sagt auch: "Eigenmarketing ist ja auch eine Kunst. Und da bin ich nicht der Superheld." Superhelden spielen auch in seinen Krimis nicht: Andrea Mangfall wird am Ende von ihrem Bruder aus dem Abbruchhaus an der Bad-Schachener-Straße gerettet. Ihre Geschichte geht also weiter.

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