Süddeutsche Zeitung

Berg am Laim:Auf der Schattenseite

Jugendlichen und jungen Erwachsenen fehlt es im Stadtbezirk an attraktiven Treffpunkten. Sie fühlen sich oft nirgends willkommen. Mediatoren wollen nun herausfinden, was sie sich wünschen und wo es hakt

Von Lea Kramer, Berg am Laim

Dichter Verkehr, Baustellenlärm, wenig Schatten: An einem heißen Sommertag gibt es für manchen Münchner schönere Ecken als die Berg-am-Laim-Straße. Die eineinhalb Kilometer lange Schneise, die fast kerzengerade Haidhausen mit Berg am Laim verbindet, ist für viele junge Menschen identitätsstiftender Ankerpunkt in einer wachsenden Großstadt, die wenig Platz für sie bereithält. "Die sagen immer: Die Berg-am-Laim-Straße ist unsere Sonnenallee", erzählt eine Sozialarbeiterin, während eines Spaziergangs durch den Stadtbezirk, zu dem das Regionale Netzwerk für soziale Arbeit in München (Regsam) eingeladen hat, um über Orte für junge Menschen im Viertel zu sprechen.

Der Stadtteil rund um die Münchner "Sonnenallee" ist in den Monaten der Corona-Pandemie unter Druck geraten. Seit Clubs und Diskotheken geschlossen sind und die Prämisse gilt, sich - wenn überhaupt - im Freien zu treffen, kommt es immer wieder zu Konflikten in den angrenzenden Wohnvierteln. Da geht es mal um alltägliche Dinge wie Müll, um die Lautstärke, aber auch sozialpolitische Debatten. Um Respekt und Toleranz und darum, wie viel Platz die Stadtgesellschaft bereit ist, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zuzugestehen. Die Themen sind nicht neu. Wegen der Corona-Pandemie haben sie noch einmal eine andere Dimension, aber auch mehr Aufmerksamkeit bekommen.

Häufig stehen Themen wie Bildungschancen und das Feiern im Vordergrund der öffentlichen Diskussionen, dabei sind der Wunsch nach mehr Selbständigkeit, der Kontakt zu Altersgenossen und Beteiligung am öffentlichen Leben für viele junge Menschen an der Schwelle zum Erwachsenwerden gerade in Pandemiezeiten wichtiger denn je. In ihrer Studie "Jugend ermöglichen - auch unter den Bedingungen des Pandemieschutzes" haben Wissenschaftler und Forscherinnen des Deutschen Jugendinstituts (DJI) die vergangenen Monate analysiert. Sie kommen zum Ergebnis: "Insgesamt wurden wesentliche Aspekte des Jugendalters nicht ernst genommen und das gezeichnete Bild junger Menschen blieb thematisch verengt." So seien sie als homogene Gruppe wahlweise als "Bildungsabgehängte", "Partyvolk" oder "psychisch Gefährdete" in der Öffentlichkeit dargestellt worden. Darüber hinaus habe es lange Zeit kein Impfangebot für junge Menschen gegeben, was für sie ein Dilemma darstellt. "Sie werden eher als Infektionsrisiko für andere betrachtet, für sie selbst gibt es aber nur begrenzt Impfstoffe und damit begrenzt Schutz", so die Autoren der Studie.

Das alles führt zu Frust, der sich an mancher Stelle - wie etwa im Mai am Monopteros im Englischen Garten, als Dutzende die Polizei mit Flaschen bewarfen - gewaltvoll entladen hat. In der Mehrheit nehmen Jugendliche die starken Einschränkungen der Pandemiemaßnahmen aber friedvoll hin. Deshalb sind die jungen Berg am Laimer besonders frustriert, wenn sie aus ihrer angestammten Umgebung weggeschickt werden. In der Anlage der Wohnungsgesellschaft Gewofag an der Berg-am-Laim-Straße 76-82 etwa haben die Beschwerden über Ruhestörungen, Müll und den Verdacht auf Drogenmissbrauch im Frühjahr dazu geführt, dass im Innenhof des Blocks Sitzbänke abmontiert worden sind. Die Gewofag hat zudem die Polizei, Vertreter des Bezirksausschusses (BA) sowie die Stelle für Gemeinwesenmediation (Steg) hinzugezogen. Letztere ist beim Sozialreferat im Amt für Wohnen und Migration angesiedelt. Sie stellt ausgebildete unabhängige Mediatoren bereit, wenn es in der Nachbarschaft, der Schule oder am Arbeitsplatz zu Konflikten kommt. Im Gegensatz zum Allparteilichen Konfliktmanagement (Akim), dessen Vertreter zum Beispiel bei den Feiernden am Gärtnerplatz unterwegs sind, bearbeiten die Mediatoren von Steg vermehrt Fälle, die sich in Wohnanlagen abspielen und wo zwischen den Generationen vermittelt werden muss.

In Berg am Laim ist die Stelle für Gemeinwesen im Auftrag der Gewofag seit Mai mit dem Pilotprojekt "Vermittlung in der Nachbarschaft (VIN)" unterwegs. Deshalb ist ein Zweierteam durch das Viertel gezogen und hat Kontakt mit Gruppen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen aufgenommen, um herauszufinden, was ihnen im Viertel fehlt. Das größte Thema bis jetzt: fehlende Orte, an denen sie sich treffen können, ohne andere zu stören und sich dabei selbst sicher zu fühlen.

Deshalb stehen Ende August knapp 20, fast ausschließlich Frauen am Rande eines Bolzplatzes zwischen zwei Supermärkten in der Mitte des Stadtbezirks und lassen sich von einer Gruppe junger Männer erzählen, wie derartige Treffpunkte attraktiver gemacht werden könnten. Zu Beginn traut sich keiner, was zu sagen. Zu oft, das betont auch die Moderatorin von Regsam, haben sie ihre Wünsche geäußert und dann ist doch nichts passiert. Dann sagt doch einer etwas: "Ich treffe hier seit ein paar Jahren meine Freunde, doch selbst wenn wir tagsüber Fußballspielen kann es sein, dass einer der Nachbarn die Polizei ruft, weil wir zu laut sind."

Mit der Polizei haben sie hier weniger gute Erfahrungen gemacht. Das berichtet eine der VIN-Mitarbeiterinnen später. Es komme öfter vor, dass Jugendliche nach eigenem Dafürhalten willkürlich kontrolliert würden. "Einer wurde mit seinem Vater ohne Grund durchsucht, als beide gerade auf dem Weg zum Einkaufen waren", sagt sie. Solche Geschichten gibt es viele, die nicht zum Vertrauen in öffentliche Stellen beitragen. Deshalb dauert es etwas, bis weitere Ideen geäußert werden. Licht, damit sich alle sicherer fühlen, wäre schön. Und ein Unterstand wenn's regnet.

Dann äußert sich noch einer, der gerade zum Bolzplatz gehen will. "Eins wär wirklich gut: Ein Netz über dem Fußballfeld", sagt er, "damit der Ball nicht ins Gebüsch fällt, das wäre gut." Er würde es auch selbst aufbauen, schiebt er hinterher.

Fünf Minuten später, die Sozialarbeiterinnen brechen gerade auf zum nächsten Treffpunkt, wird die Gruppe junger Männer von Zivilpolizisten aufgehalten. Kontrolle. Ausziehen. Platzverweis. Schluss mit Fußballspielen und Selbstwirksamkeit für diesen Tag am Rand der Münchner Sonnenallee.

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Quelle:
SZ vom 04.09.2021
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