Süddeutsche Zeitung

Benjamin Lebert im Interview:Bis auf die Knochen

Benjamin Lebert mag nicht über Jungautoren reden und auch nicht darüber, wieviel von ihm in seiner neuen Romanfigur Tim steckt. Dafür über vieles andere.

Michael Zirnstein

Den Nachsatz "Alle Personen frei erfunden" hat Benjamin Lebert nicht geschrieben, um sich vor Gegenangriffen zu schützen. Der 24 Jahre alte Autor wollte klarstellen, dass sein drittes Buch "Kannst du" (KiWi) ein Roman ist, keine autobiographische Erzählung. Denn was Lebert nach seinem millionenfach verkauften, verfilmten, in 33 Sprachen übersetzten Debüt "Crazy" als 16-Jähriger erlebte, hat auch Hauptfigur Tim durchgemacht: Lesereisen in zig Länder, Gastvorträge an einer New Yorker Universität, Literaturtortur.

Tim - hier beginnt der Roman - sucht Ablenkung von der inneren Leere und Sex bei einer Interrailreise mit seiner Bekannten Tanja in Skandinavien. Eine unheilvolle Geschichte über zwei Seelenkranke, die, wenn überhaupt, nur sich selbst retten können. Benjamin Lebert liest am Dienstag um 20 Uhr im Münchner Ampere.

SZ: Tim Graeter, der Ich-Erzähler Ihres dritten Romans, stöhnt auf, wenn er wieder mal gefragt wird, was bitteschön die Sexlastigkeit seines Buches mit Philosophie zu tun habe. Welches Thema sollte man bei Ihnen aussparen?

Lebert: Das eine ist dieses "Der Jungautor": Wie lange kann man sich als Jungautor halten? Stürzen Sie jetzt ab, weil Sie mit den neuen Büchern nicht mehr so große Erfolge haben? Die andere Sache, die immer abgehandelt wird, ist die klassische: Wie viel Tim ist Benjamin? Wenn man etwas über mich wissen will, sollte man mich direkt fragen.

SZ: Also: Ist "Kannst du" eine Aufarbeitung der Leiden Ihres frühen Erfolgs?

Lebert: Im Nachhinein kann man das so sehen. Ich fing mit zwölf zu schreiben an, ich wollte die Dinge in mir und um mich herum festhalten. Daher sind alle meine Bücher Ich-Erzählungen. Auch wenn sie nicht eins zu eins zu verstehen sind. Aber da möchte ich mich jetzt mit 24 weiterentwickeln. Ich muss einen neuen Ansatz finden.

SZ: Wandelt Sie diese Erkenntnis vom Jungautor zu einem reifen Autor, wie einige Rezensenten loben? Lebert: Ich mag das Wort "reif" nicht, das klingt, als würde man gleich vom Baum fallen.

SZ: Maxim Biller hat sich nach seiner Hymne auf "Crazy" entschuldigt, Sie entdeckt und viel zu früh in den Medienrummel gestürzt zu haben. Zu Recht?

Lebert: Um die Frage beantworten zu können, müsste ich wissen, wie es ist, wenn man erst spät berühmt wird. Bei mir war die Diskrepanz einfach so groß. Ich war - äußerlich - ein Versager. Ich hatte die Schule abgebrochen. Ich stand vor dem Nichts. In dieses Nichts platzte der gewaltige "Crazy"-Hype. So etwas ist verdammt heftig, insbesondere, wenn man 16 ist. Aber ich habe viele erfolglose Autoren getroffen, die sich nichts sehnlicher wünschten als ein Leben wie meins.

SZ: Nach seinem Debüt wird Tim von Schreibhemmungen geplagt. Nur ein Aufenthalt in New York gab ihm neue Kraft. Sie selbst sind von Freiburg nach München, Berlin, wieder Freiburg und jetzt nach Hamburg gezogen. Ortswechsel - und schon fließt die Tinte wieder?

Lebert: Ja, deshalb ziehe ich wohl immer um. Kurzzeitig sind die Hauswände, an denen man vorbeiläuft, nicht mehr mit vergangenen Furchtbarkeiten belegt. Aber es dauert nicht lange, dann sagt man: "Scheiße, hier hat die und die gewohnt." Dann geht's wieder los.

SZ: Warum hatten Sie in Berlin eine große, gar lebensbedrohliche Krise?

Lebert: Wenn es einem nicht gut geht, dann greift einem Berlin nicht gerade unter die Arme. Aber es war die ganze Situation, als der "Crazy"-Hype vorbei war, und ich überlegte, wie es weitergeht und wer ich bin. Ich kann mich allerdings an keine Zeit in meinem Leben erinnern, die nicht drastisch gewesen wäre.

SZ: Apropos drastisch: Sie schreiben hemmungslos, fast brutal über Sex. Können Sie sich noch erinnern, in welchem Alter Sie das erste Mal "Sperma" geschrieben haben, ohne sich zu schämen?

Lebert: Mit zwölf. Also als ich angefangen habe, mich dafür zu interessieren. Die am häufigsten diskutierte Stelle in meinem Schriftstellerleben ist die Sexszene in "Crazy": Wie kann man nur solche Worte benutzen!? Aber während ich Sex habe, sind meine Sätze auch nicht ausformuliert, schön, edel, rein, sondern schmutzig. Ich habe eine ganz einfache Devise: Ich will wahrhaftig schreiben, auf den Knochen stoßen, wenn man das Fleisch wegschneidet - deswegen kann ich nicht über Sex schreiben, als hätte ich nichts damit zu tun.

SZ: Bei Tim waren es die Mädchen. Was war Ihr Grund, mit dem Schreiben zu beginnen?

Lebert: 90 Prozent meines Antriebs überhaupt sind Mädchen, nein, ich sage jetzt: Frauen. Das ist ein guter Schnittpunkt, um erwachsen zu werden.

SZ: Was ist ein echter Schriftsteller? Die Frage taucht in "Kannst du" immer wieder auf. Einer, der schreibt. Oder einer, der beobachtet, der die Welt begreift, auch wenn er nichts zu Papier bringt?

Lebert: Ich selbst bin immer dann ein Schriftsteller, wenn ich mich hinsetze und schreibe. Wenn ich Lesungen halte oder ein Interview gebe, bin ich kein Schriftsteller. Dann bin ich im weitesten Sinne ein Performer.

SZ: Alle Literaten, die im Buch auftauchen, sind narzisstisch, egoistisch und sexuell gestört. Eine norwegische Lektorin sagt: "Ich hab die Nase voll von euch. Das ganze Reine, Edle, Poetische. Ihr seid genauso Scheiße wie alle anderen." Woher kommt dieser Zorn auf Ihresgleichen?

Lebert: Das ist so, wie wenn man jemanden anschreit, weil man irgendwohin muss und der versperrt einem grad den Weg. Schon während man ausflippt, weiß man, dass der nichts dafür kann. Aber man schreit ihn halt an. Genauso ist es bei Tim: In der Furchtbarkeit dieser Zeit geht es ihm besser, wenn er sich kurz Luft macht. Aber er mag die anderen Autoren auch: Die sind so krank wie er. Und er ist der Oberchampagnertrinker gewesen.

SZ: Günter Grass hat Sie gerade bei seinem zweiten Lübecker Literatentreffen begrüßt. Waren Sie stolz, dabei zu sein?

Lebert: Stolz ist ein Gefühl, dem ich mich nur ganz vorsichtig nähere, ich empfinde kein Heimatgefühl für mich. Auch auf die Gefahr hin, dass das attitüdenmäßig klingt: Ich fühle mich ganz selten zu irgendwelchen Gruppen oder Menschen zugehörig. Das ist Teil meines Lebens, dass ich außen stehe und beobachte.

SZ: Sie behandeln auch eine der"großen Fragen der Menschheitsgeschichte": nämlich ob nur die Dummen glücklich sind. Sind Autoren, die ja gemeinhin als schlau gelten, deshalb unglücklich?

Lebert: Für mich ist Intelligenz die Fähigkeit, glücklich zu sein. Und da die meisten Schriftsteller, die ich kenne, nicht glücklich sind, sind sie für mich auch nicht intelligent.

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Quelle:
SZ vom 27.11.2006
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