Der Imam nutzt Anfang November die große christliche Bühne, die sich ihm bietet, als er als erster Muslim überhaupt eingeladen ist, die Kanzelrede in der Erlöserkirche in Schwabing zu halten: Benjamin Idriz, Chef der Islamischen Gemeinde Penzberg, ruft Münchens religiöse Führungspersönlichkeiten auf, gemeinsam „eine vereinte Stimme gegen Hass und Gewalt und für ein friedliches Miteinander“ zu erheben und als Brückenbauer zu fungieren. Denn, so schiebt er am 8. November in einem persönlichen Brief an die so Angesprochenen schriftlich nach, infolge der Eskalation im Nahen Osten stünde auch in München und Bayern „der soziale Friede und das Miteinander akut auf der Kippe“. Idriz hat auch zehn Tage später noch keinerlei Reaktion auf seinen Aufruf erhalten.
Nicht vom katholischen Kardinal Reinhard Marx, nicht vom evangelischen Landesbischof Christian Kopp, ebenfalls keine Antwort von Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt, Präsident der Konferenz der Europäischen Rabbiner. Und auch Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG) hat sich nicht bei ihm gemeldet. Infolge des 7. Oktobers und des Kriegs in Gaza ist auch das Verhältnis zwischen Münchner Juden und Muslimen schwer gestört. Die muslimische Seite fühlt sich tief verletzt und anhaltend alleingelassen, seit ein paar Tage darauf, im November 2023, ein von muslimischer Seite initiiertes interreligiöses Friedensgebet auf dem Marienplatz geplatzt ist, weil kurz vorher die anderen Religionen – und auch Oberbürgermeister Dieter Reiter – abgesprungen waren.

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Idriz hat seither immer wieder einen Anlauf zum interreligiösen Dialog unternommen. Der bislang einzig vorzeigbare „öffentliche“ Erfolg: Rabbiner Shmuel Aharon Brodman und er trafen sich diesen September „im Zeichen des Friedens“ in der Münchner Synagoge Ohel Jakob.
Der Imam, er ist auch Vorsitzender des Münchner Forums für Islam, will seinen öffentlich adressierten Brief an die religiösen Würdenträger und Charlotte Knobloch als Anregung für einen gemeinsamen Austausch und eine darin mündende Friedenserklärung verstanden wissen. Als Diskussionsgrundlage nennt er im Schreiben mehrere Punkte, die sich in der Hauptsache um den Israel-Palästina-Konflikt drehen, letzte Forderung ist der „entschlossene Einsatz gegen jede Form von Rassismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit in Deutschland“.
Auf Nachfrage der SZ haben die von Idriz Angeschriebenen auf dessen Vorstoß reagiert – mitunter sehr kühl: Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt spricht davon, die Vorschläge diskutieren zu wollen. Gleichwohl verstehe man Idriz’ Appell „vor allem als Aufruf an die hier lebende muslimische Gemeinde, Ruhe und Toleranz zurück auf die Straße zu bringen und aktiv für die hier geltenden Werte und Rechte wie die Freiheitlich-Demokratische Grundordnung und gegen Antisemitismus einzutreten“.
Auch wenn das friedliche Zusammenleben in München weiterhin überwiegend gut funktioniere, lässt sich Charlotte Knobloch zitieren, erlebe man eine Spannung, die sich seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel noch einmal extrem verstärkt habe. „Initiativen, die dieser Entwicklung entgegenwirken wollen, sind deshalb notwendig.“ Vorzeitig wolle man dazu aber nicht öffentlich Stellung beziehen.
Auch Landesbischof Kopp und die Erzdiözese München und Freising, Kardinal Marx selbst antwortet nicht direkt, betonen den bevorzugten „internen“ Austausch. Sie verweisen zudem auf das interreligiöse Friedensgebet des Rats der Religionen in München an diesem Dienstag, 19. November, um 19 Uhr vor dem Liebfrauendom – er findet zum ersten Mal seit dem 7. Oktober 2023 statt. Beteiligt sind Juden, Muslime, Christen, Aleviten, Buddhisten und Bahai.
Idriz verweist im Gespräch mit der SZ auf „Juden, Christen, Muslime und auch Menschen ohne religiöse Zugehörigkeit“, die bei ihm nachgefragt hätten, ob bereits eine Antwort auf seinen Appell eingegangen sei. „Menschen, die sich nach Frieden sehnen, dürfen von uns nicht enttäuscht werden.“