Kneipe Maxvorstadt "Bei Otto":Otto - find' ich gut!

Bei Otto

Eigentlich wollte sie ja Stewardess werden und bloß keinen Wirt heiraten. Jetzt steht Renate schon seit 37 Jahren hinter dem Tresen.

(Foto: Annette Wild)

"Trinke nur an Tagen, die mit 'G' enden": Bei Otto in der Maxvorstadt ist eine blitzsaubere Boazn mit Niveau - und Wurlitzer.

Von Annette Wild

Eine Spelunke ist das Lokal wahrlich nicht, Bei Otto in der Gabelsberger Straße. Was ihm dazu fehlt? Schäbigkeit, ein übler Ruf, verklebte Tische und finstere Typen, die allzu tief ins Schnapsglaserl schauen und rumgranteln. Dafür hat Bei Otto alles, was eine Boazn sonst noch so braucht: zum Schneiden dicke, verrauchte Luft, vergilbte Vorhänge und Augustiner Bier.

Der kleine, schmale, holzgetäfelte Gastraum mit vier Tischen erinnert ein wenig an einen Hobbykeller oder auch an eine Schiffskajüte - letzteres vielleicht wegen diverser nautischer Wandaccessoires wie eine Schiffsglocke, Schiffsuhr und einige Meer- und Schiffsgemälde.

Sofort fällt ein Gerät ins Auge, das heutzutage kaum noch in Kneipen zu finden ist: Ein Wurlitzer! Um das Gerät bedienen zu können, muss man an der kleinen, halbrunden, rot gepolsterten Bar im Hinteren des Raumes einen Euro gegen ein 2-DM-Stück tauschen. Dort bestellen wir jedoch erst mal ein Bier (Augustiner, 0,5 l, 3,20 Euro; Löwenbräu, 0,33 l, 2,70 Euro; Becks 0,33 l, 2,70 Euro).

Am Tresen finden sich eher etwas ältere Gäste, sicher Stammpublikum. Sie scheinen dem Motto zu folgen, das auf einem Blechschild über der Theke prangt: "Trinke nur an Tagen, die mit 'G' enden."

Gerade geht es hoch philosophisch her, vom Weltuntergang bis zum Klonen von Menschen. Da ertönt ein glockenhelles, etwas schepperndes und absolut mitreißendes Lachen: Die Wirtin, die sich mit ihrer Wespentaille unter viel blondem Haar versteckt, löst mit ihrem Frohsinn die düstere Endzeitstimmung auf wie Sonne einen flüchtigen Morgennebel. Renate Strohmenger heißt die Dame, die heiter ihre Bühne hinter dem Tresen bespielt. Die adrette Wirtin ist Alleinunterhalterin, Schiedsrichterin, Moderatorin, Seelentrösterin und Sozialarbeiterin in einem und achtet sorgsam darauf, dass die allgemeine Laune nicht kippt.

Um sie herum hängen die Stammgäste an ihren hellrosa geschminkten Lippen. In zweiter Reihe lehnen noch einige an der Holz getäfelten Wand, die auch was von dem "Bier-Kränzchen" mitbekommen wollen. Über dem Täfer kleben Postkarten, die Gäste Renate aus dem Urlaub geschickt haben. Ganz klar: Die Wirtin wird von ihrem Publikum verehrt. Gar nicht leicht, das Alter der Dame zu schätzen. Vielleicht eine Hilfe: Renate war vor etwa 50 Jahren ein sehr gefragter und häufig vergebener Name.

Renate gibt uns einen Tipp: "1973 hab ich hier angefangen. Mein Mann, übrigens der Otto - deswegen trägt das Lokal den Namen - war damals schon fast 40. Nie im Leben wollt ich einen Wirt heiraten! Mein Traumberuf war Stewardess", erinnert sich die Chefin und fährt fort: "Ich war saublöd, jung und dumm. Bis dahin hab ich nie einen Alkohol getrunken. Als ich dann das erste Mal hier drin war, haben mich die Gäste ärgern wollen und üble Witze erzählt. Da hab ich mir einen Schnaps genehmigt und noch viel schlimmere Witze erzählt. Danach hab ich mir gedacht: 'Da geh ich nie wieder rein.'" Jetzt steht Renate hier schon seit 37 Jahren hinter dem Tresen.

Gnadenlos ausgesiebt

Mittlerweile trinkt die Wirtin berufsbedingt öfter mal Alkohol, denn: "Eine Wirtin, die nix trinkt, ist schlecht fürs Geschäft", weiß Renate. Freilich nicht viel, hier und da mal einen Piccolo oder auch einen Cognac. Die Wirtin achtet auch darauf, dass es ihre Gäste nicht allzu sehr mit den Spirituosen übertreiben. "Zu 95 Prozent hab ich Stammgäste. Manche sind schon länger als ich hier herin. In der Regel weiß ich schon, wenn einer reinkommt, was er trinkt", sagt Renate. Bei einem hieße das Codeword "wi" - "wie immer". Vom Hilfsarbeiter bis zum Professor, Arzt oder Schauspieler kämen sie.

"Am Anfang hab ich gnadenlos ausgesiebt, weil ich eine Kneipe mit Niveau wollte. Das ist vielleicht mein größter Verdienst hier", überlegt die Wirtin. Vielleicht kommen auch deshalb gerne junge Leute hier vorbei, oder wegen des nostalgischen Charmes? So sitzt auch heute ein junges Paar an einem kleinen Tisch unter der Luftaufnahme von München, die 20 Jahre alt ist. Auf ihr kann man noch die Pferdeställe der Löwenbrauerei erkennen, die längst abgerissen sind. Genau in der Mitte des Straßenlabyrinths findet man das Bei Otto. "Ich würd ja gerne hie und da mal was verändern. Aber da hagelts gleich Proteststürme von den Stammgästen: 'Geh Renate, das ist doch unser Wohnzimmer. Da darfs nix dran machen.'"

Als Renates Mann Otto vor ein paar Jahren starb - übrigens hinter dem Tresen, so wie er sich das immer gewünscht hatte - habe Renate von vielen Stammgästen Hilfe erhalten - aber auch Avancen. "Manche dachten, wo der Otto tot ist, könnten sie bei mir landen." Renate lacht glucksend. Nein, sie komme im Lokal recht gut alleine zurecht. "Hier gibts nie Schlägereien. Aber: Angst darfst do net hom."

Wenn einer hier nicht reinpasse, dann werde er höflich von ihr entfernt. "Oder wenn einer die Stimmung kaputt macht, dann lassen wir ihn einfach leer laufen. Wenn jemand einen Schmarrn red, sag ich, halt besser die Klappe oder gib mir an Piccolo aus."

Das funktioniere meist recht gut. "Die meisten erwarten sich einfach ein bisserl Unterhaltung, einen kleinen Scherz, eine Gaudi oder ein freundliches Lächeln", weiß Renate. Und das bekommen sie hier inklusive ihrem Getränk. Wie lang noch? "Manchmal ärger ich meine Gäste und sag: 'Ich mach bald zu.'" Im Ernst? "Schmarrn! So lang, bis ich sag: 'I mog nimma'." Renate gibt uns einen Zwickel, und STS singt in ihrem Lied "Irgendwann" die Zeile: "Aber noch is' net so weit." Hoffenlich!

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