Beginn des Lehrjahres:Ausbildung? Nein danke!

Beginn des Lehrjahres: Ungewöhnlich ist der Werbegag, mit dem Bäcker für ihren Beruf werben: Sie zeigen auf Youtube einen Film, bei dem ein "Surfbread" aus Brotteig gebacken wird. Screenshot: SZ

Ungewöhnlich ist der Werbegag, mit dem Bäcker für ihren Beruf werben: Sie zeigen auf Youtube einen Film, bei dem ein "Surfbread" aus Brotteig gebacken wird. Screenshot: SZ

  • In Bayern bleibt ein Viertel aller Lehrstellen zum Ausbildungsbeginn unbesetzt.
  • Das Handwerk sucht nach Lehrlingen - doch wer das Abitur hat, geht überwiegend an die Hochschulen.
  • Auch in anderen Ausbildungsberufen suchen die Unternehmen händeringend nach jungen Leuten.

Von Katja Riedel und Johann Osel

Es ist ein dickes Brett, auf dem der Surfer über die Eisbachwelle reitet. Doch das Brett ist ein ganz Besonderes, ja Einmaliges, es besteht nicht aus Hartschaum und Polyester, sondern aus kross gebackenem Brotteig, das die Surfer nach dem Ritt durchs Wasser brechen und essen. Das "Surfbread" ist in wichtiger Mission unterwegs, im Namen des Deutschen Bäckerhandwerks. Das Video von Surf-bread-Bau und Eisbachritt eines Profi-Surfers ist bei Youtube und auf anderen Kanälen im Netz zu sehen, es soll zeigen, dass Bäcker richtig cool sind. Und dass man deshalb als Bäcker nicht nur in aller Herrgottsfrühe aufsteht, um stupide Teigling um Teigling in den Ofen zu schieben und Brotmischungen anzurühren. Als Bäcker, so die Botschaft des Videos, kann man sich verwirklichen: "Back Dir Deine Zukunft."

Der Ruf der Branche ist ein anderer. Im gesamten Nahrungsmittelbereich, seien es Bäcker, Köche oder Metzger, fehlt seit Jahren der Nachwuchs, wie in vielen Ausbildungsberufen. Das hat viele Gründe. Einer dieser Gründe ist, dass für junge Menschen bei der Berufswahl mittlerweile der Spaßfaktor und das Gefühl, etwas Erfüllendes zu tun, entscheidender sind als die Frage, ob sie in ihrem künftigen Job gute Aufstiegschancen haben oder viel Geld verdienen.

Die Knochenjobs haben es schwer

Schwer haben es alle Berufe, die im Ruf stehen, Knochenjobs zu sein. Neben dem Nahrungsmittelbereich haben es etwa auch die Berufe in der Bauwirtschaft schwer - obwohl gerade auf dem Bau Lehrlinge sehr gut verdienen, heißt es dazu bei der Handwerkskammer für München und Oberbayern. Um die Lücke zu verkleinern, bemühen sich die Handwerkskammern stark um Migranten und Flüchtlinge, die sie für eine Ausbildung begeistern wollen. "Die allein werden uns aber nicht helfen", sagt Jens-Christopher Ulrich, der Sprecher der Münchner Handwerkskammer.

Wenn an diesem Dienstag das Ausbildungsjahr offiziell beginnt, werden wieder zahlreiche Lehrmeister darüber klagen, dass sie keine Auszubildenden gefunden haben. In ganz Bayern sind den bayerischen Industrie- und Handelskammern zufolge noch ein Viertel der Ausbildungsstellen unbesetzt, 25 000 von 93 000. In München ist es seit Jahren besonders kritisch, bestätigt auch Katharina Toparkus, Sprecherin der IHK für München und Oberbayern (IHK). "Im großstädtischen Bereich, also München und dem Umland, greift der Akademisierungstrend noch viel stärker als auf dem flachen Land", sagt Toparkus. In München gingen Mittelschüler statt in die Lehre immer häufiger zu Fach- und Berufsoberschulen, und die Abiturienten ziehe es auch häufiger direkt an die Uni.

Erst Abitur, dann Studium

Selbst in zukunftsträchtigen Berufen, etwa bei Industriekaufleuten oder Elektronikern, seien noch viele Stellen offen. Ende Juli meldete die Arbeitsagentur noch 9700 offene Ausbildungsstellen in Stadt und Landkreis. Am Dienstag werden jetzt zunächst 6500 Lehrlinge ihre Ausbildung beginnen. "Selbst bei Bankern, wo es früher immer mehr Bewerber als Stellen gab, hatten wir zuletzt noch 88 offene Stellen", sagt Katharina Toparkus von der IHK. "Abiturienten studieren heute gleich BWL und machen vorher keine Ausbildung".

Die Basis für den "Akademisierungswahn", den die IHK-Sprecherin aufführt, zeigt sich zunächst an den Schulen. Wenn Mitte September in Bayern die Ferien zu Ende gehen, dann ist für viele Münchner Familien das Bildungsziel tatsächlich klar definiert: erst Abitur, dann Studium. Im Landkreis München gehen laut der letzten verfügbaren - internen - Statistik des Kultusministeriums 62 Prozent der Grundschüler aufs Gymnasium; das ist bayernweiter Rekord. In allen größeren Städten, von Passau bis Würzburg, ist es gut die Hälfte, in der Stadt München sind es 54 Prozent, in den Landkreisen Ebersberg und Fürstenfeldbruck fast 50 Prozent, in Starnberg fast 60.

Ausbildung mit Abi ist für viele uninteressant

Natürlich: Manche Schüler scheitern auch auf dem Weg zum Abitur. Hinzu kommt aber eben, dass sie Hochschulreife zunehmend über andere Wege erwerben, zum Beispiel über die Fachoberschulen. Bundesweite Umfragen zu den Wünschen älterer Jugendlicher dürften sich durchaus auch auf München übertragen lassen: demnach will nicht mal jeder zehnte Schüler, der eine Hochschulreife in der Tasche hat, danach eine Ausbildung machen.

Um die Zukunft der Ausbildung hat sich längst eine akademische Großdebatte entfacht, und zwar von einer Münchner Studierstube aus. Schon immer verstand sich Julian Nida-Rümelin, Philosophie-Professor an der LMU, auch als politischer Akteur, zuletzt war er 2013 im Berater-Team von Christian Ude bei der Landtagswahl. "Der nächste Bildungsnotstand", war vor nunmehr acht Jahren ein Gastbeitrag Nida-Rümelins in der SZ überschrieben. Er beschwor eine Doppelkrise, die durch den Run aufs Studium entstehe. Eine Krise für die Ausbildung, die systematisch ausblute - und für den akademischen Betrieb, der an Substanz verliere. Er erkenne eine "dünkelhafte Herabsetzung handwerklicher und technischer Begabungen", schrieb er damals.

Nida-Rümelin hat schon vor Jahren gewarnt

Reaktionen? Kaum. Doch seit Studieren immer mehr zum Normalfall und die Lehre zur ganz klar zweiten Wahl wird, scheint man empfänglicher für das Thema zu sein. Sein Buch "Der Akademisierungswahn" hat den Professor 2014 zu einem Handlungsreisenden in Sachen Duales System gemacht. Sein Vorteil: Er spricht nicht als Lobbyist für Industrie oder Handwerk. Er will auch nicht die Pfründe der Akademikergesellschaft abstecken, sondern eine Mischung, nach Talent. "Es ist falsch, Jugendlichen zu suggerieren, dass sie auf ihrem Bildungsweg gescheitert sind, wenn sie nicht die Hochschulreife erwerben und ein Studium aufnehmen", sagt Nida-Rümelin. Besucht man ihn in den beengten, aber beschaulichen Hinterhöfen der LMU an der Ludwigstraße, kann er Stunden erzählen.

Hinter dem Hochschulboom stecke die irrige Vorstellung, sozialer Aufstieg "manifestiere sich in einer Abkehr vom Handwerklichen", sagt er dann. Und er erzählt von Kindheitserfahrungen, in der Werkstatt seines Vaters, Bildhauer in München. Zupacken, ein Gespür für die Dinge, das sei gefragt gewesen, zwei linke Hände seien schlimmer gewesen als schlechte Noten. Das sieht Jens Christopher Ulrich von der Handwerkskammer für München und Oberbayern heute genau so: "Noten sind nicht das A und O", sagt er. "Im Handwerk zählt auch, dass man geschickt ist."

Ein Abschluss ist wichtig

Es lassen sich aber durchaus Gegenstimmen einholen. Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft, warnt davor, Ausbildung und Studium gegeneinander auszuspielen. Oder Ludger Wößmann, Volkswirtschaftler, LMU-Professor, der das Zentrum für Bildungsökonomik am Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in Bogenhausen leitet. Sein Metier ist es, Bildungsprozesse volkswirtschaftlich zu deuten. "Der Wahn vom Akademisierungswahn", so hat er mal einen Aufsatz genannt. "Natürlich ist nicht jedes zusätzliche Studium zwangsläufig volkswirtschaftlich lohnend. Es gibt Studierende, die in einer Ausbildung besser aufgehoben wären", meint er.

Auch gebe es Studienfächer, an denen die Wirtschaft kaum Bedarf habe. Aber auch wenn man verschiedene Faktoren herausrechne, verdienten Hochschulabsolventen im Schnitt 36 Prozent mehr als dual Ausgebildete und 57 Prozent mehr als Ungelernte.

Gäbe es zu viele Akademiker, sagt Wößmann, dann würden deren Erträge sicher sinken und die ausgebildeter Fachkräfte steigen. Angebot und Nachfrage. Zudem gebe es unter Akademikern eine Arbeitslosenquote von nur zwei Prozent; auch bei Leuten aus Ausbildungsberufen ist sie gering - unter den Bürgern ohne Abschluss habe dagegen jeder Fünfte keine Job. "Das ist eigentlich das viel größere Thema", so Wößmann. "Darüber wird öffentlich zu wenig diskutiert."

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