Da geht noch was, Puccini zum Beispiel. Stephen Gould, dieses Konditionswunder von Tenor, singt in diesem Jahr bei den Bayreuther Festspielen nicht nur den Tristan, den Tannhäuser und den Siegfried in der "Götterdämmerung" . Im Festspielpark am Grünen Hügel ist er an diesem wunderbaren August-Abend auch Cavaradossi, der in der Superarie "E lucevan le stelle" die Sterne funkeln lässt. Dann schmettert er noch einen Lehár hinterdrein; "Dein ist mein ganzes Herz" aus "Land des Lächelns", und man denkt sich, bitte, Mr. Gould, singen Sie das so laut es ihre Wagner-Stimme vermag! Hier, gerade hier an diesem Ort. Richard Taubers Lied, den die Nazis ins Exil gehetzt haben, aus Fritz Löhner-Bedas Operette, den sie in Auschwitz umbringen ließen. Jene braune Mörderbande, die affig im Frack mit erhobenen rechten Arm dort droben vom Festspielhaus-Balkon herunter Hof hielt.
"Glaube, Liebe, Hoffnung" - ein auf den ersten Blick reichlich botschaftsschwangeres Motto, mit dem Katharina Wagner heuer die beiden Open-Air-Konzerte der krisengeschüttelten Bayreuther Festspiele beschwert hat, den Apostel Paulus und Ödön von Horváth gleichermaßen zitierend. In diesen Zeiten brauche es genau das, lässt die Festspielchefin bei ihrer kurzen Begrüßung das Publikum wissen, das wieder in Massen zum Kost-nix-Ereignis gepilgert ist und sich weithin hügelaufwärts im Park verteilt, wie zur musikalischen Speisung der Fünftausend. Und doch ist die Programm-Dramaturgie klug durchdacht, durchlässig und leicht. Weshalb man sich auch nicht ertappt fühlt, wenn im "Glaube" überschrieben Teil während der Tannhäuser-Ouvertüre die Finger in die Chips-Tüte wandern oder beim "Dies irae" aus Verdis "Messa da Requiem" der Weißwein nachgekippt wird.
Der Moderator schlendert durchs Meer an Picknickdecken und schnorrt Melonen-Häppchen
Ohne Pause geht es weiter zur "Liebe", mit herrlich lockerer Respektlosigkeit moderiert vom Hügel-Hofjournalisten Axel Brüggemann, der zusammen mit Mezzosopranistin Okka von der Damerau durch das Meer an Picknickdecken und Klappstühlen watet und Melonen-Häppchen schnorrt. Ein Amuse-Gueule gibt's dann auch aus "Tristan und Isolde" mit "O sink hernieder, Nacht der Liebe", serviert von Kristiane Kaiser und Stephen Gould, beim Brautchor "Treulich geführt" aus dem "Lohengrin" singt das Publikum gleich selbst. Und bei der berühmten (Liebes-)Briefszene der Tatjana aus Tschaikowskys "Eugen Onegin" wird noch dem größten Pessimisten klar: Die russische Kultur wird einen wie Putin irgendwann zu einer Fußnote der Geschichte machen.
Denn es gibt "Hoffnung": Mit Valentin Silvestrovs kurzem, elegischen Orchesterwerk "Prayer for the Ukraine", das der Komponist im Angesicht der Majdan-Demonstrationen geschrieben hat. Diese Musik öffnet viel Raum für Nachdenklichkeit, jedoch ohne Beschwernis. Denn zu schön ist der Abend im Bayreuther Park, bei dem das Festspielorchester unter Leitung von Constantin Trinks wie entfesselt auch ein Medley aus Bernsteins "West Side Story" spielt. Die Musiker genießen den Freigang an der frischen Luft, schließlich müssen sie nun wieder abtauchen in ihren Schwitzkasten mit der sagenumwobenen Akustik.