Bayerns Wirtschaftsminister und sein Englisch:Respekt vor Aiwanger, Spott für den Spötter

Natürlich ist er ein starker Dialektsprecher, aber wozu die künstliche Aufregung? Er macht sich verständlich, und er ist guter Gastgeber

Bayerns Wirtschaftsminister und sein Englisch: Mut zum Unperfekten: Solange sich ein starker Dialektsprecher wie Hubert Aiwanger auf Englisch verständlich mache, sei alles gut.

Mut zum Unperfekten: Solange sich ein starker Dialektsprecher wie Hubert Aiwanger auf Englisch verständlich mache, sei alles gut.

(Foto: Matthias Balk/dpa)

"Gar nicht lustig" vom 2./3. Oktober:

Stark dialektbetont - na und?

Politiker, die heute sechzig Jahre sind oder älter (Günther Oettinger, Erwin Huber, Horst Seehofer), haben vor Jahrzehnten Englisch oder eine andere moderne Fremdsprache gelernt, als im Unterricht der mündliche Sprachgebrauch noch sehr unterentwickelt war. Im Wesentlichen wurde Grammatik gelernt und geübt und Texte wurden übersetzt, vom Deutschen ins Englische und umgekehrt. Der moderne Fremdsprachenunterricht dagegen lebt von der Konversation. Daher sind die Schülerinnen und Schüler heute viel besser fähig, sich in einer Fremdsprache auszudrücken - viele mit ihrem gewohnten persönlichen Akzent. Wo ist das Problem? Es geht doch nicht darum, akzentfreier als ein durchschnittlicher Engländer zu sprechen, sondern es geht darum, Inhalte zu vermitteln, und es geht um die Wertschätzung eines internationalen Publikums. Daher verdient es Respekt, wenn ein Politiker wie Hubert Aiwanger, der auch in seiner Muttersprache stark dialektbetont spricht, eine Rede in einer für ihn ungewohnten Sprache hält. Diese differenzierte Betrachtung ist Jan Böhmermann offensichtlich fremd. Ihm geht es wieder einmal darum, einen Lacherfolg auf Kosten eines anderen zu erzielen und im Gespräch zu bleiben. Nicht Aiwangers Rede ist peinlich, sondern Böhmermanns pubertäre Reaktion. Erich Schlotter, Pfaffenhofen/Ilm

Dumm-arrogante Kritik

Niemals käme es einem Pariser in den Sinn, über einen Landsmann wegen seines Dauphinois zu lästern, und keinem Fiorentino würde ein gehässiger Kommentar über einen im neapolitanischen oder sizilianischen Dialekt Sprechenden über die Lippen kommen. Nur in Deutschlands Norden regen sich sogar Prominente darüber auf, wenn jemand in der Bäckerei nicht nach Schrippen, sondern nach Weckle oder Weckla verlangt; und es gilt ausgerechnet dort als beschämend, eine englische Redewendung, leicht schwäbelnd, um ein Wort erweitert zu haben, wo einst die Könige wegen der hässlichen Sprache ihrer Untertanen lieber französisch parlierten. Ein Satiriker, dessen Name, Aussehen und Auftreten sofort die Karikatur eines Norddeutschen erkennen lassen, stellt albern fest, die Debatten im Bundestag würden leider nicht durchgehend in deutscher Sprache geführt - Satire soll Missstände aufs Korn nehmen, treffend und/oder lustig, nicht dumm-arrogant sein. In Österreich gibt es das Wort "Piefke". Wenn Hubert Aiwanger sein richtiges, aber bairisch gefärbtes Englisch vorgeworfen wird, möge er mit Seneca antworten: Existimatio me vestra non meo nomine sed vestro movet ('Eure Meinung erregt mich nicht um meinet-, sondern um euretwillen'; d. Red.). Richard Unterauer, München

Let the church in the village

Nach seinem tapferen Referat in einer ihm fremden Sprache sollte man jetzt bitte the Church in the Village lassen. Ganz ehrlich: Mir ist das niederbayrisch eingefärbte Englisch von Hubert Aiwanger deutlich sympathischer als das reinrassige Deutsch der Gaulands und Höckes. Manfred Jagoda, Ismaning

Der Akzent ist völlig egal, solange man sich verständigen kann

Zum Beitrag "Gar nicht lustig" (2./3. Oktober) möchte ich als Rechtsanwalt, langjähriger Personalleiter und Sprachforscher Stellung nehmen: Juristisch betrachtet ist eine Diskriminierung nur aus den in dem seit 2006 gültigen AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) unzulässig. Diese Gründe sind Rasse, ethnische Herkunft, Religion, Geschlecht, Alter, Behinderung und sexuelle Orientierung. Die Sprache wird also explizit nicht erwähnt. Bestimmte Sprachkenntnisse beziehungsweise deren Nichtvorhandensein sind sogar ein ausdrücklich zugelassener Diskriminierungsgrund, wenn diese zum Beispiel bei der Besetzung einer Stelle zwingend vorausgesetzt sind. Wer eine ihm fremde Sprache "nur" mit einem Akzent aus seiner Muttersprache spricht, darf deshalb allerdings nicht diskriminiert werden, weil die Muttersprache Teil seiner ethnischen Herkunft ist.

Das Problem in der Bundesrepublik ist nur, dass die Rechtsprechung - ob insoweit deutschnational oder gar nationalsozialistisch geprägt, lasse ich mal dahingestellt - nur eine "deutsche" Ethnie beziehungsweise - wie Wilhelm II. es mal formuliert hatte - "nur noch Deutsche" kennt, und somit allen gewachsenen Völkern auf "deutschem" Boden wie zum Beispiel den Sachsen und eben den Baiern (so geschrieben, weil das Volk und nicht das Land Bayern gemeint ist) das Recht, eine eigene Ethnie zu sein, abspricht. Mit der Folge, dass bei der Besetzung einer Stelle ein Bewerber, der deutsch mit bairischem oder sächsischem Akzent spricht, abgelehnt werden darf, ein Bewerber mit tschechischem oder französischem Akzent, hingegen nicht. Wobei ich mir als Jurist die Freiheit zu der "abweichenden Meinung" nehme, dass die Leugnung einer Ethnie die stärkste Form der ethnischen Diskriminierung ist.

Nun zur sprachlichen Betrachtung: Hubert Aiwanger spricht sowohl Deutsch als auch Englisch mit bairischem Akzent, in seinem Fall mit nordbairischem Akzent, weil er eben im nordbairischen Sprachraum großgeworden ist.

Für Franz Josef Strauß galt das Gleiche, nur dass sein Akzent eben mehr mittelbairischer Natur war. Was speziell dessen Englisch betraf, bemühte er sich nicht einmal um die richtige Aussprache bestimmter, dem Bairischen fremder Laute. Ihm als Pragmatiker war es wichtig, verstanden zu werden.

Mir ist auch nicht bekannt, dass es andere gewagt hätten, sich deshalb über ihn in der Weise lustig zu machen, wie dies im Fall von Herrn Aiwanger geschieht. Im Übrigen fällt auf, dass sich gerade Leute aus dem (nord-)deutschen Sprachraum zwar gerne besserwisserisch hervortun, wenn jemand nicht akzentfrei Englisch spricht, im Fall von anderen Fremdsprachen aber weit weniger puristisch unterwegs sind.

Geradezu grauenhaft ist es oft, solchen Leuten zuhören zu müssen, wenn sie in einer romanischen Sprache unterwegs sind: wenn zum Beispiel beim Bocciaspiel am italienischen Adriastrand die Feststellung "tre rossi" mit Rachen-r gesprochen wird oder das "e" im "latte macchiato" wie das im Deutschen vorherrschende (und übrigens im Bairischen unbekannte) Murmel-e daherkommt.

Ich selbst spreche ebenfalls deutsch mit bairischem Akzent, denn Bairisch ist meine Muttersprache. Möglicherweise ist auch mein Englisch, Französisch, Italienisch und Russisch nicht akzentfrei, wie auch Leute aus diesen Sprachräumen selten akzentfrei Deutsch oder Bairisch sprechen. Ist aber egal, solange es dazu reicht, sich zu verständigen. Marcus Maximilian Muhr, Ingolstadt

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: