Süddeutsche Zeitung

Naziparolen, Germanenkult, Corona-Leugnung:Das rechtsextreme Netzwerk ist intakt

Lesezeit: 3 min

Die früheren Bayern-Chefs der Bürgerwehr "Wodans Erben Germanien" stehen derzeit vor Gericht. Doch ihre einstigen Mitstreiter machen einfach weiter. Ihr Hass ist derselbe geblieben - nur verlagern sie ihre Aktivitäten zunehmend ins Internet.

Von Martin Bernstein, München

Naziparolen und Germanenkult, Corona-Leugnung und Politikerbeschimpfung: Während der Prozess gegen die unter Terrorverdacht stehende "Gruppe S." läuft, macht die rechtsextreme Bürgerwehr "Wodans Erben Germanien" (W.E.G.) weiter - auch gut ein Jahr nach der Verhaftung ihrer beiden ehemaligen Bayern-Chefs Frank H. und Marcel W. Ein Mitglied der einstigen W.E.G.-Führungsriege leitet weiterhin die Gruppierung, derzeit unbehelligt von Polizei und Justiz. Vor dem Oberlandesgericht Stuttgart muss sich nur der mutmaßlich harte Kern der "Gruppe S." verantworten, darunter der Münchner Frank H., der die Vorwürfe bestreitet. Selbst enge Kontaktpersonen tauchen im Prozess allenfalls auf der Zeugenliste auf.

Ein Gesinnungsgenosse der beiden inhaftierten ehemaligen W.E.G.-Anführer hat sich inzwischen nach Österreich abgesetzt. Nach Berichten mehrerer Medien betätigt sich der Rechtsextremist als eine Art IT-Dienstleister für rechte und verschwörungsgläubige Gruppierungen insbesondere aus der Corona-Leugner-Szene. Frank Sch., der sich derzeit "Frank der Reisende" nennt, trat in München unter dem Namen "Frank Thueringen" mindestens zweimal an der Seite des wegen Rechtsterrorismus angeklagten H. auf - und zwar bei einer Gelbwesten-Kundgebung und als W.E.G.-Mitglieder in eine Asylbewerberunterkunft in Moosach eindrangen.

Während die ehemaligen Bayern-Chefs Frank H. und Marcel W. und ein weiterer Mann sich wegen dieses mutmaßlichen Hausfriedensbruchs auch in München noch vor Gericht verantworten müssen und mehrere andere W.E.G.-Mitglieder Strafbefehle erhielten, soll Sch. sich nach Recherchen des ARD-Magazins Kontraste inzwischen in Österreich im Raum Wien aufhalten. Die Münchner Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) fahndet nach ihm. Sch. will nach eigenen Angaben rund 4000 Gruppen auf dem Messenger-Dienst Telegram gegründet und vernetzt haben. Noch im Oktober trat Sch. auf einer "Querdenker"-Kundgebung in Nordbayern auf.

Bei einer Münchner Anti-Corona-Demonstration wurde am 9. Mai zum letzten Mal ein W.E.G.-Mitglied mit dem Logo der rechten Gruppierung in der Öffentlichkeit gesehen - und zuletzt zwei Aktivisten am 27. Februar bei einer ähnlichen Versammlung in Landshut. Die Aktivitäten der vom Verfassungsschutz beobachteten Gruppierung finden derzeit vorwiegend im virtuellen Raum statt. Kritik an den mutmaßlichen Plänen ihrer verhafteten Mitstreiter, die laut Generalbundesanwalt durch blutige Anschläge auf Moscheen einen Bürgerkrieg heraufbeschwören wollten, üben sie dort keine. "Anders sein ist kein Verbrechen", schreibt die Gruppierung zum Prozessauftakt - in einer Fotomontage ist ein gefesselter Skinhead in W.E.G.-Jacke vor einem Polizeiauto zu sehen. Die verbliebenen "Wodans Erben" lassen online keinen Zweifel an ihrer Gesinnung.

Gegen ein langjähriges Mitglied der "Bürgerwehr" ermittelt deshalb aktuell der Staatsschutz der Münchner Polizei. Auf seinen zahlreichen Facebook-Profilen postet der Münchner Nazi-Symbolik und in der rechtsextremen Szene verwendete Kürzel. Die Zustimmung von Sympathisanten - viele von ihnen zeigen ebenfalls das W.E.G.-Logo in ihrem Profil - zu Veröffentlichungen des Münchners beweisen: Das Netzwerk von "Wodans Erben" ist weiterhin intakt. Mehrere Aktivisten, die in engem Kontakt zu den Stuttgarter Angeklagten standen, sind nach wie vor dabei.

An der Spitze von "Wodans Erben" steht ein Paar aus Konstanz mit einst engen Verbindungen zu H. und W. Der aktuelle W.E.G.-Präsident stand der "Gruppe S." nach Erkenntnissen des baden-württembergischen Landeskriminalamts nahe, ohne jedoch zu dem für die Ermittler entscheidenden Treffen im Februar 2020 in Minden eingeladen gewesen zu sein, bei dem die Anschlagspläne konkretisiert worden sein sollen. Ähnliches gilt auch für ein führendes Mitglied des bayerischen Zweigs der "Bürgerwehr".

Nach den Festnahmen sollen der bayerischen W.E.G.-"Division" noch etwa 20 Aktive angehören

Weder der Generalbundesanwalt noch Staatsanwaltschaften in München oder am Heimatort des Mannes ermitteln derzeit gegen den Niederbayern. Er soll im Prozess gegen die "Gruppe S." lediglich als Zeuge aussagen. Dass ihm nicht mehr passiert ist, hat der Mann offenbar einem Zufall zu verdanken: Wegen eines Krankheitsfalls in der Familie nahm er eine Einladung zum Treffen in Minden nicht wahr, auf dem die Terrorpläne ausgearbeitet worden sein sollen. Zuvor soll er sich mit H. im Chat über Waffen und Sprengstoffe ausgetauscht haben. Von den angeblichen Plänen will der Zeuge aber nichts gewusst haben.

Nach der Festnahme ihres einstigen Führungsduos zählt die bayerische W.E.G.-"Division" derzeit laut Landesamt für Verfassungsschutz noch rund 20 Aktive. Einigen Personen, die 2019 an Patrouillen der rechtsextremen Truppe in München beteiligt waren, wurde der Boden offenbar zu heiß. Sie löschten ihre einschlägigen Facebook-Profile oder entfernten Hinweise auf die Organisation. Andere zogen von dannen, weil sie enttäuscht über fehlende Unterstützung der Gruppe für die inhaftierten Gesinnungsgenossen waren. Dabei sind Unterstützer der rechtsextremen Organisation im Netz aktiv wie eh und je.

"Und wenn die ganze Welt gegen meinen Bruder wäre, würde ich hinter ihm stehen und ihm leise die Waffe geben", postet der Administrator der Facebook-Seite zwei Monate nach der Festnahme der Terrorverdächtigen. Der W.E.G.-Aktivist, der sich selbst offen als "braun" bezeichnet, wählt dazu das Datum von Hitlers Geburtstag. Jede Menge "Likes" gibt es dafür. Für mindestens zwei der W.E.G.-Unterstützer ist das jedoch zu wenig. Sie erklären: "Ich würde aber auch selber schießen."

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Quelle:
SZ vom 28.04.2021
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