Süddeutsche Zeitung

Mitgliederschwund in Sportvereinen:14 Klubs, ein entsetztes Staunen

Finanziell wirkt sich die Pandemie auf die Münchner Vereine erst jetzt so richtig aus, weil Tausende Mitglieder zum Jahresende gekündigt haben. Nun machen die großen Klubs Druck bei der Politik.

Von Andreas Liebmann

Wer ein Briefpapier entwirft voll hübscher bunter Logos, der wählt dafür üblicherweise auch einen positiven Slogan, etwas wie: "Wir bewegen Dich!"; einen Satz, der möglichst eingängig die eigenen Vorzüge betont. Vor einigen Tagen haben sich mehr als ein Dutzend Sportvereine in einem gemeinsamen Schreiben an die bayerische Staatskanzlei gewandt, an Minister und Bürgermeister, ihr Slogan darauf aber klang mindestens mal ungewöhnlich. Dort stand: "14 Großsportvereine - 10 000 Mitglieder weniger - keine Neueintritte."

In ihrem gemeinsamen Positionspapier stellen die unterzeichnenden Vereine - sieben aus dem Großraum München, sieben aus dem Rest Bayerns - mehrere Forderungen auf, darunter nach einer klaren Öffnungsstrategie für Sportstätten nach dem Lockdown, aber auch nach finanziellen Hilfen für die Klubs. Denn bisher, sagt Pia Kraske, Geschäftsführerin des ESV München, "kommen wir einfach zu kurz". Sie meint das in jeder Beziehung, finanziell, in den Konzepten der Politiker und in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit.

Das Jahr hatte noch gar nicht begonnen, da war den Vereinsverantwortlichen bereits klar, dass 2021 für sie mehr als nur eine ernste Herausforderung werden würde, sondern ein echter finanzieller Überlebenskampf. Schon 2020 war nicht einfach. Als die Sportstätten schlossen, schickten die Vereine ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit und versuchten gleichzeitig, Mitglieder mit Online-Angeboten bei der Stange zu halten. Finanziell aber wirkt sich die Pandemie erst jetzt richtig aus.

Mit den Kündigungsfristen zum Jahresende haben die Vereine im Schnitt mehr als zehn, einige bis zu 20 Prozent der Mitglieder verloren, angesichts geschlossener Sportstätten können sie aber auch keine neuen hinzugewinnen. Diese Beiträge fehlen, zusätzlich entgehen den Vereinen Einnahmen durch Kurse, Fitness- und Ferienangebote. Mit einem Minus von etwa einer halben Million Euro kalkuliert Veit Hesse, Geschäftsführer des MTV München. Bei anderen großen Breitensportvereinen sehe es ähnlich aus. Und sie befürchten durchaus "weitere Austritte", wie sie nun schreiben.

Der DFB-Vizepräsident Rainer Koch hat sich in einem Interview auf der verbandseigenen Homepage gerade dafür eingesetzt, dem Amateurfußball eine Perspektive zu eröffnen, für den Breitensport aber auch vor "Untergangsszenarien" gewarnt. "Signifikantere Zahlen an Austritten betreffen nach unseren Beobachtungen eher Großvereine", erklärt Koch - aber dazu zählen eben jene 14, für die das kein Trost, sondern Bestätigung ihrer Notlage ist.

Das neue Papier enthält einen "Forderungskatalog" - darin enthalten ist auch eine "Kopfpauschale" für jedes verlorene Mitglied geben

Denn im Gegensatz zu kleineren, ländlichen Vereinen haben städtische Großklubs hohe laufende Kosten, sie beschäftigen festangestellte Mitarbeiter, müssen vereinseigene Anlagen unterhalten, Kredite für Bauprojekte bedienen, sie jonglieren kleine Millionen-Etats. Von November- und Dezemberhilfe oder Überbrückungshilfe II hätten sie fast nichts gehabt, auch die angekündigte Verdoppelung der Vereinspauschale nützt ihnen kaum etwas, betonen sie; die würde oft nicht einmal die "Kosten für die Gebäudeversicherung" abdecken.

All das ist nicht neu. Die 14 Vereine hatten sich schon Anfang November in einem Brief an den Ministerpräsidenten gewandt und mit ihren Argumenten um ein Sonderförderprogramm für Vereine ersucht. Zurück kam ein unverbindliches Schreiben, das keinem weiterhalf. Der Ton ist nun direkter geworden, das neue Papier enthält einen "Forderungskatalog", darunter der Vorschlag einer "Kopfpauschale". Für die Dauer von zunächst zwölf Monaten solle es 240 Euro je verlorenem beziehungsweise nicht neu gewonnenem Mitglied als Corona-Sonderförderung geben.

Der Poinger Rainer Koch, im DFB für Amateure zuständig und zugleich Chef des Bayerischen Fußball-Verbands, sagt auch: Den Breitensport in der Diskussion außen vor zu lassen, "würde schlimme Folgen für unsere Gesellschaft haben, speziell bei den Kindern und Jugendlichen". Er zitiert eine Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO, der zufolge sich schon vor der Pandemie 80 Prozent der Jungen und 88 Prozent der Mädchen in Deutschland sportlich zu wenig bewegten. Die großen Breitensportvereine schlagen nun in dieselbe Kerbe: "Bereits der erste, mit zwei sportfreien Monaten deutlich kürzere Lockdown hat bei den Trainern ein entsetztes Staunen hinterlassen, wie sehr sich die Kinder und Jugendlichen motorisch verschlechtert haben", berichten sie.

Der Wegfall der Faschingsferien hat ein weiteres Loch in die Vereinskassen gerissen

Auch deshalb, und natürlich mit Verweis auf ihre wichtigen sozialen Funktionen, fordern die Vereine eine schnelle Rückkehr in den Sportbetrieb, klar und planbar geregelt mittels einer Sportampel: Vom 1. März an mit einer Sonderöffnung des Sports im Freien für Kinder und Jugendliche, bei Erreichen entsprechender Inzidenzzahlen dann schrittweise die Öffnung der Hallen und Erweiterung der Trainingsgruppen - alles unter Einhaltung geeigneter Hygienekonzepte. Unterhalb einer Inzidenz von 35 solle es keine Einschränkungen geben.

Auch für die Zulassung von Osterferienangeboten treten sie ein. Der Wegfall der Faschingsferien und aller dafür vorgesehenen Aktivitäten hat nämlich nicht nur ein weiteres Loch in die Vereinskassen gerissen, auch für Familien seien ihre Ferienbetreuungen wichtig. "Wir kriegen dazu Hilferufe vom Stadtjugendamt", berichtet Pia Kraske vom ESV.

Im November waren die Vereine mit ihren Anliegen eher zögerlich an die Öffentlichkeit getreten, auch das hat sich nun geändert. Alle gleichzeitig haben das Positionspapier verschickt, auf Webseiten gestellt, Videos und Instagram-Storys vorbereitet. Sie wollen Druck machen, und sie haben Geleitschutz. "Die Reihenfolge muss sein: Freiflächen zuerst, Hallen danach. Kinder und Jugendliche zuerst, dann alle anderen so schnell wie möglich", fordert etwa Beppo Brem, der Münchner Vorsitzende im Bayerischen Landes-Sportverband (BLSV), der das Schreiben ebenfalls verbreitet.

Dominik Friedrich, Vorsitzender der Münchner Sport-Jugend im BLSV, assistiert: "Es ist dringend notwendig, dass Kinder und Jugendliche wieder mehr Bewegungsmöglichkeiten haben. Stundenlang vor einem Bildschirm zu sitzen, ist Gift für alle." Die Sportvereine bräuchten jetzt "eine Perspektive, ein Licht am Ende des Tunnels", mahnt Brem. Und konkrete Hilfe.

Die unterzeichnenden Breitensport-Großvereine sind: ASV Dachau, ESV München, MTV München, SV-DJK Taufkirchen, TS Jahn München, TSV Haar, TSV Neuried, SV Wacker Burghausen, ATV 1873 Frankonia Nürnberg, MTV Bamberg, Post SV Nürnberg, TV 1848 Erlangen, TV Augsburg 1847, TV Fürth 1860. Sie vertreten etwa 90 000 Mitglieder.

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Quelle:
SZ vom 13.02.2021/van/lfr
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