Kasperltheater:Meister Hämmerleins Narrenfreiheit

Kasperltheater: Josef Schmid, bekannt auch als "Papa Schmid", erschuf Kasperlfiguren wie diese, die heute zur Sammlung des Stadtmuseums München gehören.

Josef Schmid, bekannt auch als "Papa Schmid", erschuf Kasperlfiguren wie diese, die heute zur Sammlung des Stadtmuseums München gehören.

(Foto: Sammlung des Stadtmuseums München)

Der Kasperl ist brav geworden. Das war er allerdings nicht immer, einst war er politisch, vorlaut, anzüglich. Für seine Spieltradition ist die Kasperlfigur inzwischen als immaterielles Unesco-Kulturerbe anerkannt. Ein Rückblick.

Von Magdalena Zumbusch

90 Prozent seiner Stücke stützten sich auf Krippenspiel oder Kasperltheater, sagte der Dramatiker Wolfram Lotz mal. Mit einfachsten Dialogen und klaren Moralbotschaften sind Kasperlstücke heute eindeutig Kinderunterhaltung. Aber wer einen Blick auf die Geschichte des Kasperltheaters wirft, kann sich vielleicht besser vorstellen, was Lotz inspiriert und die Kasperlfigur zum immateriellen Unesco-Kulturerbe gemacht hat: Bis zur Romantik war Kasperltheater - mit oft politischen Inhalten - klar an Erwachsene gerichtet.

Sicher zurückverfolgen lassen sich die Vorläufer der bayerischen Kasperlfigur jedenfalls bis ins 16. Jahrhundert: Auf Wanderbühnen tauchte damals auch im Raum des heutigen Bayern die "lustige Figur" auf, zuerst als Pausenfüller, später mit richtiger Rolle in den Stücken und oft für Handpuppen oder Marionetten.

Vorläufer der späteren Kasperlfiguren war die "lustige Figur" fahrender Bühnen

Die lustige Figur übernahm in dem "sprachgewandten und spontanen und stets politisch aktuellen Spiel", so beschreibt es der Theaterwissenschaftler Alexander Wessely, oft eine teufelsähnliche Rolle. In Süddeutschland und Österreich war die lustige Figur bald als "Meister Hämmerlein" bekannt ("Hammer" sei Synonym für den Teufel gewesen, so Wessely). Der Theaterwissenschaftler Herbert Hohenemser schreibt Hämmerlein Züge von gleich vier Figuren zu: Mit dem Teufel vermischt sah er Narren, Knecht und Bauern.

Die Figur war ungebildet, aber lebensschlau und lustig. Sie sprach aus, was alle hören wollten, aber sich nicht zu sagen trauten. Anzügliche Witze kamen auf die Bühne, aber auch Kritik an Obrigkeit und Standesdünkel der feinen Gesellschaft und der Kirche. Ungehemmt alles aussprechen und ungläubig zu sein, diese zwei Narrenprivilegien nahm auch die Hämmerlein-Figur für sich in Anspruch.

Der Name Kasper(l) scheint in Wien am Anfang des 19. Jahrhunderts die dort früher verbreitete lustige Figur "Hanswurst" abgelöst und sich dann verbreitet zu haben, so eine der Theorien zur Namensherkunft. Eine Figur mit kasperlähnlichen Zügen entwickelte sich übrigens im Puppentheater verschiedenster europäischer Länder: Pulcinella in Italien, Picklhering und später Mr. Punch in England oder Karagöz im türkischen Raum, um ein paar zu nennen.

Dass Kasperl und seine Verwandten in anderen europäischen Ländern Provokantes von sich gaben, legen nicht zuletzt Kasperls Verbote und Beschränkungen nahe. Maria Theresias Verbot für Kasperlaufführungen in Österreich im Jahr 1752 ist ein bekanntes Beispiel und Metternichs Anordnung, die dort ab 1810 nur noch stummes Kasperlspiel erlaubte. Aber auch im bayerischen Raum galten immer wieder Verbote.

Poccis Kasperl "Larifari" richtete sich an Erwachsene und an Kinder

Im Lauf des 19. Jahrhunderts startete dann die Neuerfindung der Figur, im bayerischen Raum durch den "Kasperlgrafen" Franz von Pocci und den Puppenspieler Josef Schmid: Schmid bekam mithilfe Poccis die Erlaubnis zur Eröffnung des bis heute bestehenden Münchner Marionettentheaters, dessen großer Fundus an Puppen von "Papa (Josef) Schmid" sich heute im Münchner Stadtmuseum befindet. Momentan wird die Sammlung nicht ausgestellt, im kommenden Jahr kann man den "Larifari" und seine Begleiter aber wieder im Stadtmuseum bewundern.

Der Stellenwert, den man als Gesellschaft der Kindheit und Kindererziehung beimaß, war in der Romantik ein neuer, und so entsprach Pocci letztlich dem Zeitgeist: Er sprach mit seinen im Münchner Marionettentheater aufgeführten Stücken Kinder an. Allerdings nicht nur, und das macht Poccis bayerische Kasperlfigur, den Kasperl "Larifari", besonders, bestätigt Mascha Erbelding, Leiterin der Puppensammlung am Münchner Stadtmuseum: Die Stücke richteten sich weiterhin auch an Erwachsene. Sie folgten einer kindgerechten Handlung - mit Anspielungen, die am kindlichen Publikum unbemerkt vorbeizogen und vom alten gesellschaftskritischen Kasper stammen könnten.

Kasperltheater: Fäden ziehen: Puppenspieler hinter der Bühne im Münchner Marionettentheater.

Fäden ziehen: Puppenspieler hinter der Bühne im Münchner Marionettentheater.

(Foto: Hermann Landshoff/ Sammlung des Münchner Stadtmuseums)

Der für Erwachsene und Kinder gleichermaßen unterhaltsame Kasperl tritt heute nur noch selten auf. Die Sprache sei für heutige Kinder schwer verständlich, meint Siegfried Böhmke, Intendant des Münchner Marionettentheaters. Die heute geschriebenen Kasperlstücke sind gegenüber Poccis Texten nochmal um einiges kindgerechter: Kasperl wird vom Erwachsenen zum Kind, mit Großmutter, statt mit Frau. Er spielt gerne mit seinem Hund oder hilft Polizisten, Räuber zu fangen, wie in Otfried Preußlers Kinderbuch "Räuber Hotzenplotz", das auch auf Kasperlbühnen heute teils zu sehen ist.

Ausnahmeerscheinungen wie "Doktor Döblingers geschmackvolles Kasperltheater" aus dem niederbayerischen Aiterhofen gibt es zwar noch: Unter Titeln wie "Im Haus der süßen Puppen oder Fleisch vergeht, Wurst besteht" erzählt diese (fahrende) Bühne Geschichten, die das Figurenrepertoire des Kasperltheaters aufgreifen. Den obrigkeitskritischen Kasperl der frühen Stücke trifft man hier aber nicht. Dafür fehlen hier und heute auch schon die autoritäre Obrigkeit und die starre gesellschaftliche Rangordnung, gegen die zumindest auf der Bühne aufzubegehren das Publikum so gut unterhielt.

Die alte rebellische Kasperlfigur ist heute also verschwunden, Poccistücke allerdings werden noch ab und zu aufgeführt: Intendant Böhmke etwa plant eine Pocci-Woche am Münchner Marionettentheater im kommenden Jahr. Wer bis dahin nicht warten will, kann sich vom Kinderkasperl unterhalten lassen: Der ist in den Weihnachtsferien auf verschiedenen Bühnen in und um München zu sehen.

Kasperls Spuikastl: Kasperl und da Mäusezauba, So., 8. Jan., 14.30 Uhr, Kasperl und de drei Wünsch, So. 8. Jan., 16 Uhr, Wirtshaus am Bavariapark, Theresienhöhe 15; Chiemsee Kasperltheater: Kasperl rettet den König, So., 8. Jan., 11.30 Uhr, Wirtshaus Leiberheim in Waldperlach, Nixenweg 9; Kasperl rettet Weihnachten, Fr., 24. Dez., 11 Uhr, Chiemseesaal in der Alten Rathausstr. 11, Prien

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