Süddeutsche Zeitung

Spezialeinheit der Justiz:Mehr als 2000 Verfahren gegen Extremisten und Terroristen

Die Zentralstelle zur Bekämpfung ideologisch motivierter Kriminalität zieht nach fünf Jahren Bilanz. Ermittler sehen sich mit einem neuen Typus von Tätern konfrontiert.

Von Joachim Mölter

Als das bayerische Justizministerium zum 1. Januar 2017 eine Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus bei der Generalstaatsanwaltschaft München einrichtete, da bot sich die prägnante Abkürzung ZET geradezu an für die neue Abteilung. Die könnte inzwischen freilich auch als ZETHA firmieren, denn in den vergangenen beiden Jahren sind die Aufgaben erweitert worden - um die Themen Hasskriminalität und Antisemitismus, wie Justizminister Georg Eisenreich (CSU) am Mittwoch bei der Fünf-Jahres-Bilanz der Spezialeinheit erläuterte.

In erster Linie dient die ZET der Koordinierung von Ermittlungen mit allen beteiligten Institutionen inner- und außerhalb von Bayern wie Landeskriminalamt, Verfassungsschutz, Generalbundesanwalt; besonders herausgehobene Fälle bearbeitet sie aber auch selbst. Seit ihrer Gründung hat sie mehr als 2000 Verfahren eingeleitet, fast die Hälfte davon, 970, im vorigen Jahr.

Minister Eisenreich erklärte das mit der Vergrößerung des Aufgabenspektrums: "Man kann die Zahlen nicht mit denen vom Anfang vergleichen." Gleichwohl wertete er den Anstieg als Beleg dafür, dass die ZET ein "Erfolgsmodell" sei. Entsprechend wurde sie auch personell aufgestockt - von vier Staatsanwälten zu Beginn auf mittlerweile zehn, darunter sechs Frauen.

37 Islamisten und vier Rechtsextremisten sind derzeit als Gefährder eingestuft

An der Spitze der ZET hat es nun einen Wechsel gegeben. Der Gründungschef Georg Freutsmiedl, 62, hat unlängst die Leitung der Landshuter Staatsanwaltschaft übernommen, an seine Stelle in München rückte bereits zum 1. Februar die Leitende Oberstaatsanwältin Gabriele Tilmann.

Wie Eisenreich würdigte auch Tilmann die Aufbauarbeit von Freutsmiedl. Der strukturierte die Abteilung noch unter dem Eindruck der islamistischen und rechtsextremen Terroranschläge des Jahres 2016 wie den Anschlägen in einer Regionalbahn in Würzburg, in der Altstadt von Ansbach, im OEZ in München, dem Polizistenmord in Georgensgmünd durch einen Reichsbürger sowie zuletzt auch noch dem Attentat auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin.

Für Tilmann ist die Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus inzwischen deutlich differenzierter und vielschichtiger geworden. Die 46-Jährige sieht die größte Herausforderung der ZET darin, auf die veränderten Gegebenheiten zu reagieren. So hat sich der Schwerpunkt der Verfahren von Taten mit islamistischem Bezug zu solchen mit rechtsextremem Hintergrund verlagert. Wie Eisenreich ausführte, seien 2021 wegen Rechtsextremismus 87 Verfahren eingeleitet worden und wegen Islamismus 80; dazu kam ein Anstieg beim Antisemitismus auf 55 Fälle von elf im Jahr zuvor.

Diese Verlagerung schlägt sich jedoch nicht bei der Definition von Gefährdern nieder. Nach Angaben von Freutsmiedl stufen die bayerischen Behörden derzeit vier Menschen aus der rechten Szene als Gefährder ein; aus dem islamistischen Spektrum sind es 37. Das kritisierte Cemal Bozoğlu, der Sprecher der Landtags-Grünen für Strategien gegen Rechtsextremismus. Die Grünen sehen noch "gewaltige Defizite" im Kampf gegen rechte Gewalt und rechtsextremen Terror: "Viel zu wenig gewalttätige Rechtsextremisten werden als ,Gefährder' unter besondere Beobachtung gestellt", monierte Bozoğlu.

"Der Gefährder kann überall sein und gerade daheim vor seinem Computer sitzen."

Wie Tilmann erklärte, ändere sich mittlerweile auch der Tätertypus: "Wir haben vermehrt Täter, die außerhalb festgefügter Strukturen oder Organisationen agieren wie RAF, NSU oder IS." Ein "sich selbst radikalisierender Einzeltäter" sei früher die Ausnahme gewesen; wobei die allein handelnden Täter sich durchaus als Teil einer virtuellen Gemeinschaft fühlen: "Der potenzielle Gefährder kann überall sein und gerade daheim vor seinem Computer sitzen."

Die Motivlage von Tätern sei ebenfalls nicht mehr eindeutig zu definieren, sagte Tilmann: "Es gibt oft eine Verquickung von ideologischer Motivation, persönlichen Beweggründen oder auch psychischen Erkrankungen." In diesen Bereich fielen auch manche Teilnehmer der Protestbewegung gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen, bei denen eine "Staatsfeindlichkeit jenseits von bekannten Phänomenbereichen" festzustellen sei, "vollkommen losgelöst von irgendeiner extremistischen Strömung".

Angesichts dieser Entwicklungen will Gabriele Tilmann die ZET weiterentwickeln zum Kompetenzzentrum in Sachen Staatsschutz. Sie sieht ihre Spezialeinheit als "Baustein der Sicherheitsarchitektur in Bayern".

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