Süddeutsche Zeitung

Corona-Regeln in Bayern:Erst der Profifußball, zuletzt die Kinder

Die Vorzugsbehandlung des Fußballs ist kaum noch vernünftig zu erklären, schon gar nicht Eltern von kleineren Kindern.

Kommentar von Joachim Mölter

Zu den Mysterien der Menschheit gehört es, dass der Mensch zwar in der Lage ist, Geschichte zu lehren, aber nicht imstande, daraus zu lernen. Er wiederholt die gleichen Fehler immer wieder, und sei es auch nur, weil er sie noch nicht selbst gemacht hat, sondern jemand anders. Die Briten zum Beispiel.

Die sind gerade zur Erkenntnis gekommen, dass es ein Fehler gewesen ist, zum Finale der Fußball-EM im Juli trotz steigender Corona-Inzidenzzahlen mehr Zuschauer ins Wembley-Stadion gelassen zu haben, als sie ursprünglich mal vorgehabt hatten, nämlich rund 65 000. Aus Daten der englischen Gesundheitsbehörde PHE geht nun hervor, dass knapp zehn Prozent der Anwesenden höchstwahrscheinlich infektiös gewesen sind oder sich bei dem Event angesteckt haben. "Dies sollte uns allen eine Warnung sein", sagte eine PHE-Direktorin bei der Vorstellung des Berichts.

Das war am vorigen Donnerstag offensichtlich zu spät für Bayerns Gesundheitsministerium. In der seit diesem Montag gültigen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung reagiert es mit allerlei Ein- und Beschränkungen auf die wieder steigenden Corona-Inzidenzzahlen, gewährt dem Fußball aber Erleichterungen und Lockerungen: Die zulässige Zuschauerzahl wird von 35 auf 50 Prozent der Stadionkapazität erhöht und zudem von jeglicher Inzidenzzahl abgekoppelt.

Man braucht sich da nichts vorzumachen, auch wenn in der Pressemitteilung der Ministeriums vom Freitag die Rede ist von "großen Sport- und Kulturveranstaltungen", für die die Lockerungen gelten: Dabei handelt es sich um eine Lex Profifußball, eine Ausnahme für den FC Bayern, den TSV 1860, Türkgücü, für Greuther Fürth, den 1. FC Nürnberg, Jahn Regensburg und wie sie alle heißen. Welche Kulturveranstaltungen sollten das denn sein, deren Kapazität demnächst erhöht werden könnte? Im Olympiastadion sind in absehbarer Zeit jedenfalls keine Open-Air-Konzerte geplant.

Die Vorzugsbehandlung des Fußballs ist kaum noch vernünftig zu erklären, schon gar nicht Eltern. Die beklagen sich mit einigem Recht über die teils undurchsichtigen und komplizierten Regelungen, die nun für ihre Kinder gelten, sofern sie gerade sechs Jahre alt sind.

Wenn man eine Klarstellung des Ministeriums vom Montag richtig versteht, dann müssen Schüler in den Ferien kein negatives Testergebnis vorzeigen, wenn sie im Rahmen des Schulunterrichts regelmäßig getestet werden, der in Bayern aber erst nach den Ferien wieder beginnt. Und was ist mit einem sechs Jahre alten Kind, das erst im September eingeschult wird? Das soll vermutlich lieber gleich Fußballprofi werden, um's mal leichter zu haben.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5389774
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.08.2021
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.