Brauchtum im Wandel:Feste des Todes am Anfang des Totenmonats

Halloween

Bei jungen Menschen beliebt, bei älteren verachtet: Halloween.

(Foto: dpa)

Wenn der November beginnt, prallen Feste aufeinander, die gegensätzlicher kaum sein könnten: In stille kirchliche Feiertage platzt das schrille Halloween. Das hängt auch mit dem Golfkrieg im Irak zusammen.

Von Hans Kratzer

Die Zeit rast wie entfesselt dahin, die Gesellschaft ächzt unter dem Diktat der Beschleunigung. Längst hat diese bedauerliche Entwicklung viele bewährte Traditionen und Lebensformen hinweggefegt. Umgekehrt ist es aber eine Seltenheit, dass sich neue Bräuche dauerhaft im Alltag etablieren. Umso interessanter war zu beobachten, wie in den vergangenen 20 Jahren ein Brauch herangewachsen ist, der den seltsamen Namen Halloween trägt und sich mittlerweile in allen Ecken des Landes eingenistet hat. Besonders beim Partyvolk und bei Schulkindern erfreut sich dieses Phänomen großer Beliebtheit. Bei älteren Herrschaften löst dieser Brauch hingegen Abneigung aus und sogar die Angst, er besiegle den Untergang des Abendlandes endgültig.

Dass der Zinnober aus Amerika kommt, macht die Sache aus Sicht der Gegner grundverdächtig. Es gehe doch nur um Kommerz, belfern sie. Es gibt aber ein noch gravierenderes Problem. Die kulturellen Verwerfungen, die Halloween mit sich gebracht hat, hängen stark damit zusammen, dass sich der Brauch an einer sensiblen Nahtstelle im Kirchenjahr eingenistet hat. Zum einen feiern die Protestanten am 31. Oktober den Reformationstag, zum anderen erreicht das Halloweentreiben seinen Höhepunkt in der Nacht zum 1. November, also kurz vor Allerheiligen und Allerseelen, zwei wichtigen Feiertagen der katholischen Kirche. An ihnen gedenken die Gläubigen der Heiligen und der Toten sowie der Hoffnung auf die Auferstehung.

Allerheiligen Friedhof St. Paul Erding Gräber Umgang

Am 1. November, am Fest Allerheiligen, besuchen viele Menschen die Gräber ihrer Angehörigen.

(Foto: Stephan Goerlich)

Allerheiligen berührt junge Menschen: Es ist ein gesetzlicher Feiertag, an dem ein Tanzverbot gilt

Üppige Traditionen umranken diesen Doppelfeiertag seit alters her. Scharen von Menschen besuchen beispielsweise die Gräber ihrer Verwandten. Es prallen also Welten aufeinander, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen. Halloween überdecke auf ungebührliche Weise den Reformationstag, wettern Protestanten. Halloween lenke aggressiv von Allerheiligen ab, schimpfen Katholiken. Und doch kommt es bei jungen Menschen gut an, dass Halloween laut, schrill und schräg den Totenmonat November einläutet, während die stillen christlichen Feste Allerheiligen und Allerseelen an Kraft und Zuspruch verlieren. Der modernen Stadtjugend ist zumindest Allerseelen, das am 2. November gefeiert wird, überhaupt kein Begriff mehr, wer das Wort erwähnt, erntet nur noch Schulterzucken.

Allerheiligen berührt die jungen Menschen insofern, als es ein gesetzlicher Feiertag ist und ein stiller Tag, an dem Tanzverbot herrscht. Für manchen Partygänger ist es schwer zu ertragen, dass die Lustbarkeit nach Mitternacht gesetzlich beendet werden muss. Immerhin fließen die Online-Portale schier über mit Ankündigungen von Halloween-Partys.

Was dabei kaum beachtet wird: Es gibt tatsächlich erstaunliche Überschneidungen des Halloween-Kults mit dem katholischen Totenzyklus an Allerheiligen. "Fest der Toten" lautet beispielsweise das Motto einer Münchner Party, die an diesem Mittwochabend mit Straßenzug und gruselig verkleidetem Feiervolk vonstatten gehen soll. Sofort fällt einem der Videoclip zu Michael Jacksons Welthit "Thriller" von 1983 ein, in dem Tote aus den Gräbern steigen und zuckend über den Friedhof wandeln. Es sind genau jene Bilder, die auch den alten katholischen Volksglauben prägen. Zumindest auf dem Land hat man sich noch vor einigen Jahrzehnten die Mär erzählt, in der Nacht auf Allerseelen wandelten die Toten über die mit Grabkerzen beleuchteten Friedhöfe. Hier offenbart sich - als eine Laune der Globalisierung - eine erstaunliche Verknüpfung von Gegenwelten.

Es bleibt die Frage, warum das amerikanische Halloween so unvermittelt in den deutschen Kulturkreis eingedrungen ist und sich im Herbstbrauchtum so dauerhaft festsetzen konnte. Diese Entwicklung hängt wohl mit dem zweiten Golfkrieg im Irak zusammen. Seinetwegen wurden 1991 in Deutschland Bälle und Rosenmontagszüge abgesagt, die Händler blieben auf ihren Faschingsartikeln sitzen. Im folgenden Herbst wurde der als traumatisch empfundene Ausfall kompensiert. Die Faschingsgaudi wurde nachgeholt, Halloween statt Karneval lautete die Parole. Und es sollte nicht bei diesem einem Male bleiben, die Schleusen für einen dauerhaften Halloweenspaß waren geöffnet.

Die deutsche Spielwarenindustrie propagierte jenes schräge Fest aus den USA damals nach Kräften. Hexenkostüme, Teufelsmasken, Kürbisfratzen und Süßwaren fanden einen neuen, äußerst fruchtbaren Absatzmarkt. Und es erwies sich als günstig, dass Hollywood-Filme mit Vampiren, Geistern und allerlei Horrorgestalten in jener Zeit extrem populär waren. Das Gruselfest Halloween eroberte Deutschland quasi im Handstreich. Plötzlich tauchten Kinder in Gespensterklamotten an den Haustüren auf und riefen nach braver US-Sitte "Süßes oder Saures!". Und schon war Allerheiligen umrahmt von Halloween-Partys, Süßwaren in Form von Horrorfiguren, Schaufenstern voller Strohhexen, Zombies und künstlichen Spinnweben. Selbst im Münchner Tierpark Hellabrunn (man beachte die Klangähnlichkeit zu Halloween) werden den Tieren in diesem Jahr Kürbisse und entsprechender Futterinhalt überreicht, auf dass auch sie ein bisserl Halloween-Feeling genießen dürfen.

Für Brauchexperten öffnet diese Thematik ein üppiges Forschungsfeld, Halloween ist für sie so etwas Ähnliches wie eine Supernova für Astronomen. "Bräuche fallen nicht vom Himmel, sie kommen auch nicht aus der Volksseele. Sie werden erfunden, wenn man sie braucht", sagt die Ethnologin Helga Maria Wolf. Der Münchner Volkskundler Hans Moser hatte schon vor Jahrzehnten mit jenen antiquierten Vorstellungen aufgeräumt, wonach die Bräuche allesamt in grauer Vorzeit entstanden und von einem allgemein waltenden Volksgeist in ewiger Kontinuität über uns gekommen seien. Anders ausgedrückt: Geschichte bedeutet Veränderung, Prozess, Wandel, und das gilt für Bräuche ganz genauso.

Der Brauch trägt lächerliche Züge, wenn gwamperte Wohlstandskinder um Süßigkeiten betteln

Beachtenswert ist, dass Halloween auch die alten bayerischen Heischebräuche wiederbelebt hat. In der bäuerlichen Gesellschaft von einst erfüllten Bräuche wichtige soziale Funktionen. Es war eine karge Zeit, in der sogar Hüterbuben beitragen mussten, die Existenz der Familie zu sichern. Laut überliefertem Recht durften Kinder für gewisse Leistungen Geld oder Lebensmittel erbetteln. Daran erinnert der Klopferbrauch, der auf dem Land hie und da noch gepflegt wird. In den Klöpfelsnächten im Advent klopften Kinder und Dienstboten verkleidet an den Türen der Bauernhöfe, sangen ein Lied und baten um eine milde Gabe. Das Klöpfeln war eine wichtige Versorgungsquelle für Arme. Der Name Kletzenklopfer rührt daher, dass unter den Gaben oft Kletzenbrote waren (Kletzen sind gedörrte Birnen). Heute ist an die Stelle des Klöpfelns der Bettelbrauch an Halloween getreten (Süßes oder Saures!), der aber mit dem ursprünglichen Heischegedanken nichts mehr gemein hat und vereinzelt sogar aggressive Züge trägt. Ganz zu schweigen davon, dass der Brauch lächerliche Züge trägt, wenn gwamperte Wohlstandskinder um Süßigkeiten betteln, der Anblick ist fast zum Erbarmen.

Halloween-Party im Jugendhaus La Vida in Wolfratshausen

Süßes oder Saures! Wenn mit diesem Spruch an Halloween Süßigkeiten gesammelt werden, hat das mit den alten Heischebräuchen wenig gemein.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Die Globalisierung hat den dynamischen Prozess des Brauchwandels extrem beschleunigt. Manchmal aber scheint es nur so, als etablierten sich hierzulande zunehmend Bräuche aus anderen Kulturen. "Eine Wurzel des amerikanischen Festes Halloween führt eindeutig zum europäischen Armen-Seelen-Glauben des Hochmittelalters", sagt Helga Maria Wolf. Hier wird quasi eine uralte europäische Tradition aufgenommen, wenn auch mit stark kommerzieller Komponente. Bräuche, die sich in abergläubischer Zeit um die mythischen Kräfte der Natur rankten, werden aber vermutlich nicht mehr zurückkommen. Wenn etwa ein Bauer früher im Wald einen Baum umgehauen hatte, ritzte er mit dem Beil drei Kreuze in den Baumstock ein, damit die armen Seelen darauf rasten konnten. Man glaubte, dass diese in der Raunacht von Dämonen verfolgt würden. Was für ein großartiger Stoff für künftige Videoclips von Rappern und Hiphoppern.

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