Corona und rechte Parolen:Das Virus schürt den Antisemitismus

Coronavirus - München - Protest gegen Maßnahmen

Protest gegen die Corona-Maßnahmen auf der Theresienwiese in München.

(Foto: dpa)

Die Fachstelle RIAS registriert einen Anstieg der Vorfälle mit Bezug auf das Virus - auch in München. Bei Demos werde auch der Holocaust verharmlost.

Von Jakob Wetzel

Es ist nur der jüngste Fall: Im U-Bahnhof Quiddestraße in München-Neuperlach hat jemand unlängst in roter Farbe "Impfen macht frei" auf ein Werbeplakat gekritzelt. Darunter werden aktuelle Spitzenpolitiker mit Adolf Hitler in Verbindung gebracht, unter anderem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. "Ghetto Widerstand sofort" heißt es noch, und darüber steht das Kürzel "NWO" - das steht für die unter Verschwörungsideologen verbreitete Vorstellung einer "Neuen Weltordnung", in der eine kleine, meist jüdisch markierte Elite angeblich den Rest der Menschheit beherrschen soll.

Vorfälle wie diesen verzeichnet die "Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus" (RIAS) im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie immer wieder. Nun hat RIAS Bayern nachgezählt: Seit Beginn der Pandemie hat die Stelle alleine im Freistaat 94 antisemitische Vorfälle mit Bezug auf das Virus registriert, teils auf "Querdenker"-Demonstrationen, teils losgelöst von diesen. 25 von ihnen ereigneten sich RIAS Bayern zufolge in München.

Die Bandbreite reicht von Parolen, Plakaten und Schmierereien, auf denen das Virus oder die künftig wohl mögliche Impfung mit einer Weltverschwörung in Verbindung gebracht wird, bis zur Verharmlosung des Holocaust und damit zur Verhöhnung der Opfer. Mal geschieht das durch die eigene Identifikation mit Widerstandskämpfern wie den Geschwistern Scholl, mal durch Sprüche wie "Ghetto Widerstand" oder "Impfen macht frei", eine Anspielung auf den zynischen Spruch "Arbeit macht frei" an den Toren zu einigen Konzentrationslagern der Nazis. Erst vor wenigen Tagen hat ein Kreisverband der AfD eine Fotomontage verbreitet, auf der in einem solchen Eingangstor "Impfung macht frei" zu lesen war. Ende Oktober haben Unbekannte in Grafing und Glonn mehrere Ladentüren, an denen auf die Maskenpflicht hingewiesen wurde, mit Plakaten beklebt, auf denen "Juden werden hier nicht bedient" stand.

RIAS Bayern erfasst seit April 2019 mit Förderung der Staatsregierung antisemitische Vorfälle im Freistaat, um das Ausmaß von Antisemitismus im Alltag deutlicher sichtbar zu machen. Die Vorfälle bewegen sich häufig unterhalb der Grenze zur Strafbarkeit. 2019 hatte RIAS Bayern insgesamt 178 antisemitische Vorfälle erfasst. "Die von uns seit Beginn der Coronademos beobachteten Verharmlosungen der Schoah sind ein Schlag ins Gesicht der jüdischen Bevölkerung Bayerns, für die die Schoah Familiengeschichte ist", sagt RIAS-Bayern-Leiterin Annette Seidel-Arpacı. Die antisemitische Vorstellung einer jüdischen Weltverschwörung sei auf Corona-Demos weit verbreitet. "Oftmals reichen Chiffren wie 'New World Order', 'Zionisten' oder 'Rothschilds', und es ist klar, wer gemeint ist: 'die Juden'."

In einer früheren Version des Artikels hieß es, RIAS Bayern erfasse seit April 2019 antisemitische Vorfälle "im Auftrag" der Staatsregierung. Richtig ist, dass die Arbeit von RIAS Bayern vom Freistaat gefördert wird; es handelt sich aber um eine zivilgesellschaftliche Stelle. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

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