Lesenswert:Bayerische Pionierinnen, die vergessen wurden

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Rosa (Ossi) Reichert (1925-2006) war die erste bayerische Olympiasiegerin im Skilaufen. (Foto: privat)

"Ich war die Erste": Die Autorin Adelheid Schmidt-Thomé porträtiert in ihrem neuen Buch einst bekannte Frauen aus dem Freistaat, die aus der allgemeinen Erinnerung fast verschwunden waren.

Von Sabine Reithmaier

Viermal startete Maria Kießling 1920 bei den Deutschen Leichtathletikmeisterschaften in Dresden. Und viermal holte die 26-jährige Münchner Sportlerin Gold für den TSV 1860, gewann jeden Wettbewerb, der für die erstmals überhaupt zugelassenen Frauen ausgeschrieben war: 100-Meter-Sprint, Weitsprung, Kugelstoßen und 4x-100-Meter-Staffel. Ihre Leistung ist bis heute unerreicht, wird wohl auch nicht mehr übertroffen werden. Damit passt die Leichtathletin ideal in das Buch "Ich war die Erste" (Allitera), mit dem Adelheid Schmidt-Thomé in Kurzporträts an bayerische Pionierinnen erinnert.

Die Historikerin, Autorin und Stadtführerin spürt seit Jahren Frauen nach, die zu ihren Lebzeiten bekannt und präsent waren, inzwischen aber fast vergessen sind. Das Buch gliedert sich nach fünf Tätigkeitsbereichen: Bildung und Wissenschaft, Wirtschaft und Handwerk, Sport und Flug, Politik und Gesellschaft, Kunst und Kultur. Die Kapitel folgten einer Art Chronologie der Frauenbewegung, merkt Schmidt-Thomé an, den Anfang machen daher die Frauen, die sich im 19. Jahrhundert für die Ausbildung von Mädchen engagierten. Daher steigt die Autorin mit einer berühmten Pionierin der Frauenbildung ein: Karolina Gerhardinger, die 1833 in Neunburg vorm Wald die Kongregation der Armen Schulschwestern von Unserer Lieben Frau gründete, ein Orden, der bis heute in Europa, den USA und natürlich auch in München wirkt.

Das Spektrum reicht von der ersten Rabbinerin bis zur ersten Dialekt-Rapperin

Gegen das Vergessen anzuschreiben, sei ein Beweggrund für das Buch gewesen, teilt Schmidt-Thomé im Vorwort mit. Eine Pionierleistung ist das freilich nicht, dafür haben schon zu viele andere Autorinnen in diese Richtung geforscht. Erinnert sei nur an "Bayerns Töchter" (2015 ebenfalls bei Allitera erschienen), 80 Frauenporträts aus fünf Jahrhunderten, fundiert und kenntnisreich geschrieben von Marita A. Panzer und Elisabeth Plößl. Doch während in diesem Buch die Darstellungen mit der Kriegsgeneration enden, porträtiert Schmidt-Thomé auf jeweils einer Doppelseite auch Frauen bis in die jüngste Gegenwart, Hauptsache, sie haben als Erste etwas geleistet.

Anna Maria (Nannette) Streicher (1769-1833) leitete als erste Frau eine der großen Klavierbaumanufakturen Europas. (Foto: privat)

Das muss nicht unbedingt etwas Großartiges gewesen sein. Entsprechend breit ist das Spektrum, reicht von Annette von Aretin, der ersten Fernsehansagerin des BR, über Gabriele Weishäupl, der ersten und bisher einzigen Chefin des Münchner Fremdenverkehrsamts, oder der Nürnbergerin Antje Yael Deusel, der ersten nach der Schoa in Deutschland ausgebildeten und ordinierten Rabbinerin, bis hin zu Maria Reiser, der ersten bayerischen Dialekt-Rapperin. Manche Pionierleistung könne man für Bagatellen halten, konstatiert auch Schmidt-Thomé. "Aber solange es eine Sensation ist oder einen Zeitungsartikel wert, wenn Frauen in Berufe oder Positionen vordringen, die ihnen bisher verschlossen waren - so lange ist es eben keine Nebensächlichkeit."

Wer kann schon auf Anhieb den Namen der ersten Börsenchefin Deutschlands nennen - Christine Bortenlänger von 2000 bis 2012 - oder den der ersten deutschen Schauspielagentin Erna Baumbauer (1919-2010). Vielleicht gibt es noch Sportfans, die sich an Anna Hübler-Horn (1885-1976) erinnern, die erste deutsche Olympiasiegerin, die 1908 in London mit ihrem Partner Heinrich Burger im Eiskunstlauf der Paare Gold holte. Oder an Rosa (Ossi) Reichert (1925-2006), die erste bayerische Olympiasiegerin im Skilaufen.

Zäher Wille war immer notwendig

Zu allen Zeiten jedenfalls benötigten die Frauen neben ihren Fähigkeiten einen enorm zähen Willen, um sich durchzusetzen. Die Münchnerin Elisabeth Winterhalter (1856-1952) kämpfte mehr als ein Jahrzehnt, bevor sie 29-jährig in Zürich das Abitur nachholen und Medizin studieren durfte. Später war sie die erste deutsche Chirurgin, die 1895 einen Bauchschnitt ausführte. Zur Entspannung rauchte sie schwere Zigarren, was der Schriftsteller Gerhard Hauptmann fasziniert beschrieb. Oder Elsbeth Steinheil (1893-1955), die erste deutsche Diplomingenieurin im Fach Maschinenbau. Den Titel erwarb sie 1917, arbeitete dann in der väterlichen Firma "Optisch-astronomische Anstalt C.A. Steinheil & Söhne" mit. Dass sie schon nach einem Jahr wieder aufhörte und den Chefingenieur der Firma heiratete, enttäuschte den Vater, den Physiker Rudolf Steinheil, der ihren "Rückfall in atavistische Neigungen" beklagte. Verglichen mit den Hürden, die diese Frauen bewältigen mussten, ist es heute deutlich einfacher, auf der Hündeleshütte am Edelsberg bei Pfronten ausschließlich vegetarisch-vegane Kost anzubieten, was Silvia (Silli) Beyer, Jahrgang 1965, seit einigen Jahren macht. Auch eine erfolgreiche "Erste", allen Unkenrufen von Fleischessern zum Trotz.

Katharina Gruber (1875-1962) gründete als erste Frau ein Schreibbüro in München. (Foto: privat)

Was die Rekord-Leichtathletin Maria Kießling (1894-1984) betrifft, so zog sie sich 1921 aus dem aktiven Sport zurück. Kurz zuvor hatte sie in Hamburg noch einige Weltrekorde gelaufen, die aber nie als solche zählten. Der zuständige Internationale Frauenverband, der die Rekorde führte, wurde erst 1922 gegründet. Kießling heiratete den Architekten Hans Döllgast, viel mehr weiß man nicht über ihr weiteres Leben. In München jedenfalls erinnert nichts an sie.

Im Übrigen gibt es jede Menge erste Positionen, die Frauen noch nie innehatten. Der Posten der Bayerischen Ministerpräsidentin wartet beispielsweise bis heute auf seine Besetzung.

Adelheid Schmidt-Thomé: Ich war die Erste. Bayerische Pionierinnen im Porträt. Allitera 2022, 19,90 Euro.

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