Bayerisches Staatsschauspiel:Vom kurzen Leben der Wünsche

"Leere Stadt", "Von morgens bis mitternachts", "Ritter, Dene, Voss": Gleich drei Premieren gibt es am Bayerischen Staatsschauspiel.

Sabine Leucht

Der eine heißt Gjore, der andere Gjero. Der eine ist gefesselt, der andere hält eine Waffe in der Hand. Und dann spricht Gjore den ersten Satz: "Aus der ganzen Scheißarmee musstest du ausgerechnet mich nehmen."

Bayerisches Staatsschauspiel: Zwei, die sich im Bruderkrieg bekämpfen, stehen im Mittelpunkt von Dejan Dukovskis "Leere Stadt" mit Felix Klare (oben) und Marcus Calvin.

Zwei, die sich im Bruderkrieg bekämpfen, stehen im Mittelpunkt von Dejan Dukovskis "Leere Stadt" mit Felix Klare (oben) und Marcus Calvin.

(Foto: Foto: Dashuber)

Dejan Dukovski, 1969 in Skopje geboren, lässt in "Leere Stadt" zwei Brüder zwischen feindlichen Lagern aufeinander treffen. Jeder der beiden weiß, dass seine Armee im Morgengrauen einen Vorstoß plant. Da ist die Kain-und-Abel-Geschichte, ist die Waffe in der Hand des ewigen Kleinen Bruders auf einmal nicht mehr wichtig. Das wahre Problem ist der schlagartig verdoppelte Feind, ist die Gewissheit des nahen Todes und die Frage: Was tun mit den verbleibenden Stunden?

Die Bruderkriege auf dem Balkan spielen die Hintergrundmusik zum Drama des Makedoniers. Wie schon in Dukovskis in den Neunzigern international erfolgreichem Stück "Das Pulverfass" wird der große, politisch längst nicht mehr auflösbare Konflikt in den Schoß des Zwischenmenschlichen zurückgestoßen, aus dem er einst kroch.

Im Marstall, wo heute um 20 Uhr Alexander Nerlich die deutschsprachige Erstaufführung des 2007 in Kopenhagen uraufgeführten Dramas besorgt, wird die titelgebende Stadt ein verlassener Spielplatz sein. Denn was Gjore und Gjero in ihren letzten Stunden treiben, ist ein jungenhaftes Kräftemessen mit Worten, das große Emotionen an die trivialsten Dinge hängt. Eine Trivialität, so Joachim Ruckhäberle, die dem Autor jedoch nicht einfach unterlaufe.

Der Chefdramaturg des Bayerischen Staatsschauspiels insistiert auf den komplexen Verweischarakter dieses Bruderkriegs im Kleinen. Und was sich dank des sparsamen Machotons der Dialoge und des geisterstadthaften Settings teils wie ein Western liest, erzählt auch die Geschichte einer Rettung - durch das Erzählen von Geschichten: "Was zählt", schreibt die Dramaturgin Angela Obst in einem Essay zum Stück, "ist, dass erzählt wird, nicht was."

Wenn Gorje und Gjero also für ihre allerletzte Sause eine Bank kapern, Klamotten kaufen, ins Bordell und in die Kirche gehen und rauchen, dann erfinden sie dabei das Vergangene immer wieder neu, als würde der Tod auf die Wahrheit warten und das Lügen - oder das Spiel? - könne ihn aufhalten helfen.

Mit "Leere Stadt" beginnt der Premierenreigen, zu dem das Staatsschauspiel um das vierte Adventswochenende herum bittet. Am Samstag wird Tina Lanik im Residenztheater Georg Kaisers fast vergessenes Drama "Von morgens bis mitternachts" inszenieren (19Uhr). Am Sonntag folgt Thomas Bernhards "Ritter, Dene, Voss" in der Regie von Antoine Uitdehaag im Cuvilliéstheater (19.30 Uhr). Was aber verbindet die Kriegsparabel eines Zeitgenossen, den rasenden Sturzflug eines Kassierers von 1917 und die in Hirn- und Familiengespinsten heillos verhedderten Selbstausstülpungen des Grantlers aus Österreich? Joachim Ruckhäberle antwortet darauf mit zwei Fragen: "Was will der Mensch, wenn er sich was wünscht? Und: Wohin führen Wünsche, wenn sie leer sind?"

Wie alle Bernhard-Figuren sind auch die drei Geschwister in "Ritter, Dene, Voss" mit den Problemen ihres Autors in einen Raum gesperrt, wo sie sich die Schuld für ihre im Keim erstickten Wünsche wechselseitig in die Schuhe schieben. Bernhards Liebeserklärung an die Schauspieler Ilse Ritter, Kirsten Dene und Gert Voss, die diese Rollen in der Uraufführung 1986 spielten, handelt aber auch von der Überprüfbarkeit der Welt durch Sprache. Denn Voss, der im Stück Ludwig Worringer heißt und als Melange des Sprachphilosophen Ludwig Wittgenstein und seines manisch-depressiven Neffen Paul angelegt ist, kann die Balance nicht halten "zwischen der Wahrnehmung der Realität und der virtuellen Welt im eigenen Kopf" - für Ruckhäberle ein weiteres Thema, das in allen drei Stücken eine Rolle spielt.

Dukovskis Brüder sind ihren "leeren" Wünschen nur eine Nacht, Kaisers Kassierer ist ihnen "von morgens bis mitternachts" ausgeliefert. Alle drei besuchen derweil ähnliche Orte, die für Ruckhäberle allesamt "Heterotopien" sind: Foucaults "Orte außerhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können". Es sind Orte, anhand derer, so Ruckhäberle, "ein künftiger Archäologe erkennen kann, was unser städtisches Leben ausgemacht hat". Aber sie sind auch durch die Vorstellung deut- und dehnbar. Da ist zunächst die Bank, in der der Kassierer das Leben als Tauschgeschäft kennen lernte. Dort hat er an der "Dame" zuerst den Duft der weiten Welt gerochen, dem er mit fünfzig Mille Papiergeld und zehn Mille Gold hinterher zu hetzen beginnt. Auf der Flucht vor dem Bankdirektor, aber vor allem auf der Suche nach etwas, "das den vollen Einsatz lohnt", wie es im Stück heißt, mache der Kassierer "Bungeejumping mit Geld", so Ruckhäberle: Beim Sechstagerennen spendet er Unsummen als Gewinn für die Erstplatzierten und ist dabei nur an den brodelnden Emotionen der Massen interessiert - und an der Gefahr.

Allen Verheißungen kurzfristig auf den Leim gehend, setzt der Kassierer voraus, dass alles in der Welt sich prostituiert. Dabei hat Kaiser die Reality-Shows unserer Zeit nicht gekannt. Seine Geschichte einer rasch voranschreitenden Ent-Täuschung endet mit einem Schuss des Kassierers in die eigene Hemdbrust und einer Schlussfolgerung, die aus all den expressionistischen Sprachwirbeln des Stückes als überraschend sachlich heraus sticht: "Man kauft immer weniger, als man bezahlt."

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