Ballett:Die Magie des Tanzes

Ballett: Die Parkettgarderobe der Oper wird zum Meer: Severin Brunhuber und Sinéad Bunn, Ensemble-Mitglieder des Staatsballetts, tanzen im Kinderstück "Wie der Fisch zum Meer fand".

Die Parkettgarderobe der Oper wird zum Meer: Severin Brunhuber und Sinéad Bunn, Ensemble-Mitglieder des Staatsballetts, tanzen im Kinderstück "Wie der Fisch zum Meer fand".

(Foto: Ksenia Orlova)

Laurent Hilaire fand durch Zufall zum Ballett, später stieg er an der Pariser Oper zu einem Star-Solisten auf. Als Direktor des Bayerischen Staatsballetts will er Kinder und Jugendliche für den Tanz begeistern - aber wie?

Von Jutta Czeguhn, München

Wie der Fisch zum Meer fand? Nun, er war immer schon dort. Es braucht aber eine Weile, bis er das begreift und damit aufhört, sich an der eigenen Schwanzflosse festzuhalten zu wollen, aus Panik unterzugehen. Bereits 1944 hat der britische Religionsphilosoph und Autor Alan Watts diese wundervolle Parabel geschrieben. Es geht um große Emotionen, um das Erschrecken darüber, sich plötzlich allein auf der Welt zu finden. Und um das wohlig warme Gefühl, aufgehoben, Teil von etwas zu sein, mittendrin.

Wie die 40 Kinder, die in der Parkettgarderobe der Staatsoper ihre kleinen Hälse drehen und wenden. Denn dort, wo sonst die Erwachsenen den Garderobieren beiläufig Mäntel und Jacken aushändigen, gleiten Schildkröten, Quallen und Flundern, projiziert, an Decken und Wänden. Es gluckert und blubbert. Wie im echten Aquarium mit den drei sehr lebendigen Goldfischen auf dem Garderobentresen, hinter dem Christine Börsch-Supan, die Erzählstimme und Soundeffektfrau in diesem Theaterstück, mit einem Strohhalm Luftblasen in ein Wasserglas pustet. Und dann sind da noch drei andere recht große Fische, die sich zwischen den grauen Matten, auf denen die Kinder sitzen, bewegen. Judith Seibert, Severin Brunhuber und Sinéad Bunn tanzen. Die meisten der Vier- bis Sechsjährigen an diesem Vormittag in der Staatsoper haben so etwas wohl noch nie gesehen: Ballett.

Ballett: Laurent Hilaire, Direktor des Bayerischen Staatsballetts, möchte sein Haus für alle öffnen.

Laurent Hilaire, Direktor des Bayerischen Staatsballetts, möchte sein Haus für alle öffnen.

(Foto: Julian Baumann)

Wie Laurent Hilaire zum Ballett fand? Nun, durch Zufall. Man trifft den nach fünf Monaten im Amt immer noch sehr neuen Direktor des Bayerischen Staatsballetts in seinem Büro im Probenhaus Am Platzl. Eben ist im Nationaltheater die Vorstellung des Tanztheaterstücks um den verwirrten Goldfisch zu Ende gegangen, und die kleinen Gäste aus dem Fröbel-Haus für Kinder an der Mainzer Straße haben sich schnatternd auf den Nachhauseweg nach Schwabing begeben. Hilaire, 59, eine große, noble Erscheinung, beginnt zu erzählen, wie er den Tanz für sich entdeckte. Er, der später zu den "bébés Noureev" (Nurejew-Babys) an der Opéra de Paris zählte, jene Generation phänomenaler Solistinnen und Solisten, die der legendäre Russe als Direktor förderte und zu Étoiles ernannte.

Der Zufall also wollte es, dass Laurent Hilaire zu einem der Sterne der Pariser Oper wurde. Denn als Kind wollte er Turner werde, trainierte hart, nahm an Wettbewerben teil. Dann aber zog die Familie um, in der neuen Stadt gab es keinen passenden Turnverein. Über Freunde seines Bruders erfuhr er von einer Ballettschule. "Meine Eltern fanden, ich brauchte etwas, um meine Energien zu kanalisieren", sagt er. Die Lehrerin in der Ballettschule erkannte das Talent des Buben und riet ihm, sich an der berühmten École de l'Opéra de Paris zu bewerben. Die nehmen bekanntlich nicht jeden. Mit elf begann er seine Ballettausbildung dort. Drei Monate später stand er schon auf der Bühne, als kleiner Page mit all den Étoiles im "Dornröschen", den gesamten dritten Akt über, jeden Abend, einen Monat lang. "Undenkbar heute!" Aber um Laurent Hilaire war es geschehen. "Ich war völlig verführt von der Magie des Balletts!" Nie zuvor hatte er eine Vorstellung erlebt. "Meine Eltern waren nicht arm, aber wir lebten außerhalb von Paris, sind vielleicht einmal im Jahr ins Kino gegangen."

Ballett: Regisseurin Franziska Angerer macht ein Kindertanztheater an der Oper, sie selbst hat Ballett und Theologie studiert.

Regisseurin Franziska Angerer macht ein Kindertanztheater an der Oper, sie selbst hat Ballett und Theologie studiert.

(Foto: Stephan Rumpf)

Wie Hilaire hatte auch Franziska Angerer, die Regisseurin des Tanzstücks "Wie der Fisch zum Meer fand", von Haus aus zunächst keinen Kontakt zum Theater, ehe sie nach dem Abitur parallel zu ihrem Theologie- und Germanistikstudium auch eine Tanzausbildung begann. Die 40-Jährige, Mutter eines Sohnes, hat mit ihrer Inszenierung versucht, mit den Erfahrungsräumen von Vier- bis Siebenjährigen zu arbeiten. Dem Schwimmenlernen, der anfänglichen Unsicherheit, dann aber der Gewissheit, dass man nicht allein ist, dass da ein Netz ist, das trägt. Eine intensive Erfahrung. Davon ist auch Ballettdirektor Hilaire überzeugt: Mit den Kindern, die eben drüben im Nationaltheater zugesehen hätten, sei etwas passiert. "Und wenn bei ihnen, vielleicht unterbewusst, nur ein einziges Bild, eine Bewegung haften bleibt, ist das schon etwas."

"Wir brauchen also dringend einen größeren Saal!"

Angebote wie dieses kleine Tanzstück zu machen, das sei unbedingt Aufgabe des Bayerischen Staatsballetts, ja der gesamten Staatsoper, sagt Hilaire. Da sei er sich mit Intendant Serge Dorny überaus einig. Und die Idee ist auch nicht neu. Früher hat es die beliebten Sitzkissen-Konzerte gegeben. Nun aber wurden mit "Kind & Co", "Schule & Co" und "Offstage" neue Programme der Musiktheatervermittlung aufgesetzt, um die sich die Südtirolerin Catherine Leiter kümmert. Auf dem Weg von der Staatsoper zum Probenhaus am Platzl trifft man sie an diesem Vormittag gerade auf dem Sprung nach Freiham. Dort, im neuen Riesenstadtteil im Münchner Westen, ist sie dabei, mit den Schulen und Kulturakteuren Netzwerke spinnen.

Verlinken, das möchte Laurent Hilaire auch innerhalb der Ballett-Compagnien der Stadt: Die Verbindungen des Staatsballetts mit der Bayerischen Junior Ballett und der Ballett-Akademie der Hochschule für Musik und Theater München, sie müssten enger und effektiver werden, sagt er. Wie genau er sich das vorstellt? "Nun, warten wir ab, was passiert." Er habe bereits sehr gute Gespräche geführt. Und da ist noch ein anderer Traum: Hilaire würde das Publikum, vor allem das junge, gerne regelmäßig zu kostenlosen öffentlichen Proben des Staatsballetts auf der Bühne einladen. Im Nationaltheater, wo nahezu täglich gespielt wird, sei dies jedoch kaum realisierbar, und im engen Probenhaus schon gar nicht. "Wir brauchen also dringend einen größeren Saal!" Münchens neuer Ballettdirektor versteht sich als "émetteur". Man könnte auch sagen Botschafter des Hauses, der Signale in die Stadt senden will und so gar nicht vorhat, sich in seinem schönen Büro am Platzl schweigend zu verkriechen.

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