Süddeutsche Zeitung

SZenario:"So schlecht geht's uns ja nicht"

Lesezeit: 2 Min.

Die Bayerische Wirtschaftsnacht beschäftigt sich mit Virtual Reality, Söder wünscht sich eine Zeitenwende, Unternehmer loben den Standort und klagen über Strompreise.

Von Maximilian Gerl

Die einen halten sich analog an Sektgläsern und Häppchentellern fest, während die anderen durch virtuelle Welten wandern. Oder vielleicht doch irren? Zumindest drehen sich manche vorsichtig herum, strecken die Arme nach nur für sie sichtbaren Gegenständen aus oder schwenken den Kopf wie einen Suchscheinwerfer, als ob sie mit der blickdichten Brille auf der Nase gerade den Raum durchmessen wollten.

Willkommen auf der Bayerischen Wirtschaftsnacht - einem jährlichen Schaulaufen von Politik- und Unternehmergrößen, veranstaltet von der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW), an diesem Montagabend aber auch Spielplatz für künstliche Welten. Denn zum Aperitif wird in den Hallen der Eisbach-Studios Virtual Reality gereicht. Tische mit Computern, Bildschirmen und andere Gerätschaften darauf sollen zeigen, was mit dieser Technologie der Zukunft schon in der Gegenwart möglich ist. Menschen fügen da - mit VR-Brille und VR-Controller - Konstruktionen probehalber im Virtuellen zusammen oder lauschen einer Tagung. Und eine Anwendung namens "Arbeiten unter Spannung" simuliert einen Eingriff an einem Stromkasten: Das einzige Schlagerl, das man dabei fürchten muss, ist, mit der Hand aus Versehen auf die Tischplatte zu hauen.

Trotzdem geht es auf der Wirtschaftsnacht vor allem um jene Wirtschaft, die real schnauft und brummt, schwitzt und schuftet. Die drückt es derzeit bekanntlich an gleich mehreren Stellen, ob es die hohen Energiepreise sind, die als uferlos wahrgenommene Bürokratieflut oder der grassierende Fachkräftemangel. Wobei: "So schlecht geht's uns ja nicht", gibt ein Unternehmer unter vier Augen zu bedenken. Er selbst könne und wolle nicht klagen - auch wenn er damit wahrscheinlich "der Einzigste" hier sei.

Gut 600 Gäste sind im Saal. Angela Inselkammer, Präsidentin des Hotel- und Gaststättenverbands, ist im Dirndl gekommen, auch Handwerks-Chef Franz Xaver Peteranderl ist da. Aus der Politik werden ein ehemaliger Wirtschaftsminister (Martin Zeil, FDP) gesichtet und ein aktueller (Hubert Aiwanger, Freie Wähler), dazu mehrere Kabinettskollegen, Landtagsabgeordnete und der Ministerpräsident. Markus Söder (CSU) hält ein Grußwort, das natürlich auch eine Wahlkampfrede ist. Er wolle eine "Zeitenwende" für mehr "wirtschaftliche Leistungsfähigkeit", eine Volkswirtschaft, die wachse, "nicht schrumpft". Was man eben sagt, wenn man vor Unternehmerinnen und Unternehmern steht. Widerspruch hat die Staatsregierung auf solchen Veranstaltungen erfahrungsgemäß ohnehin kaum zu erwarten; die beiden Gastgeber, VBW-Präsident Wolfram Hatz und Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt, goutieren im anschließenden Talk mit Söder dessen Versprechen.

Von Worten allein wird der Mensch nicht satt. Auch Söder muss deshalb irgendwann schweigen und von der Bühne an die Tafel wechseln. Als Hauptgang listen die Menükarten unter anderem "vegane Ofenzucchini mit Ratatouille und Pesto Crumble" auf. Über fehlenden Fleischkonsum muss sich diesmal aber niemand in der Staatsregierung sorgen, steht doch alternativ ein "Schaufelstück vom Rind" zur Wahl. Serviert wird das eine wie das andere analog. Beim Essen hat die Virtual Reality noch keinen Einzug gehalten.

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