Kolumne "Das ist schön":Die Kunst verleugnet sich

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Die Kultur-Lobby beklagt abermals eine Schlechterstellung in der Corona-Pandemie. Und will zum Teil Regelungen umgehen, indem sie sich nicht mehr als Kultur bezeichnet.

Von Michael Zirnstein, München

Die Kultur hat es schwer, ihre Lobby hat es eigentlich leicht. Sie muss bloß die Klagen über die Schlechterstellung der Künste in den vergangenen zwei Corona-Jahren wiederholen. Ein wenig angepasst an die aktuellen Regeln, versteht sich. Denn zwischendurch waren Kulturveranstaltungen bekanntlich komplett verboten, während in Fußballstadien Fan-Gesänge gegrölt und in der Gastronomie Bier und Schweinshaxen zu Hintergrundmusik verschlungen wurden. Diesmal nun sind die Ungerechtigkeiten nicht gar so überdeutlich. Es ginge ja auch nach der neusten Notbremse des bayerischen Kabinetts vom 14. Dezember noch ein bisschen was in der Live-Kultur: mit Testerei, FFP2, Abständen und nur zu einem Viertel gefüllten Theater-, Konzert- und Kinosälen - während das meiste davon, und das ist der leidige Punkt, nicht verlangt wird in Zoos, Freizeitparks, Gaststätten und Skigondeln. Klar, einige Kulturgäste fühlen sich tatsächlich wohler, im Theater in der reduzierten Masse neben einem maskierten und getesteten Nachbarn zu sitzen.

Aber für die Kulturschaffenden und die Veranstalter ist Plus hinterm 2G ein Minus, das einige von ihnen möglicherweise nicht überstehen. "Die Ungleichbehandlung hat zu einem De-Facto-Lockdown in der freien Kunst- und Kultur-Szene geführt. Nur öffentlich hoch geförderte Träger können es sich unter den aktuellen Auflagen leisten, Kunst und Kultur zu veranstalten", schreibt in einem offenen Brandbrief Katrin Neoral vom Bayerischen Landesverband für Kultur- und Kreativwirtschaft (BLVKK). Im gerade frisch formierten Verbund mit einigen anderen Kulturverbänden wie VFDKB (Darstellende Künste) oder BLZT (Tanz) fordert man unisono von der Staatsregierung, diesen Missstand zu beenden, auch ungeimpften Jugendlichen den Zugang zu Live-Kultur wieder zu ermöglichen und die Hilfen speziell für die freie Szene neu aufzustellen.

So weit, so klar. Schwieriger ist es, einen angemessen scharfen Tonfall für den jeweiligen Adressaten zu finden. Niemand will den allmächtigen Ministerpräsidenten Markus Söder provozieren, der sich zuletzt ja durchaus für die Kreativbranche erwärmte und sie etwa mit der viel gelobten Spielstättenförderung durch die Krise brachte. Und wer mag Kunstminister Bernd Sibler, der immer ein offenes Ohr für die freie Szene hat, zu sehr attackieren, um damit zu riskieren, dass Söder ihn bei einem möglichen Kabinetts-Booster über den Jahreswechsel aussortiert? Selbst Sanne Kurz von den Grünen im Landtag wendet sich eher bittend an den "lieben Bernd". Im Verlauf ihres offenen Briefes wird sie allerdings schärfer, sieht die "Mitschuld" an der Lage bei einem verglichen mit anderen Ressorts "schwachen Minister" und fordert diesen auf, dass er nicht nur "tröstend durchs Land zieht", sondern sich als "oberster Anwalt für die Kultur in seinem Land (...) in die Bresche wirft, an vorderster Front kämpft (...)!" Denn jetzt schon wollen Museen Bildungseinrichtungen (2G) sein und nicht Kultur (2G+), wollen künstlerische Performances sich als Führungen tarnen, wollen Veranstalter lieber nicht veranstalten. Wenn sich die Kultur so verleugnet, dann ist das ein unwürdiger Zustand, und das ist nicht schön.

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