„Endlich mal frei“, kokettieren gern die Ultras unter den Fans der Bayerischen Staatsoper, wenn am Ende der Spielzeit, am 31. Juli, der letzte Vorhang fällt und ihr zweites Wohnzimmer, das Nationaltheater, schließt. Mitunter trifft man die Münchner Opern-Enthusiasten dann in Salzburg oder Bayreuth. Den August ohne ihr Opernhaus bringen die auf Diät Gesetzten also noch irgendwie herum. Anfang September aber zeigen sich dann deutliche Entzugserscheinungen. Schlechte Laune, depressive Verstimmungen können sich bemerkbar machen, und so mancher stürzt sich derart ausgehungert gar in den kompletten ARD-Musikwettbewerb. Dann aber geht für die Darbenden die Herbstsonne auf, wenn mit dem Septemberfest, heuer vom 20. bis 22. September, endlich die neue Spielzeit der Staatsoper beginnt. Das Leben schwenkt wieder ein in geordnete Bahnen. Aber auch für jene, die den Erstkontakt mit der schönen Droge Oper suchen, ist das kleine Festival der perfekte Einstieg.
Ausflug nach Oberammergau
Oper für alle mit der „Tosca“ und Jonas Kaufmann am 28. Juli hat man noch schön im Ohr und vor Augen. Ein kostenloses Opernspektakel gibt es nun auch zum Auftakt der Saison 2024/2025. Allerdings nicht auf dem Max-Joseph-Platz, denn der ist gerade aufgerissen wegen der geplanten Begrünung. Ein Rätsel, warum niemand daran gedacht hat, die ollen Isarkiesel, auf denen die Fans beim Oper-Open-Air über Jahrzehnte die Popos wund saßen, für fünf Euro das Stück zwecks gutem Zweck zu verkaufen?
Der Umbau des Platzes ist aber wohl nicht der Grund, weshalb das kostenlose Konzert-Spektakel am Freitag, 20. September, 19 Uhr, ausgerechnet im Passionstheater von Oberammergau steigt. Mit dem Amtsantritt von Serge Dorny als Intendant hieß es im Herbst 2021 erstmals „Oper für alle goes Bayern“, schließlich finanzieren alle mit einer Steuernummer im Freistaat das Münchner Opernhaus. Dann sollen sie auch, gesponsort von BMW Classics und Unicredit, fern der Landeshauptstadt etwas davon haben. Wie die Rosenheimer 2022 oder die Mittelfranken das Jahr zuvor in Ansbach. Damals musste Jonas Kaufmann krankheitsbedingt passen, Kollege Piotr Beczała übernahm. Der polnische Startenor singt nun in Oberammergau zusammen mit der jungen, auf den Bühnen der Welt gerade schwer gefeierten Mezzosopranistin Aigul Akhmetshina. Ivan Repušić dirigiert das Bayerische Staatsorchester. Der Eintritt ist kostenlos, allerdings muss man Zählkarten auf der Website der Staatsoper ordern. Aktuell sieht es nach einem ausverkauften Haus aus.
Für die beiden Opernfesttage daheim in München, Samstag und Sonntag, 21. und 22. September, könnte man den Vorsatz fassen, sich einfach treiben zu lassen zwischen Nationaltheater, Cuvilliés-Theater, dem Ballett-Probenhaus am Platzl – und den Fünf Höfen. Die Einkaufspassage an der Theatinerstraße ist am Samstag einmal mehr Kulisse für viele Programmpunkte. Die Passanten werden dort wieder unerwartete Opernerlebnis haben und womöglich spontan ihre Shopping-Pläne ändern.
Spektakel in der Einkaufspassage
Etwa auf der Plaza, wo sich Perusahof, Salvator- und Prannerpassage kreuzen: Dort sorgen Mitglieder des Opernstudios der Staatsoper mit Arien für ein Stop-and-Go (13.15 Uhr). „Figaro Figaro Figaroooo!“ – kennt jeder, stammt aus „Il barbiere di Siviglia“ von Rossini. Seine populärste Oper hat noch viele tolle Stücke mehr zu bieten, wie Bariton Sean Michael Plumb in einem Pop-up-Konzert demonstrieren wird (14.15 Uhr). Er übergibt direkt an seinen Kollegen Michael Nagy, der im Oktober wieder im Nationaltheater in György Ligetis „Le Grand Macabre“ zu erleben ist, einem schrillen Extremwerk, das womöglich nicht so supergut als Einstiegsoper taugt. Zumindest optisch gar nicht so weit entfernt von Ligetis surrealer Sause flattert „Die Fledermaus“ von Johann Strauss. Kein sämiger Entenbraten, zumindest in der Staatsopern-Inszenierung von Operetten-Großmeister Barrie Kosky. Auch davon bekommt man in den Fünf Höfen ein paar Appetithäppchen serviert (15 Uhr). Außerdem heißt es auf der Plaza „Erkennen Sie die Melodie?“ (16 Uhr). Wer schon eine Weile auf der Welt ist, erinnert sich vielleicht, derart heitere Ratespiele gab es früher zur Primetime im Fernsehen.
Oper und Fashion
Wem bei all der Musik der Sinn nach optischen Reizen steht: Die Kunsthalle München bietet beim Septemberfest Führungen an (Samstag, 13.45, 15.45 und 17.45 Uhr). Doch auch in der großen Retrospektive des Designerduos Viktor & Rolf entkommt man der Oper nicht. So haben die beiden Couturiers 2009 die Kostüme für eine „Freischütz“-Inszenierung in Baden-Baden geschaffen, die in der Schau zu sehen sind. Eine Million Swarovski-Steinchen sollen sie dabei verwendet haben. Wer nachzählen möchte, viel Glück!
Das niederländische Mode-Duo hat auch schon Ballett-Compagnien eingekleidet und Tänzerinnen auf ihren Laufsteg geschickt. Unseres Wissens nach war er noch nicht in ihrer Haute Couture gesteckt: Osiel Gouneo, Erster Solist am Bayerischen Staatsballett. Wer ihn schon mal abseits der Bühne getroffen hat, weiß aber, dass er sich alles andere als langweilig kleidet. Der Afrokubaner kann nicht nur grandios tanzen, er hat auch eine beeindruckende Autobiografie veröffentlicht. Am Samstag, 13 Uhr, liest er bei Hugendubel aus „Black Romeo“ und gibt Autogramme.
Open House im Nationaltheater
Man kann sie beim Septemberfest auch tanzen sehen, Osiel Gouneos Compagnie: beim Training auf der Bühne des Nationaltheaters (Samstag, 10 Uhr) oder abends in der mehrteiligen Produktion „Wurzeln und Blätter“ (Sa./So, jeweils 20 Uhr). Fürs Training wie für die Vorstellungen benötigt man Tickets, buchbar über die Staatsopern-Website. Kostenlos sind hingegen etwa die Tanzworkshops für Kinder zu „Wurzeln und Blätter“ (Sa., 14.30, 14.45, 15.10, 15.50 Uhr, im Rang 3 und im Ballettsaal) oder die Kurzführungen durch das Ballett-Probenhaus am Platzl (Sa., 14.30/15.30, 16.30, 17.30 Uhr, kostenlose Tickets ab 18. 9. an der Tageskasse oder online). Und es gibt ein Wiedersehen mit dem wundervollen Tanzmärchen „Wie der Fisch zum Meer fand“, bei dem der ganze Prunk im Königssaal in eine Unterwasserwelt getaucht wird (Sa., 13.30, 16 Uhr). Aber keine Angst, das Parkett wird sich garantiert nicht wellen.
Verwandlung, sie gehört zur Welt der Bühne: Masken, Requisiten, Kostüme. Ohne die vielen Menschen, die in diesen Abteilungen Schichtdienste und Überstunden schieben, wäre das Münchner Opernhaus nichts, die Solisten buchstäblich blass und nackig. Beim Septemberfest trifft man diese guten, superprofessionellen Geister am Samstag überall im Haus, beim Show-Schminken, beim Bartalk, beim Fotoshooting in der Intendanten-Loge, in einer Ausstellung in der Parkettgarderobe, bei Führungen.
Einfach mal losziehen und dieses große Haus erkunden, das zunächst so Respekt einflößend daherkommt mit all seinen blinkenden Lüstern, Tapisserien, den vielen Treppen und Türen, mit den wichtigen Leuten, die einen aus Porträts anstarren. Aber, hier kann man es ja ruhig verraten, auch im Nationaltheater tropfen in den Toiletten zuweilen die Wasserhähne, scheuert das Klopapier und müffelt es nach Kanalisation. Es ist bekannt, das Theater muss dringend saniert werden. Doch bis es deshalb über Jahre zugesperrt werden muss, wohl in den 2030er, wünscht sich Intendant Serge Dorny ein nahbares, offenes Haus.
Das Septemberfest ist ein Lockmittel, eine Einladung ans Publikum, auch beim Musikerleben den Orchestergraben zu überwinden und nicht nur Applaus zu spenden: So dürfen die Gäste am Samstag mitsingen im Foyer (12 Uhr) und im großen Chorsaal (13 Uhr, 14 Uhr, 15.30 und 16 Uhr). Oder sich messen mit anderen beim Poetry-Slam im Restaurant Ludwig II im Souterrain, wo sonst der Pausensekt strömt (14 Uhr).
Sänger und Musiker trifft man beim Septemberfest überall im Haus, selbst in der Rheingoldbar, das bei Arien aus „La Bohème“ schon mal zum Café Momus, wo sich in dem sich das brotlose Künstlervolk in Puccinis Oper trifft (Sa., 17 Uhr). Dort gibt es aber auch vierhändiges Klavierspiel (13.30 Uhr) und Tango (15.15 Uhr). Wer eine ganze Oper erleben möchte beim Septemberfest, zumal in der Rokoko-Pracht des Cuvilliés-Theaters, hat die Gelegenheit allerdings schon verschlafen. Die Vorstellungen von Carl Orffs „Der Mond“ am Samstag und Sonntag sind bereits ausverkauft.
„Tosca“ kommt unter den Hammer
Schon mal für fast kein Geld ein handgefertigtes Kostüm oder schräges Accessoire aus dem Opernfundus ergattert und damit im Fasching den großen Auftritt gehabt? Die besondere „Arbeitskleidung“ des Theatervolks gibt es auch heuer samstags (12.30–18 Uhr) im Capricciosaal des Nationaltheaters beim Kostümverkauf. Da ist einmal mehr mit großem Andrang zu rechnen. Besser zeitig erscheinen.
Alles muss raus. Auch die Kostüme, die Jonas Kaufmann und Anja Harteros in Puccinis „Tosca“ getragen haben, zuletzt gemeinsam 2016. In Luc Bondys Inszenierung, die ja bekanntlich nicht mit schwerem Pomp geizte, trug Tosca wallende Empire-Roben und Cavaradossi weite Hemden mit Weste, die viel Theaterblut abbekommen haben. Diese Gewänder – Sammler und Fans aufgepasst – kommen nun bei einer Versteigerung (15.30 Uhr, Vorraum Königssaal) unter den Hammer. Quasi die stoffliche Abwicklung einer Ära. Die Staatsoper braucht sie schließlich nicht mehr, ihre neue Tosca spielt jetzt in den Siebzigerjahren, was modisch gesehen für die Sängerin der Titelpartie eine Herausforderung ist. Warum das so ist, das sollte man sich am Tag nach dem Septemberfest ganz unbedingt live auf der Bühne ansehen.
Septemberfest der Bayerischen Staatsoper, Freitag bis Sonntag, 20. bis 22. September, Informationen zum Programm unter www.staatsoper.de