Staatsoper in der NS-Zeit:Verstummte Stimmen

Staatsoper in der NS-Zeit: Einst ein großer Opernstar auf Europas Bühnen: Kammersänger Berthold Sterneck (1887-1943) in seiner Paraderolle als Ochs im "Rosenkavalier" an der Bayerischen Staatsoper. Diese wies dem "Volljuden", der früh zum Protestantismus konvertiert war, 1936 mit knappem Dank die Tür. Er musste Zwangsarbeit leisten und starb 1943 im Krankenhaus Dritter Orden, wo man ihn trotz Verbot behandelte, an Krebs.

Einst ein großer Opernstar auf Europas Bühnen: Kammersänger Berthold Sterneck (1887-1943) in seiner Paraderolle als Ochs im "Rosenkavalier" an der Bayerischen Staatsoper. Diese wies dem "Volljuden", der früh zum Protestantismus konvertiert war, 1936 mit knappem Dank die Tür. Er musste Zwangsarbeit leisten und starb 1943 im Krankenhaus Dritter Orden, wo man ihn trotz Verbot behandelte, an Krebs.

(Foto: privat)

Berthold Sterneck und seine Frau Margarethe waren einst Stars der Münchner Oper, bis man sie entrechtete. Eine Stele an ihrem ehemaligen Zuhause in Pasing erinnert nun an das jüdische Sängerpaar, das 1940 Charlotte Knobloch Zuflucht gewährte.

Von Jutta Czeguhn, München

Die Erinnerung an die Stimme eines Verstorbenen ist das Erste, was wir verlieren. Von Berthold Sternecks mächtigem Bass, zu seiner Zeit berühmt in ganz Europa, sind keine Schallplattenaufnahmen bekannt. Im Internet gibt es nur den knarzigen Mitschnitt eines "Rosenkavaliers", 1936 an der Wiener Staatsoper, am Pult Hans Knappertsbusch, die legendäre Lotte Lehmann singt die Marschallin. Und für einen winzigen Augenblick glaubt man, den Ochs auf Lerchenau zu hören, Sternecks Paraderolle, in der ihn auch die Münchner bejubelten. Ehe sie ihn, ihren Kammersänger, entrechteten, mit Zwangsarbeit knechteten, und er 1943 elend zugrunde ging. Dem Juden Berthold Sterneck und seiner Frau Margarethe, die sich 1945 aus Verzweiflung das Leben nahm, hat die Landeshauptstadt jetzt ein Erinnerungszeichen gewidmet. Voraus ging eine Feier für die beiden Opernsänger in der Pasinger Fabrik, bei der es nur einen einzigen Menschen gab, der die Sternecks persönlich kannte, sie hatte sprechen und singen hören: die bald neunzigjährige Charlotte Knobloch.

Staatsoper in der NS-Zeit: Nachdem sie den Deportationsbescheid erhalten hatte, flüchtete Margarethe Sterneck (1894 -1945), hier als Carmen, mit nur einer Handtasche von München nach Wien. Über viele Stationen gelangte sie nach Schwenningen, wo sie sich aus Verzweiflung das Leben nahm. Dort erinnert ein Stolperstein, eine in den Boden verlegte kleine Gedenktafel, an die Opernsängerin.

Nachdem sie den Deportationsbescheid erhalten hatte, flüchtete Margarethe Sterneck (1894 -1945), hier als Carmen, mit nur einer Handtasche von München nach Wien. Über viele Stationen gelangte sie nach Schwenningen, wo sie sich aus Verzweiflung das Leben nahm. Dort erinnert ein Stolperstein, eine in den Boden verlegte kleine Gedenktafel, an die Opernsängerin.

(Foto: Picasa)

Für die Nachfahren der Sternecks, die aus den USA, Schottland und Frankfurt angereist waren, wurde die Begegnung mit der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde zu einem großen, emotionalen Moment. Denn Jenny Nash, Esta Sterneck und Peter Sanders kennen ihre Großeltern nur aus den Erzählungen ihrer eigenen Eltern, die den Nazi-Mördern entgangen waren. Kurt Sterneck, der Sohn aus erster Ehe, überlebte als sogenannter Halb-Jude das KZ in Deutschland, Tochter Johanna ("Hanni") konnte 1939 mit einem der letzten Kindertransporte nach England fliehen. Charlotte Knobloch war etwas jünger als Hanni, als ihr Vater, ein glühender Wagnerianer, die Sternecks 1940 um den Gefallen bat, seine Tochter für einige Zeit bei sich aufzunehmen. Charlotte Knobloch erzählt diese Episode ganz aus ihrem Erleben als Kind, das nach dem Novemberpogrom von einem Versteck ins nächste wechseln musste, auch zu völlig Fremden wie den Sternecks: Berühmte Leute einst, nun ausgegrenzt und verarmt, ihr schönes Haus in Pasing hatten sie unter Wert verkaufen müssen. Die damals zehnjährige Charlotte begegnet zwei Menschen, die sich liebevoll um sie kümmern. Und doch läuft sie ihnen bei nächstbietender Gelegenheit davon. Zurück zum Vater, der sofort bei Sternecks anruft, die sich wie verrückt um das Mädchen gesorgt haben.

Staatsoper in der NS-Zeit: Heute steht am Pasinger Presselweg 1, wo sich einst die Villa der Sternecks befand, ein Mehrfamilienhaus. Das Sängerpaar, nach dem Berufsverbot ohne Einkommen, hatte sein Heim 1938 - unter Marktpreis - verkaufen müssen.

Heute steht am Pasinger Presselweg 1, wo sich einst die Villa der Sternecks befand, ein Mehrfamilienhaus. Das Sängerpaar, nach dem Berufsverbot ohne Einkommen, hatte sein Heim 1938 - unter Marktpreis - verkaufen müssen.

(Foto: privat)

Bei der Feier in der Pasinger Fabrik werden Margarethe und Berthold Sterneck "ins Licht gerückt", so lautete auch ein Projekt der Pasinger Geschichtswerkstatt, die sich in den Nullerjahren auf die Spuren vieler jüdischer Menschen aus dem Münchner Westen begeben hatte und ihre Schicksale 2008 in einem Buchprojekt samt Ausstellung eindrucksvoll dokumentierte. Wichtig war den Ortshistorikern die Verbindung zum Heute: So kam Almuth David nicht nur ihr ungemein detektivischer Spürsinn, sondern auch der Zufall zu Hilfe, und es gelang ihr, die Nachfahren der Sternecks ausfindig zu machen. Mehr als ein Jahrzehnt und unzählige Mails und Zoomkonferenzen später war es nun soweit, das Erinnerungszeichen für das Künstlerpaar konnte aufgestellt werden: eine schlanke Stele mit Konterfei und Lebensdaten vor einem Mehrfamilienhaus am Pasinger Presselweg 1, das nun dort anstelle ihrer Villa steht.

Staatsoper in der NS-Zeit: Das Erinnerungszeichen am Pasinger Presselweg für Margarethe und Berthold Sterneck.

Das Erinnerungszeichen am Pasinger Presselweg für Margarethe und Berthold Sterneck.

(Foto: privat)

"Meine Familiengeschichte illustriert die Absurdität, dass Religionen und Nationalitäten für so viel Elend verantwortlich sein können", sagte bei der Feier Esta Sterneck, die zweite Tochter von Kurt Sterneck, die in Amerika lebt. Ihr Cousin Peter Sanders, Musiker in Frankfurt, erinnerte daran, wie seine Großeltern aus der Mitte der Gesellschaft verschwanden, vor aller Augen: Denn Berthold Sterneck sang nicht nur in der Oper, er trat auch vor Arbeitervereinen auf und beim Vereinsjubiläum des FC Bayern, dessen Mitglied er war. Die Sternecks waren mit den Dirigenten Karl Böhm und Hans Knappertsbusch sowie dem "Hausgott" der Münchner Oper, Richard Strauss, befreundet. Für Letzteren ist Berthold Sterneck ein begehrter Skatpartner. Wo waren diese illustren Herren, als die Oper ihm, dem Kammersänger, die Tür wies? Man ihn, den Todkranken, zur Hilfsarbeit in einer Kunstharzpresserei abkommandierte.

Im Nationaltheater hängt seit den Sechzigerjahren ein Porträt von Berthold Sterneck. Mit dem Forschungsprojekt "Bayerische Staatsoper 1933 - 1963" wurde vor einigen Jahren begonnen, die Rolle des Hauses in der NS-Zeit wissenschaftlich aufzuarbeiten und das Schicksal jüdischer Künstler zu dokumentierten. Auch Berthold Sterneck und seine Frau gehören dazu. Im Rahmenprogramm zum Strauss-Schwerpunkt bei den diesjährigen Opernfestspielen werden Dramaturg Malte Krasting und der Historiker Bernhard Schossig die Wege der Sternecks an der Staatsoper nachzeichnen (21. Juli, 16 Uhr, Rheingoldbar). Als Verbeugung vor den beiden sangen nun bei der Gedenkfeier in der Pasinger Fabrik zwei Mitglieder des Opernstudios der Staatsoper Werke aus dem Repertoire der Sternecks. Unter anderem den "Engel" aus Richard Wagners Wesendonck-Liedern, wo es heißt: "Ja, es stieg auch mir ein Engel nieder, / Und auf leuchtendem Gefieder / Führt er, ferne jedem Schmerz, / Meinen Geist nun himmelwärts!"

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