Oper:Die Weltenfinderin

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Christoph Marthaler inszeniert an der Bayerischen Staatsoper Franz Lehárs Operette "Giuditta" - und Anna Viebrock macht das Bühnenbild.

Von Egbert Tholl, München

Operette an der Bayerischen Staatsoper - geht denn das? Das bislang einzige Stück dieses Genres, das für würdig befunden war, im Nationaltheater aufgeführt zu werden, war und ist die "Fledermaus". Doch nun inszeniert Christoph Marthaler "Giuditta" von Franz Lehár, weil Serge Dorny, der neue Staatsopernintendant, kaum Grenzen des Repertoires anerkennt. Und wenn Marthaler inszeniert, dann ahnt man auch, wer das Bühnenbild macht: Anna Viebrock. Seit Ende der Achtziger Jahre arbeiten die beiden immer wieder zusammen, mal im Schauspiel, mal im Musiktheater, im Mai dieses Jahres machten sie zusammen an der Staatsoper Aribert Reimanns "Lear".

"Giuditta" hatte ihre Uraufführung am 20. Januar 1934 an der Wiener Staatsoper, die Premiere galt als Sensation, 120 Rundfunkanstalten übertrugen, der Komponist stand selbst am Pult, der Abend bescherte dem Haus die größten damals erzielten Einnahmen und Clemens Krauss, der Operndirektor, musste konstatieren: "Der Kassenerfolg hat meine schlimmsten Erwartungen überboten." Krauss wollte keine Operette, aber die trübe finanzielle Lage zwang ihn, sich ans Publikum ranzuschmeißen.

Von der Uraufführung wird die Münchner Produktion sich deutlich unterscheiden

Freilich: Mit der Uraufführung wird die Münchner Produktion nicht viel zu tun zu haben, vermutlich kommt gar nicht so viel von der oft leicht dusseligen Operettenseligkeit auf. Anna Viebrock meint: "Es ist fast ein Projekt." Marthaler und der Dramaturg Malte Ubenauf schmissen ganz viel Text raus - Viebrock: "zu dämlich" -, taten neuen hinein, "Sladek" von Ödön von Horváth, und auch das Musikangebot wurde erweitert. Mit Stücken der damaligen Zeit, von Bartók, Berg, Eisler, Korngold, Schönberg, Viktor Ullmann. Und wohl noch anderen.

Normalerweise beginnt das Stück im Süden Italiens. Pierrino will mit seiner geliebten Anita nach Nordafrika und dort ein Künstlerleben führen, Octavio tritt auf, singt "Freunde, das Leben ist lebenswert", warum, weiß man nicht so genau, die schöne Giuditta ist hingerissen. Octavio ist auch hingerissen, muss aber mit dem Militär ebenfalls nach Nordafrika; Giuditta verlässt also ihren Mann und geht mit Octavio mit. In Afrika ist erst ein Glück, dann zieht das Militär weiter, Giuditta bleibt allein, landet als Sängerin und Tänzerin in einem Vergnügungsetablissement, Anita und Pierrino tauchen auch wieder auf, auch Octavio, der den Dienst beim Barrymore Militär schließlich quittiert hat und sieht, wie der reiche Lord Giuditta umgarnt. Im Schlussbild ist Octavio ein Barpianist, soll für Barrymore und Giuditta spielen, sie gesteht ihm ihre Liebe, doch es ist zu spät.

In der Premierenproduktion sang Richard Tauber, der damalige Superstar, den Octavio, außerhalb der Oper tobten bald bürgerkriegsähnliche Zustände, weil sich Nazis und die österreichischen Rechten um die Macht stritten. Die letzte Vorstellung sang Tauber am 7. März 1938, wenige Tage später übernahm Hitler die Macht in Österreich, Tauber ging ins Exil, was nicht allen an der "Giuditta" Beteiligten gelang. Lehár blieb, wurde von Hitler hofiert, die Operette verlor ihre Unschuld. Octavios letzter Satz, der letzte Satz des Stücks, lautet: "Es war ein Märchen."

Die vielfach ausgezeichnete Bühnenbildnerin Anna Viebrock. (Foto: Gerard Julien/AFP)

Das Programmbuch in München macht Alexander Kluge. Viebrock erzählt, er stelle sich vor, Octavio fällt in Stalingrad. "Wir können nicht so tun, als wüssten wir das nicht." Wie die Geschichte weiterging. Horváths Texte und die hinzugefügten Musiken brächten das Stück auf ein anderes Klima. Ohne die Möglichkeit zu dieser Erweiterung, Umtönung hätten sie das Stück nicht gemacht. Aber sie bekennt auch freimütig: "Die setzen das am 31. Dezember an - ich weiß auch nicht, wie das geht."

Anna Viebrock ist nicht nur die vermutlich meistausgezeichnete Bühnenbildnerin, sie ist auch die ökologischste. Es ist ihr "schad drum", wenn ein Stück abgespielt wird und die Ausstattung weggeschmissen wird. Sie hebt lieber auf. Und Teile älterer Produktionen tauchen dann in aktuellen wieder auf. Bei "Giuditta" etwa ist es ein türkisfarbener Raum, der aus Grönland stammt, wo Viebrock mit Marthaler das Stück "+-0" entwickelt hatte. Nordafrikanische Wüste gibt es hier auch, hier ist sie ein Sandkasten, der auch schon mal woanders mitgespielt hat.

Marthaler arbeite ähnlich, collagiere, zitiere alte Stücke. Und auch die Darstellenden bringen ja ihre Erfahrungen mit. In der Zusammenarbeit gehe es darum, eine Welt zu erschaffen, viel reden müsse man da nicht mehr. "Ich weiß, was die Regie braucht." Anders ist es mit Jossi Wieler, noch ein Herzensregisseur von ihr. Da wird ganz viel geredet, das Bühnenbild aus der genauen Interpretation des Stücks entwickelt. René Pollesch stelle sie einfach was hin, und der freut sich dann, bei Meg Stuart sei es ähnlich - Autonomie der Künstlerin.

Anna Viebrock hat selbst inszeniert, ihre Werke wurden in Ausstellungen gezeigt, sie hat lange an der Akademie der Bildenden Künste in Wien unterrichtet, bis ihr die mit der Professur verbundene Reiserei zu blöd wurde. Aber: Das erste, was sie beim Treffen mit ihr sagt, ist ein Dank, dass man mal über eine ihrer ehemaligen Studentinnen geschrieben hat.

Was sie auch baut, wie sie die Menschen auf der Bühne anzieht, es muss immer eine Verbindung zur Welt da draußen haben. Deshalb, früher, die "abgeranzten" Kneipenräume, die "versifften Bahnhof-Büffets", die es heute so in der Schweiz nicht mehr gebe. Und deshalb auch die vielen, liebevoll gestalteten Details. Viebrock sucht in der Welt die Inspiration, noch mehr findet sie. Bei "Giuditta" war der Ausgangspunkt ein Hosenanzug, den sie entdeckte. Daraus wird dann eine Welt.

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