Süddeutsche Zeitung

Bayerische Oberlandbahn:"Warum fährt die BOB nicht einfach mit mehr Zügen?"

Viele Münchner wollen am Wochenende mit dem Zug zum Tegernsee oder zum Schliersee. Und erleben eine Fahrt, bei der man sich fühlt wie eine Sardine.

Von Pia Ratzesberger

Noch schwitzt niemand. Es ist halb neun am Samstagmorgen, München Hauptbahnhof, und nach und nach finden sich am Gleis all die Menschen zusammen, die am Wochenende die Stadt verlassen möchten. Es sind viele. Sie kommen mit Rädern und Bollerwagen und Prosecco und Gleitschirmen. Man sieht, wer von ihnen eine ehrgeizige Tour vor sich hat und wer einfach nur ein wenig Spaß haben will, am Lago di Bonzo. Also am Tegernsee.

Die Bayerische Oberlandbahn, die BOB, wird um vier Minuten nach neun Uhr abfahren. Eines ist schon eine halbe Stunde vorher klar: Das mit dem Sitzplatz wird schwierig. Denn mit der BOB verhält es sich wie mit der Stadt selbst, es kommen immer mehr Menschen - und wie in München generell stellt sich also auch in der Oberlandbahn die Frage: Können die alten Strukturen dem Andrang noch gerecht werden?

Ganz vorne am Gleis stehen zwei ältere Damen mit Wanderstöcken, sie warten auf ihre Trauergruppe, gemeinsam wollen sie in der Natur Kraft finden. Ein paar Meter weiter schieben acht Urlauber aus Westfalen ihre Räder den Weg entlang, sie sind seit fünf Tagen unterwegs. Neben ihnen zwei Studentinnen, sie wissen, worauf sie sich einlassen, sie haben neulich die Fahrt auf dem Fußboden der Bahn verbracht. Und dann ist da noch der Junggesellinnenabschied, zehn Frauen mit einem Bollerwagen. Der müsse bitte ins Fahrradabteil, sagt die BOB-Mitarbeiterin, aber das ist der Gruppe egal, eine der Frauen zieht ihn rein in den Zug.

Die Hauptaufgabe an diesem Gleis ist jetzt erst einmal: den richtigen Waggon zu finden. Es gehört zu den ungeschriebenen Regeln Münchens, dass wer in der Stadt ankommen will, einmal mit der BOB weggefahren sein muss - und dazu gehört auch, in den falschen Wagen gestiegen zu sein. Der Zug teilt sich das erste Mal in Holzkirchen, ein Teil fährt dann über Miesbach und den Schliersee bis nach Bayrischzell, der andere Teil bis nach Schaftlach, dort teilt er sich noch einmal. Auf der einen Strecke geht es nach Lenggries, auf der anderen bis zum Tegernsee.

Schon als die Bahn den Hauptbahnhof verlässt, stehen die Menschen in den Gängen. Es fehlt nicht mehr viel, um sich zu fühlen wie in einer Regionalbahn zum Oktoberfest. Eine Gruppe öffnet den ersten Prosecco, ein Ehepaar sucht die erste Klasse, Mitfahrer zweifeln an, dass es in der BOB überhaupt eine erste Klasse gibt, zwei ältere Wanderer teilen sich einen Sitz in der Ecke. Neben ihnen parkt ein Fahrrad. "Ich bin hier schon öfters drin gesessen wie eine Sardine", sagt die Frau. Aber immerhin drin.

Die Bayerische Oberlandbahn hatte zuletzt wegen 64 weinender Schüler auf sich aufmerksam gemacht, die wollten vor zwei Wochen zur Klassenfahrt an den Spitzingsee aufbrechen und hatten sich bei der BOB angemeldet - an der Haltestelle Holzkirchen wurden sie trotzdem nicht reingelassen, weil die Züge schon zu voll waren. Am Münchner Hauptbahnhof waren mehrere Gruppen ohne Anmeldung eingestiegen, hieß es damals, und einen zusätzlichen Zug habe man nicht anhängen können. Alle Züge seien bereits unterwegs gewesen - so oder so ähnliche Geschichten erzählen sich manche auch an diesem Vormittag. Raffael Stein, 35, musste zum Beispiel nach einer Tour mit dem Rad wieder eine Haltestelle in die falsche Richtung zurückradeln, weil er in Hausham nicht mehr zusteigen konnte, die Abteile waren voll. "Warum fährt die BOB nicht einfach mit mehr Zügen?", fragt eine Frau. Sie sitzt auf der Treppe.

Das ist das große Problem der Bayerischen Oberlandbahn: Mehr geht nicht mehr. Die Züge sind ausgelastet, seit dem vergangenen Jahr fahren sie an den Wochenenden in den warmen Monaten am Wochenende noch viermal öfter, etwa jede halbe Stunde. Ein engerer Takt ist auf der teils einspurigen Strecke nicht möglich, auch keine längeren Züge mit mehr Waggons. Denn manche Bahnsteige sind zu kurz, in Schaftlach zum Beispiel, in Warngau, in Lenggries. Die Leute könnten also mitfahren - aber nicht aussteigen.

Und so fahren auch an diesem Samstag nur vier Waggons ins Oberland, einer wird nach Bayrischzell abbiegen, zwei nach Schaftlach und dann jeweils einer nach Lenggries und zum Tegernsee. Draußen Wiesen, drinnen steigende Temperaturen trotz Klimaanlage, an jeder Haltestelle wird dankbar die Tür geöffnet. In Holzkirchen, der vorerst letzten Chance, in den richtigen Zug zu kommen, steigen noch ein paar aus anderen Waggons zu. In dem in Richtung Lenggries sei es "richtig leer und sehr angenehm", verkündet ein junger Vater. Aber wer will an einem heißen Tag schon nach Lenggries. Eine Mitarbeiterin der BOB, mit roter Kelle in der Hand, geht durch die Gänge, sie weiß: Alle wollen zum Tegernsee. Das sei schon immer der vollste Zugteil gewesen, sagt sie, und sie muss es wissen, denn sie arbeitet bei der BOB, seit es die BOB gibt. "Wir geben unser Bestes, und mehr geht eben nicht."

Die Ersten wischen sich den Schweiß von der Stirn

Die Züge des Modells Integral gibt es an keinem anderen Ort auf der Welt und das hat seinen Grund. Als die ersten Züge der BOB Ende der Neunzigerjahre ins Umland fuhren, mussten sie schnell wieder zurück zum Hersteller, die technischen Probleme waren zu groß. Die Firma musste nachbessern, später ging sie pleite. Eigentlich als Projekt für verschiedene Städte angelegt, brachte sie also nur 17 Züge auf die Strecke. Die Züge, mit denen die BOB heute noch fährt. Zusätzlich kaufte man später neun Züge eines anderen Modells, vielleicht wird es in zwei Jahren ganz neue geben.

Die Ersten wischen sich den Schweiß von der Stirn, der Prosecco wird leerer, der Bollerwagen steht immer noch mitten im Zug, und der junge Vater versucht sein Kind bei Laune zu halten, während andere schon den Rückweg planen. Der Mann neben ihm hat seinen Gleitschirm mitgenommen, er wird hoch auf den Wallberg fahren und sich dort in die Luft begeben. Er wolle am liebsten bis nach Bayrischzell segeln, sagt Thomas Obermayr, 57, weil das die Endhaltestelle der BOB ist - und man dort auch am späten Nachmittag noch gut in den Zug kommt.

Und wenn man dann endlich am Tegernsee angekommen ist und die Mitfahrer sich verlieren in Richtung Wanderwege und Bushaltestellen, wenn man am Wasser sitzt, der volle Zug längst vergessen ist, wird man oben am Himmel einen Gleitschirmflieger sehen. Und ihm wünschen, dass er es bis zur Endhaltestelle schafft.

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SZ vom 06.08.2018/smb
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