Bayerische Dialekte:Der Niedergang des Alemannischen

Das Alemannische im Allgäu ist bedroht von einem schleichenden Identitätsverlust - viel mehr noch als andere bayerische Dialekte.

Hans Kratzer

Manfred Renn hört die Klagen über den Schwund des bairischen Dialekts gar nicht gerne. "Das Bairische ist die populärste Regionalsprache, alle anderen Dialekte sind wesentlich mehr vom Aussterben bedroht", sagt der Sprachwissenschaftler von der Uni Augsburg, der viele Jahre lang beim "Sprachatlas von Bayerisch-Schwaben" mitwirkte.

Manfred Renn

"Das Allgäu wird nur noch als Anhängsel des oberbayerischen Alpenrandes wahrgenommen": Manfred Renn.

(Foto: Foto: oh)

Mit Sorge beobachtet Renn vor allem den alemannischen Sprachraum, der im weiten Sinne vom Wallis bis ins Ries und vom Lechrain bis in die Vogesen reicht.

Als alemannisch im engeren Sinne aber bezeichnet man laut Renn jene Gegenden im Südwesten des deutschen Sprachraumes, in denen die Dialekte eine wichtige Sprachentwicklung an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit nicht mitgemacht haben.

Sie haben nämlich die alten Langvokale i, u, und ü (mittelhochdeutsch: î, û, iu) beibehalten, während die Mundarten des ober- und mitteldeutschen Raumes und später auch die Hochsprache daraus die Diphthonge ei, au, eu gemacht haben; aus zît wurde Zeit, aus hûs wurde Haus und "daz tiutsche lant" wurde schließlich Deutschland.

Die Schwaben in Bayern haben die Diphthongierung zwar auch mitgemacht, allerdings hat dies bei ihnen auffällig enge Diphthonge hervorgebracht. Sie sprechen Zejt, Hous, dejtsch, wozu die Bayern überwiegend Zait, Haus, daitsch sagen.

Von Oberstdorf bis zum Bodensee gibt es sogar noch Alemannen, die diese Wörter mit Einlauten (Monophthongen) aussprechen, also Zitt, Hus, ditsch.

Allerdings sind sich die Bewohner dieser Ecke Bayerns ihres Alemannentums kaum bewusst. Die Einverleibung nach Bayern anno 1806 habe Identitätsprobleme mit sich gebracht, sagt Renn.

Die alten Beziehungen zur alemannischen Nachbarschaft seien zerbrochen, die neue territoriale Zuordnung habe im Allgäu und am Bodensee ein starkes Bayernbewusstsein entstehen lassen.

"Wesentliche Elemente der Mundart wurden der Bindung an Bayern untergeordnet", sagt Renn. So haben die Alemannen im Allgäu und am bayerischen Bodensee-Abschnitt alemannische Dialektmerkmale aufgegeben.

Zusammen mit den Schwaben in Bayern verwenden sie jetzt bairische Sprachelemente, wie etwa das -s in der 2. Person Plural der Verben (habt's ihr?, kommt's ihr?) oder die konsonantische Endung auf -n (Stubn, Wiesn, Zigarettn).

Und die Wirte schwenken gar von den berühmten schwäbisch-alemannischen Verkleinerungsendungen auf -le (Spätzle, Würstle, Gläsle) um auf die bairischen Endungsformen -erl und -l (Haferl, Würstl, Stamperl, Stüberl, Platzl).

Die Verbaierung zeigt sich auch im Wortschatz: Eine Berghütte (Alpe) wird zur Alm aufgewertet, der Fasching verdrängt die Fasnacht, und neuerdings schwingt man sich auch im Allgäu "aufs Radl".

Renns Fazit lautet: "Angesicht dieses schleichenden Identitätsverlustes verwundert es nicht, wenn das Allgäu nur noch als Anhängsel des oberbayerischen Alpenrandes wahrgenommen wird." Eine Kostprobe des Alemannischen hat Manfred Renn für uns aufs Band gesprochen.

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