Bayerische Akademie der Wissenschaften:"Vielleicht brauchen wir dafür eine Influencerin"

Bayerische Akademie der Wissenschaften: Professor Markus Schwaiger ist neuer Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.

Professor Markus Schwaiger ist neuer Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.

(Foto: Robert Brembeck)

Der Nuklearmediziner Markus Schwaiger ist neuer Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Er will die Gemeinschaft der Gelehrten behutsam modernisieren - und fängt mit den Ölgemälden in seinem Büro an.

Von Martina Scherf

Wer durch die schwere Holztür im Ostflügel der Münchner Residenz tritt und sich beim Pförtner gemeldet hat, gelangt in ein Treppenhaus, das einen sich schon mal etwas klein fühlen lässt. Rein äußerlich wirkt hier alles ein bisschen aus der Zeit gefallen. An den Wänden hängen Ölgemälde würdiger Herren in goldenen Rahmen: die Akademiepräsidenten von 1759 bis heute. Im ersten Stock liegt das Präsidentenbüro, und das hat vor wenigen Tagen Markus Schwaiger bezogen. Rein äußerlich setzt er die Tradition fort. Doch wer ihm länger zuhört, stellt fest, dass er in vielem sehr modern denkt.

Markus Schwaiger ist 72 Jahre alt, und er könnte nach einer überaus erfolgreichen wissenschaftlichen Karriere seinen Ruhestand genießen. Das scheint aber nicht seine Sache zu sein. Er wurde von der Mehrheit der Akademiemitglieder gewählt, und dieses Amt, Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, ist ja auch so etwas wie die Krönung einer Laufbahn.

Während Schwaigers Vorgänger, der Sinologe Thomas Höllmann, zu seinem Abschied Konfuzius zitierte (mit 70 habe er das Alter erreicht, indem er sich erlaube, seinen Herzenswünschen zu folgen), sagt Schwaiger: "Ich fühle mich gesund und freue mich darauf, hier gestalterisch tätig sein zu können."

Die Bayerische Akademie der Wissenschaften ist Gelehrtengemeinschaft und Forschungsinstitution. Hier werden Langzeitprojekte verfolgt. Von der Erforschung der Keilschrift bis zum Quantencomputer reichen die Themen, von der Musik Richard Strauss' bis zur Gletschervermessung.

Der Nuklearmediziner Schwaiger ist seit 2005 Mitglied der Akademie und sagt: "Ich lerne jetzt gerade mit Staunen, welche exzellenten Projekte hier in den Geistes- und Sozialwissenschaften durchgeführt werden." Damit ist er auch schon bei einem seiner Vorsätze: Er will den Austausch über Fachgrenzen hinweg noch mehr fördern.

Bayerische Akademie der Wissenschaften: Im östlichen Anbau der Münchner Residenz ist die Bayerische Akademie der Wissenschaften beheimatet.

Im östlichen Anbau der Münchner Residenz ist die Bayerische Akademie der Wissenschaften beheimatet.

(Foto: Catherina Hess)

Ein Mittel dafür sind öffentliche Veranstaltungen. Regelmäßig lädt die Akademie zu Diskussionen, etwa zu Judentum oder Islam in Bayern, zur Energiewende, zu Putins Krieg in der Ukraine oder zuletzt zur Experten-Tagung "Drei Jahre Corona - Lektionen für die Zukunft", in ARD-Alpha übertragen.

Schwaiger sagt, zu Beginn der Pandemie hätten die meisten Experten alles daran gesetzt, das Virus zu besiegen. "Dann hieß es: Masken auf, Türen zu." Aber viele, "mich eingeschlossen", hätten die Sekundäreffekte unterschätzt. "Es wäre gut gewesen, nicht nur mit Virologen, sondern auch mit Sozialpsychologen zu sprechen." Das müsse jetzt unbedingt reflektiert werden. "Auch bei den anderen Krisen, die wir erleben, Energieversorgung, Krieg in Europa, ist es wichtig, unterschiedliche Perspektiven zu berücksichtigen."

Die Fähigkeit zur Selbstkritik und die Offenheit für neue Wege zeichnet den Mediziner aus. Mit 66 Jahren hatte er als Ärztlicher Direktor die Leitung des Klinikums rechts der Isar übernommen. Das war davor in die Schlagzeilen geraten wegen Unregelmäßigkeiten bei Lebertransplantationen und internen Zerwürfnissen. Schwaiger gelang es, das Haus, an dem er seit 1993 forschte und lehrte, zu befrieden.

Der gebürtige Münchner hat in den 1970er-Jahren in Berlin Medizin studiert und war mehr als 15 Jahre in den USA, bevor er auf den Lehrstuhl für Nuklearmedizin an der Technischen Universität München berufen und zugleich Direktor der Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin am Klinikum rechts der Isar wurde. Sein Schwerpunkt sind bildgebende Verfahren in der Kardiologie und Onkologie. Er hat Standardverfahren entwickelt und Brücken geschlagen zwischen Forschung und Klinik, gerade in der Krebsforschung. Dabei arbeitete er mit Human- und Tiermedizinern, Biologen, Chemikern, Ingenieuren, Physikern zusammen, "und dieses interdisziplinäre Arbeiten hat mir immer sehr viel Spaß gemacht".

"Wir müssen noch sichtbarer werden und uns zu aktuellen Themen positionieren."

Nun also eine neue Führungsaufgabe, wenngleich die vermutlich nicht so stressig wird wie die Leitung eines Klinikums. Das Renommee ist groß, die Erwartungen der Politik auch. Die Staatsregierung fördert ihr Ziel eines "Munich Quantum Valley" (als Pendant zum Silikon Valley) mit rund 300 Millionen Euro. Das gilt als herausragender Standortfaktor. Die Akademie, zur der übrigens auch das Leibniz-Rechenzentrum mit dem Supercomputer gehört, ist mit dem Walther-Meißner-Institut für Tieftemperaturforschung daran beteiligt.

Aber bei anderen Themen kommt vonseiten der Politik immer wieder mal die Frage: Was macht ihr eigentlich da hinter diesen dicken Mauern? Braucht es euch überhaupt? "Um dem zu begegnen müssen wir noch sichtbarer werden und uns zu aktuellen Themen positionieren." Zum Beispiel bei der Digitalisierung, auch das ein Thema, zu dem nicht nur KI-Forscher, sondern eben auch Juristen, Psychologen und Soziologen etwas beizutragen hätten.

Bayerische Akademie der Wissenschaften: Auch das Leibniz-Rechenzentrum mit dem Supercomputer und einem Virtual-Reality-Labor gehören zur Akademie.

Auch das Leibniz-Rechenzentrum mit dem Supercomputer und einem Virtual-Reality-Labor gehören zur Akademie.

(Foto: Robert Haas)

Ja, was machen sie also, die mehr als 300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus mehr als 30 Ländern? Sie erforschen altbuddhistische Handschriften und haben soeben eine Max-Weber-Gesamtausgabe herausgebracht. Sie dokumentieren seit Jahrzehnten das Gletschersterben und kooperieren dabei mit Forschern auf der ganzen Welt. Sie erstellen den Thesaurus linguae Latinae, das einzige vollständige Wörterbuch des antiken Lateins.

Auch ein Bayerisches Wörterbuch entsteht in der Akademie. Begonnen wurde damit 1911, fertig wird es wohl frühestens im Jahr 2060. Die Online-Version gehört zu den beliebtesten Tools der Akademie. Da mag auch der überzeugte Bayer Schwaiger noch so manch heitere Lektüre finden und zum Beispiel lernen, wo er auf seinen Waldspaziergängen Aiglbia (Heidelbeeren) findet.

Bayerische Akademie der Wissenschaften: Das Bayerische Wörterbuch ist ein Jahrhundertprojekt.

Das Bayerische Wörterbuch ist ein Jahrhundertprojekt.

(Foto: Catherina Hess)

Zwei Themen will er persönlich voran bringen: künstliche Intelligenz in der Medizin, um Diagnosen und Therapien effizienter zu machen. Dringend verbesserungswürdig sei auch der Umgang mit Patientendaten. "Wir generieren jeden Tag riesige Datenmengen, die man, anonymisiert, mit Einverständnis der Patienten, für die Forschung nutzen könnte. Da geht uns bisher viel verloren." Weil beides auf eine sensible Öffentlichkeit trifft, sei die Akademie das ideale Forum, um solche Themen zu diskutieren.

Früher war die Präsidentschaft ein Ehrenamt und die Gelehrtengemeinschaft ein Club renommierter Herren, der meist hinter verschlossenen Türen tagte. Eine Reformkommission erteilte dann vor einigen Jahren den Auftrag, die Akademie möge bitteschön jünger, weiblicher, transparenter und aktueller werden. Seither hält ein hauptamtlicher Präsident die Zügel in der Hand.

Schwaiger sagt: "Wir wollen rasch den Frauenanteil unter den Mitgliedern erhöhen." Allerdings ist die Zahl der Mitglieder begrenzt, bewerben kann man sich nicht, und gewählt werden kann nur, wer von einem ordentlichen Mitglied vorgeschlagen wurde. Doch es geht voran: Von den neun im vergangenen Jahr neu berufenen Professorinnen und Professoren waren sieben Frauen.

Im Jungen Kolleg, der Nachwuchsförderung des Hauses, ist das Verhältnis ohnehin ausgeglichen. Schwaiger will auch noch mehr junges Publikum ansprechen. "Vielleicht brauchen wir dafür eine Influencerin, natürlich eine seriöse", sagt er. Privat sorgen schon seine vier Kinder und drei Enkel dafür, dass er den Anschluss nicht verliert. "Da kommt man sehr schnell auf den Boden der Realität, man kann Kindern kaum etwas vormachen."

Für seine Hobbys bleibt ihm immer noch Zeit. Er geht gerne in die Berge, zum Skifahren, in die Oper, zu Konzerten und ins Theater. Auch da ist er neugierig. "Ich bin erstaunt, wie viele junge Leute in die Kammerspiele gehen, weil dort Themen behandelt werden, die gesellschaftlich relevant sind."

Es klingt so, als würde er tatsächlich die altehrwürdige Akademie ein bisschen modernisieren wollen. Gar nicht so einfach. Schwaiger möchte jetzt mal in seinem Büro anfangen. Von seinem Schreibtisch schaut der Präsident auf die Ölgemälde von Maximilian III. Joseph, den Gründungs-Kurfürst von 1759, und seiner Gemahlin Maria Anna Sophie. "Mal sehen, was ich hier ändern darf." Ein bisschen zeitgenössische Kunst würde ihm gefallen.

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