Film und Fernsehen:Bavaria Film wird 100 Jahre alt

Film und Fernsehen: Matthias Tischmacher und sein Team vom Art Department kümmern sich um die Kulissen in der Bavaria Filmstadt.

Matthias Tischmacher und sein Team vom Art Department kümmern sich um die Kulissen in der Bavaria Filmstadt.

(Foto: Claus Schunk)

Matthias Tischmacher baute London nach, ein Kochstudio oder ein Melonen-Katapult für Joko und Klaas. Wie haben sich die Kulissen in einem Jahrhundert verändert? Zu Besuch bei einem Erbauer von Welten.

Von Pia Ratzesberger

Er erinnert sich am liebsten an den Straßenzug aus London, der aussah wie aus dem Jahr 1820. Er und sein Team verlegten das Kopfsteinpflaster, sie bauten nicht nur die Fassaden der historischen Häuser nach, sondern auch die dahinter liegenden Räume, Wohnzimmer, Schlafzimmer und ein Treppenhaus. Die Darsteller mussten nur durch die Tür gehen und standen im Foyer, liefen rauf auf den Balkon und draußen fuhren die Kutschen über die Straße.

Matthias Tischmacher blickt auf ein Foto von damals, von dem vermeintlichen Straßenzug aus London, und sagt dann: "Es ist bewegend, wenn es einem wirklich gelungen ist, eine Illusion zu erschaffen." Die Illusion ist sein Job. An seinem Arbeitsplatz geht es um nichts anderes als um Illusionen.

Auf einem Gelände so groß wie 42 Fußballfelder, mit einem Glücksdrachen namens Fuchur und einem Hotel namens Fürstenhof. Im Süden Münchens entstehen in der Bavaria Filmstadt seit hundert Jahren immer wieder neue Welten. Und Matthias Tischmacher, 54, hat in den vergangenen Jahrzehnten viele von ihnen erbaut. Er kann also darüber erzählen, wie sich das Geschäft verändert hat.

Die Filmstadt ist so groß, dass man sich als Besucher darin verlaufen könnte, und selbst Mitarbeiter, die schon seit vielen Jahren da sind, müssen manchmal noch ihr Handy einschalten, um zum richtigen Gebäude zu finden, an diesem Nachmittag zu dem, in dem Matthias Tischmacher arbeitet. Es gibt alleine zwölf Studios.

Vor hundert Jahren begann die Geschichte mit nur mit einem Studio, damals noch aus Glas, weil die Scheinwerfer nicht stark genug waren, um das Tageslicht zu ersetzen. Man produzierte Stummfilme. Und auch Alfred Hitchcock drehte dort, die Firma hieß Münchner Lichtspielkunst AG. Erst Ende der Fünfzigerjahre wurde die Bavaria Film GmbH gegründet, und damals stand das Haus aus Glas schon nicht mehr. Es zersplitterte bei Hagel, an derselben Stelle findet sich heute das sogenannte Studio 1. Dauerhaft vermietet an die Serie "Der Alte", das Studio 4/5 ist dauerhaft vermietet an die Serie "Sturm der Liebe". In der Halle sind 28 Zimmer aufgebaut wie in einer Puppenstube, und mitten drin der Schnittraum - weil bei einer täglichen Folge wenig Zeit bleibt, wird das Material noch beim Dreh bearbeitet. Gerade filmen die Kameras die Personalküche des Hotels Fürstenhof - auch für die Kulisse sind Matthias Tischmacher und sein Team verantwortlich.

100 Jahre Bavaria Filmstudios

Die Werkstätten darf momentan niemand betreten, dort wird am nächsten Film gearbeitet. Die Film- und Theaterausstattung aber öffnet gerne die Türen - dort findet sich unter anderem ein Haufen Lampen.

(Foto: Claus Schunk)

Er steht jetzt vor seinen Werkstätten, die Türen aber bleiben zu, er darf niemanden hineinlassen. Tischmacher und seine 17 Mitarbeiter arbeiten gerade an neuen Kulissen für einen Film, über den er noch nicht sprechen darf. Er kann von der Schreinerei und der Schlosserei also nur erzählen, von den 1500 Quadratmetern, auf denen manchmal ein Pult für ein Nachrichtenstudio entsteht und manchmal ein Katapult, um Melonen durch die Gegend zu schießen. Matthias Tischmacher kümmert sich um Shows wie die von Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf. Manchmal, sagt er, frage er sich schon, wofür es ein Katapult zum Melonenschleudern nun brauche, aber das sei eben sein Job. Er hat schließlich auch alle Sendungen von "Wetten, dass..?" betreut, im Disneyland, auf Mallorca, auf Tour durch die deutschen Städte.

Er und sein Team kümmern sich heute um noch mehr Shows als früher, damals bauten sie noch mehr Kulissen für Filme oder auch für die vielen Serien in den Nullerjahren. Manchmal bekommen sie jetzt auch Aufträge aus dem Ausland, für ein Nachrichtenstudio im Oman oder ein Studio in Katar. Die meisten Produktionen aber finden nach wie vor in Grünwald statt, im Ortsteil Geiselgasteig. Dort bauen sie zum Beispiel immer wieder das Studio von der Kochshow "The Taste" auf - das sei anspruchsvoller als man meinen könne, sagt Tischmacher, weil es Gas, Wasser und Strom brauche. Man konkurriere mit Standorten wie mit Berlin oder wie mit Köln, die Margen seien heute lange nicht so hoch wie früher einmal, die Kunden verlangten für ein ähnliches Budget deutlich mehr und wollen vor allem für eine Kulisse in Grünwald nicht mehr zahlen als in Köln, nur weil es München ist.

An den Kulissen der Spaßshows oder der Kochshows hängt Matthias Tischmacher lange nicht so sehr wie an den Kulissen aus den großen Streifen - an den Londoner Straßenzug aus "Der Teufelsgeiger" oder an die Parfümerie aus "Das Parfüm". Er ist ein ruhiger Typ, er erzählt unaufgeregt von den Zeiten der erfolgreichen Samstagabendshows und von seiner ersten Bambi-Verleihung, doch wenn es um die aufwendigen Kulissen historischer Filme geht, dann muss er doch sagen: "Da kribbelt es."

Matthias Tischmacher ist gelernter Schreiner und ging nach seiner Lehre zum Gärtnerplatztheater. Das Theater hatte ihn schon immer fasziniert, dann aber begann ein Kollege beim Fernsehen und überredete ihn, dort auch anzufangen. Tischmacher hatte damals vor, den Job nur ein Jahr lang zu machen und sich danach einen neuen zu suchen, wahrscheinlich wieder bei einer Bühne. Heute sind es fast 30 Jahre.

Matthias Tischmacher leitet heute das Art Departement der Bavaria Studios and Services, einem der drei großen Geschäftsbereiche der Bavaria Film - aus einer Firma mit nur einem gläsernen Studio ist mittlerweile ein Konzern geworden, der zu den größten Produktionsfirmen in Deutschland gehört. Auf dem Gelände haben schon Rainer Werner Fassbinder und Wolfgang Petersen gedreht, später auch Tom Tykwer, Bully Herbig und Bora Dağtekin. Das Klassenzimmer aus "Fuck ju Göhte" ist heute eine von vielen Kulissen, die sich Besucher auf einem Rundgang noch immer ansehen können, neben Figuren aus der "Unendlichen Geschichte" zum Beispiel oder aus "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer", dem Film aus dem vergangenen Jahr.

Manche Kulissen bleiben auf dem Gelände im Süden von München, die meisten aber werden nach dem Dreh wieder abgebaut, die Illusion ist dann vorbei. Wenn man Matthias Tischmacher fragt, ob er an solchen Tagen wehmütig wird, sagt er nur: "Es tut immer weh." Auch wenn man sich daran gewöhnt habe.

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