Münchner Momente:Wir brauchen mehr Wände

Stadtansicht mit Baukränen von München bei Föhn, 2002

In München gibt es seit Jahren zahlreiche Großbaustellen - der Bau der Zweiten Stammstrecke schafft nun eine weitere.

(Foto: DPA-SZ)

Der Wall an der Marienhof-Baustelle wurde gebaut, um Lärm und Schmutz abzuhalten. Solche Wände sollte es auch gegen nervige Nachbarn und Zuageroaste geben.

Glosse von Thomas Anlauf

So eine Wand ist ja was ganz Praktisches. Das, was dahinter liegt, bleibt den Blicken verborgen. Man muss sich auch nicht alles ansehen, was einem in München begegnet. Diese Baustelle am Marienhof, ehrlich riesig, also größenmäßig. Da fräsen sich jetzt Bauarbeiter und gigantische Maschinen in den schönen Untergrund, reißen die halbe Münchner Schotterebene weg und wohl noch viel mehr, um eine zweite S-Bahnröhre zu bauen.

Und das, wo doch jetzt schon keiner mehr freiwillig in die S-Bahn steigt, weil die ohnehin irgendwo im Untergrund stecken bleibt. Den Tunnelstau haben wir dann vermutlich, wenn die fette Röhre fertig ist, einfach auf zwei Stammstrecken verteilt.

Nein, das Stammstreckenloch muss man sich nicht ansehen und vor allem nicht anhören. Deshalb gibt es jetzt das große Marienhof-Panorama, das gerade hochgezogen wird und die Aussicht auf den Schlund versperren und den Höllenlärm der Baustelle ein wenig dimmen soll.

Der Blick fällt künftig auf eine grüne Wiese mit spielenden Kindern und glücklichen Menschen, die auf der Monsterwand abgebildet sind. Es fehlt eigentlich nur noch karibisch strahlender Strand im Sonnenuntergang, dann würden die Münchner ihre Sonnenbrillen aufsetzen, Liegestühle aufstellen und das entspannte Leben vor der Baustelle genießen.

Da der Münchner, wenn er nicht gerade grantelt, aus jeder Situation das Beste macht, wird es bald Bürgerentscheide geben, mit der Forderung, man möchte vor der Haustür auch so eine schöne Wand haben. Wegen der hässlichen Nachbarn, und weil die dauernd vom Balkon rüberglotzen, dürfte sie auch durchaus ein bisserl höher sein als die vom Marienhof.

Und überhaupt, was könnte man mit diesen Panorama-Mauern nicht alles Gutes tun für München? Einen Grenzwall zum Beispiel. Wer nach München rein will, muss erst durch eine Wand aus einem Albtraum, was Zuagroaste abschrecken soll. Und im Englischen Garten gibt es künftig auch eine Heile-Welt-Wand. Auf dem Gemälde hüpfen Hirsche durch die Wälder und dahinter rollt leise die Elektrotram zum schallgedämpften Chinaturm.

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Zweite Stammstrecke
:Eine 4,50 Meter hohe Wand mitten in München

Der Wall soll den größten Lärm dämmen, der beim Bau des Tiefbahnhofs für die zweite Stammstrecke am Marienhof entstehen wird. Dennoch wird es wohl "laut und dreckig" werden.

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