Bauprojekte:Warum aus großen Visionen in München nichts wird

Neue, teure Projekte werden gerne lange diskutiert - um dann am Ende doch krachend zu scheitern. Eine kritische Bestandsaufnahme.

Von Nina Bovensiepen und Christian Krügel

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Quelle: SZ

Iman Benjamin Idriz wollte den großen Wurf: Sein erträumtes muslimisches Gemeindezentrum sollte unter anderem durch eine tolle Lage und spektakuläre Architektur beeindrucken. Das Projekt ist vorerst gescheitert. Am Geld, an vergleichsweise wenigen Millionen Euro, die am Ende fehlten. Das Scheitern einer großen Zukunftsvision - das ist in München aber kein Einzelfall, sondern eher die Regel. Ob es um den Bau einer zweiten S-Bahn-Röhre durch die Innenstadt oder die Sanierung des Gasteigs geht, um Service für den Bürger oder den täglichen Betrieb von Bädern und Bahnhöfen: Häufig verliert sich die Stadt im kleinen Karo oder in halben Sachen - nicht ohne zuvor jahrelang über fantastische Millionen- und Milliardensummen diskutiert zu haben. Ein keineswegs vollständiger Überblick.

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Islamzentrum

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Quelle: Catherina Hess

Gut zehn Jahre lang wurde über die Pläne von Benjamin Idriz und seinen Mitstreitern für das Islamzentrum diskutiert. Mit 4,5 Millionen Euro handelt es sich hier um eine überschaubare Summe, die nötig gewesen wäre, um das Grundstück für die Moschee und das offene Gemeindezentrum zu finanzieren. Doch das Geld kam nicht zusammen - obwohl im Vergleich zu sonstigen visionären Milliardenprojekten nur schlappe 3,5 Millionen Euro fehlten. Aber auch das ist typisch München: Kaum erklärt Idriz das Aus, kommen aus allen Parteien Beileidsbekundungen und Belehrungen. Etwa von Bundestagsvizepräsident Johannes Singhammer (CSU), der am Mittwoch Idriz noch verbal eine mitgab für dessen gescheiterte Spendenakquise im Nahen Osten: "Ohne Transparenz, sondern mit anonymen Spendern, die im Dunkeln bleiben wollen, kann man kein offenes Islamzentrum mit Moschee errichten." Auf die Idee, selbst bei weniger dubiosen Geldgebern in Deutschland zu werben, kam aber offenbar Singhammer nicht. Nun könnte es einen typischen Münchner Kompromiss geben. Idriz will nicht aufgeben, aber kleiner und weniger zentral könnte die Idee umgesetzt werden, sagt er selbst. Aus einer großen Vision wird eine für den Hinterhof.

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Zweite Stammstrecke

Münchner S-Bahn

Quelle: dpa

Angesichts des nahezu täglichen Nahverkehrschaos zweifelt wohl niemand mehr, dass München neue Schienenverbindungen und, ja, auch eine zweite S-Bahn-Röhre durch die Innenstadt dringend braucht. Erfunden hatte die große Vision des zweiten Tunnels einst Verkehrsminister Otto Wiesheu (CSU) zur Jahrtausendwende. Seitdem gab es Bundes- und Landesverkehrsminister von SPD, CSU und FDP - doch das einzige, was bei diesem Projekt voranschreitet, sind die Kostenprognosen auf dem Papier, die inzwischen bei mehr als drei Milliarden Euro liegen. Heuer sollen immerhin erste Kabel zur Vorbereitung der Baustelle verlegt werden. Eine Finanzierung gibt es noch immer nicht für die große Vision. Trotzdem wurden die gescholten, die im kleinen Karo dachten und Verbesserungen auf Süd- und Nordring forderten. Wenn der Milliardenplan scheitert, könnten ihre Ideen gefragt sein - mit fast 20 Jahren Verspätung.

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U-Bahn

Schienschleifwagen in der Münchner U-Bahn, 2016

Quelle: Florian Peljak

Die große Vision ist ganz naheliegend: Möchte man Münchens Schienensysteme entlasten, braucht es eine komplett neue U-Bahn durch die Stadt, am besten von der Poccistraße über den Hauptbahnhof nach Schwabing. Das sagt der scheidende Geschäftsführer der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG), Herbert König, schon lange. Und alle im Stadtrat geben ihm eigentlich auch recht. Doch statt der milliardenschweren Vision näherzutreten, möchten die Räte lieber eine Röhre nach Pasing buddeln. Und konkrete, schnelle Verbesserungen am U-Bahn-System sehen dann so aus wie am bestehenden Bahnhof Poccistraße. Dort hat sich die Deckenkonstruktion um 39 Millimeter abgesenkt. Sollte sie sich noch weiter bewegen, könnte eine Schließung der wichtigen Nord-Süd-Achse der U-Bahn nötig werden. Eine zügige Sanierung wäre naheliegend. Stattdessen wird am Bahnhof vorerst täglich von Sachverständigen kontrolliert, ob sich die Decke weiter senkt. Dann könnte es erst mal "provisorische Stützpfeiler" geben - was für eine Vision!

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Gasteig-Sanierung

Philharmonie im Gasteig in München, 2015

Quelle: Florian Peljak

Seit bald zehn Jahren ist bekannt, dass das überaus erfolgreiche Kulturzentrum eine Generalsanierung braucht und die Münchner Philharmoniker sich zudem endlich einen besseren Konzertsaal wünschen. Gasteig Geschäftsführerin Brigitte von Welser hatte dafür längst die große Vision eines runderneuerten, modernen Kulturtempels entwickelt. Doch der frühere OB Christian Ude schob das Projekt vor sich her und verwies stets auf den Freistaat, der erst mal entscheiden solle, ob er selbst einen Konzertsaal bauen wollte. Das ist nun entschieden, und Udes Nachfolger Dieter Reiter kündigte denn auch an, die Vision endlich umsetzen zu wollen. Nur erschrak er dann doch sehr über die halbe Milliarde Euro, die der Spaß kosten könnte. Nun wird die Vision von neuen Bibliotheken, Sälen und Foren noch ein bisschen länger von Rechenschiebern vermessen, und selbst der Kulturreferent sagt, dass man das große Ziel ja auch in vielen kleinen Etappen erreichen könnte - wohl um sich dann auch nicht mehr das Gequengel der Gasteig-Geschäftsführerin Welser anhören zu müssen. Die erinnert gerne an die Ideen von einst, hört aber 2017 auf.

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Schulen

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Quelle: Alessandra Schellnegger

Es begann alles mit stinkenden Schultoiletten. Die hatte die CSU im Wahlkampf 2014 als Großthema entdeckt. Dumm nur, dass durch die Diskussion erst klar wurde, wie marode Münchens Schulhäuser wirklich sind, wie viele Klassenzimmer, Gebäude, PC und andere wichtige Dinge für den täglichen Unterrichtsbedarf fehlen. Und plötzlich stand im Herbst 2015 die Summe von neun Milliarden Euro im Raum, die es braucht, um die große Vision einer modernen, top-ausgestatteten Schulstadt München zu realisieren. Das ist nun natürlich auch wieder ein bisschen viel, zumal sich auch noch ein veritables Zuständigkeitswirrwarr zwischen Bau-, Schul- und IT-Behörden herausstellte. Also wird man den Investitionsstau nach und nach ganz langsam abbauen. Ist ja auch eine Vision.

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Bürgerbüros

Überfülltes Bürgerbüro in München, 2016

Quelle: Stephan Rumpf

Der Name klingt großstädtisch modern, am modernen Serviceanspruch indes scheitern viele Bürgerbüros in München seit langem nahezu täglich. Weil es an Ausstattung und Personal mangelt, kann für viele Besucher das Bestellen eines neuen Ausweises wahlweise zu einer stundenlangen Warterei oder in totale Resignation führen. Auf die Lösung des Problems warten viele Münchner schon sehr lange. Umso erstaunlicher, wie gut die Bürokratie des Kreisverwaltungsreferates an anderen Stellen funktioniert. Etwa im Dreimühlenviertel, wo vor dem Valentin-Stüberl zu EM-Spielen kein Rollrasen mehr ausgelegt werden darf, wie behördlich verfügt wurde. Auch um ein Bußgeld dafür auszustellen, ist Zeit. Fragen dazu konnte das KVR am Dienstag allerdings nicht beantworten. Mangels Personal.

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Freibäder

Schwimmer im Dantebad in München, 2015

Quelle: Robert Haas

Bei seinen Schwimmbädern steht München, wie bei so vielem anderen natürlich auch, einzigartig in Deutschland da. Sie sind gepflegt und der Eintritt ist dennoch günstiger als in anderen Städten. Jeden Sommer allerdings wird nicht nur unter hartgesottenen Freibadgängern eine Debatte über die Öffnungszeiten geführt. Die Bäder (bis auf das Dantebad) öffnen nämlich jeden Tag erst um neun und schließen in der Regel um 18 Uhr (an besonders heißen Tagen geht es bis 20 Uhr), was einen Sprung ins Nass für Berufstätige fast unmöglich macht. Immerhin ist die Debatte heuer erstmals in den politischen Raum geschwappt. An einer Vision wird gearbeitet.

© SZ vom 30.06.2016/vewo
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