Süddeutsche Zeitung

Feminismus:Gendern im Himmelbett

Bauernmöbel können Zeugnisse weiblicher Emanzipation sein. Das bringen neue Forschungen am Bayerischen Nationalmuseum ans Licht.

Von Jutta Czeguhn

Wer eines dieser Echtholzungetüme erbt, für den stellt sich zu allererst die Frage nach dem Holzwurmbefall. Dann folgt das noch viel größere Problem: Wohin mit dem Teil, wenn man so gar nicht auf Agrarromantik abfährt? Bemalte Bauernmöbel - wie Butzenscheiben, Steingutkrüge oder Gedrechseltes - stehen für Brunnen-vor-dem-Tor-Spießigkeit. Allenfalls kombinierbar mit Skandi-Chic oder Industrial Style.

Da muss erst einer wie Thomas Schindler kommen und einem die Augen und die knarzende Bauernschranktür öffnen zu einem ganz neuen Feld der Genderforschung. Schindler nämlich, Referent für Volkskunde am Bayerischen Nationalmuseum, stellt aktuelle, gesellschaftspolitische Fragen an Objekte historischer Alltagskultur, bringt das Bauernmobiliar der Sammlung zum Sprechen über weibliches Selbstbewusstsein und Geschlechterbeziehungen. Nicht nur seine Studierenden an der LMU versetzt er damit in Erstaunen, gewiss auch die Besucher, die ihn durchs Museum zu einem Himmelbett aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts begleiten bei der Führung "Bauernmöbel und gender? Echt jetzt?" am Sonntag, 21. August, 11 Uhr.

Die Besitzerin jenes Himmelbetts dürfen wir uns laut Schindler als emanzipierte Person denken, die genau wusste, was sie von ihrem Mann in der heimischen Schlafkammer erwartete. Denn in den Inschriften, welche die Jungbäuerin beim heimischen Schreiner im mittelfränkischen Geslau in Auftrag gab, seien ihre Ansprüche an den Zukünftigen unmissverständlich formuliert: "Sie möchte eine liebende, zugewandte Ehefrau sein, dann aber kommt das Komma und das Aber; nur, wenn auch ihr Mann treu und zärtlich ist - und relativ unverblümt - wenn er sie im Bett auch zufriedenstellt."

Die patrilokale Wohnfolgeordnung wollte es damals, dass das Holz-Trumm ins Heim des Bräutigams überführt werden musste. In Geslau etwa wurde das Himmelbett quer durchs Dorf getragen, jeder konnte also mitlesen, was auf den Bräutigam zukam. Auch später, so Schindler, sei das eheliche Nachtlager eine öffentliche Sache gewesen, wurden im Gemach doch Gäste empfangen. Das Mobiliar hatte die Frau zwar mit in die Ehe gebracht, doch blieb es ihr Eigentum. Die Bemalungen seien "eine klare Abmarkierung" der Besitz- und Rechtsverhältnisse, sagt der Volkskundler. Und die Eingeheiratete konnte, bei Ehebruch, Impotenz oder der Unfähigkeit des Gatten, einen männlichen Hoferben zu zeugen, die Ehe annullieren lassen. Ein Heinrich-der-Achte-Fall quasi, nur unter umgekehrten Gendervorzeichen. Und anders als Anne Boleyn verlor der Mann - das ist ein schöner Zug - nicht den Kopf, sondern nur das Bauernmobiliar.

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