Süddeutsche Zeitung

Bauarbeiten:Unter dem Marienhof gibt es viel zu entdecken

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Von Christina Hertel

Wer hinter dem Rathaus auf dem Marienhof durch den roten Bauzaun lugt, sieht Mauerreste, Steine, Bagger, Leitern und vielleicht einen Mann in roter Arbeitskleidung, mit schweren Schuhen und einem weißen Helm auf dem Kopf, wie er ein Foto macht, eine Zeichnung fertigstellt oder den Boden von Staub frei kehrt. Das könnte dann Jonas Friedrich sein, 29 Jahre alt, Archäologe. Die vergangenen Monate hat er damit verbracht, alte Steine und zerbrochene Gefäße auf dem Marienhof an der Dienerstraße 11 auszugraben und zu dokumentieren.

Erst wenn er und seine Kollegen damit fertig sind, kann der Bau des S-Bahnhofs Marienhof, der dort in 40 Metern Tiefe für die zweite Stammstrecke entstehen soll, fortgeführt werden. Bis Ende Februar brauchen die Forscher wohl noch. Aber schon jetzt haben die Archäologen einiges gefunden, was "die Geschichte bebildert", wie es Stadtarchäologe Christian Behrer ausdrückt. Darunter zum Beispiel: ein Lampenschirm aus Glas, der bei Bombardierungen während des Zweiten Weltkriegs geschmolzen ist; verkohlte Schnipsel von Essensmarken; Säulenreste und Stuckteile, die einmal ein Restaurant schmückten. Und Scherben von Gefäßen aus dem elften Jahrhundert - die erneut beweisen, dass die Stadt München älter sein muss als ihre erste urkundliche Erwähnung aus dem Jahr 1158.

Überraschend seien die Funde zwar nicht, sagt Behrer. Bemerkenswert aber sei, dass sie sich zum Teil namentlich einzelnen Personen zuordnen ließen. Außerdem sei der Marienhof mit einer Fläche von 6600 Quadratmetern das größte zusammenhängende Bodendenkmal der Münchner Altstadt.

Von April 2011 bis Oktober 2012 führten Archäologen an anderer Stelle auf dem Marienhof schon einmal eine Grabung durch. 45 000 Einzelobjekte wie Keramik, Gläser und Stoffreste haben sie damals geborgen. Mit dem Rest der Ausgrabungen begannen sie dieses Jahr im Frühling. Weil in verschiedenen Archiven noch Pläne von Grundrissen, Mieter- und Eigentümerlisten vorhanden waren, konnten sich die Archäologen schon vor Beginn der Grabung darauf einstellen, was sie erwarten würde.

An der Dienerstraße 11 gingen wohl einst schillernde Persönlichkeiten ein und aus. Der Stadtschreiber wohnte dort, der zu den reichsten Menschen Münchens gehörte. Auch Berater des Kurfürsten Maximilian I., die den Dreißigjährigen Krieg führen halfen, lebten in dem Gebäude. Im 19. Jahrhundert wurde das Wohnhaus schließlich zu einem noblen Hotel, in dem Bergsteiger den Alpenverein gründeten. Und während des Nationalsozialismus verwalteten Beamte in dem Gebäude - nun Wirtschaftsamt der Stadt - unter anderem das einstige Vermögen jüdischer Familien und verteilten Essensmarken.

Als nächstes tragen die Archäologen die Überreste der Kellermauern ab und machen darunter mit ihren Grabungen weiter. Friedrich vermutet sieben Meter tiefer noch Schächte, Brunnen und Latrinen. Alles, was die Archäologen finden, sammeln sie in grauen Kisten und in Plastiktütchen. Die Funde verschwinden dann so lange in Archiven, bis sich Wissenschaftler finden, die das alles noch einmal analysieren möchten.

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Quelle:
SZ vom 12.09.2018
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