Schon für Sehende ist es derzeit schwierig, sich im S-Bahn-Zugangsgeschoss unter der Arnulfstraße zurechtzufinden. Seit vergangenem Sommer wird die Zwischenetage des Hauptbahnhofs saniert: herumliegender Bauschutt, Lärm und Wellblechstellwände sind Normalzustand. Für Melanie Egerer ist es nicht nur schwierig, sondern fast unmöglich: Sie ist blind. Eigentlich benutzte sie den Eingang Arnulfstraße-Pfefferstraße fast täglich - nun muss sie oftmals auf alternative Wege ausweichen.
"Ich würde jedem davon abraten, momentan hier langzulaufen. Es ist eng, vollgestellt, verlassen - schon fast gruselig", sagt die 32-Jährige. Sie ist Mitarbeiterin für Barrierefreiheit und Öffentlichkeitsarbeit beim Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund (BBSB). Durch die Umbauarbeiten verändere sich die Zwischenetage fast täglich. Neu errichtete Stellwände versperren ihr plötzlich Wege, an die sie sich erst kurz zuvor gewöhnt hatte. Sperrholzplatten liegen mal in der Ecke, mal direkt vor einer Rolltreppe. Zudem gibt es mancherorts keine Fliesen mehr, weswegen der Boden uneben ist, die Treppenstufen viel höher als gewohnt.
Mehr Stolpersteine als normal
Normalerweise verlässt sich Melanie Egerer auf ihr Gehör. Durch den Baulärm, der hinter den Stellwänden hervor dröhnt, fällt es ihr nun schwer, sich auf andere Geräusche zu konzentrieren. "Wenn der Presslufthammer losgeht, kann ich anderes gar nicht mehr wahrnehmen", erklärt sie.
Die Gänge, die zu den Rolltreppen führen, sind außerdem viel schmaler als vorher. Aus diesem Grund komme es nun oft vor, dass andere über ihren Blindenstock fallen, sagt Egerer. Und den Aufzug finde sie sowieso schon seit längerer Zeit nicht mehr wieder. Kein Wunder - die Leitstreifen, mit Rillen und Noppen, die Sehbehinderten normalerweise den Weg weisen, sind teilweise durch Stellwände unterbrochen. "Zu Anfang bin ich buchstäblich gegen Wände gelaufen", scherzt Egerer. So witzig ist das allerdings nicht: Oft müsse sie andere um Hilfe beten, um überhaupt durch das Gewirr zu finden. Falls jemand da ist, den sie fragen kann, - abends sei es manchmal menschenleer unter der Arnulfstraße. Zu ihrer gewohnten Einkaufsmöglichkeit, dem Edeka auf der anderen Seite, gehe sie kaum noch.
Es mangelt an Information
Dass Baustellen meist nicht barrierefrei sein können, versteht Melanie Egerer. Was sie sich wünscht, sind Auskünfte. "Es wäre angebracht, dass sie uns wenigstens benachrichtigen, wenn hier auf der Baustelle erhebliche Änderungen vorgenommen werden", sagt sie. Obwohl die Landesgeschäftsstelle des BBSB schräg gegenüber vom Hauptbahnhof sitzt, informiert die Deutsche Bahn (DB) den Verein noch nicht einmal, wenn sie ganze S-Bahn-Eingänge tagelang sperrt. "Man hat seine Wege, die man kennt. Wenn die wegfallen, weiß ich oft gar nicht, wo ich sonst langgehen könnte, wo der nächste Eingang ist, der vielleicht offen ist", beklagt Egerer.
Am vergangenen Freitag wurde das U-Bahn-Zugangsgeschoss unter dem Bahnhofsvorplatz von der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) eingeweiht - dort können sich Sehbehinderte unter anderem mit Hilfe der Blindenschrift an Handläufen der Auf- und Abgänge orientieren. MVG und BBSB arbeiteten zusammen. Melanie Egerer hofft, dass die Kooperation mit der DB ebenfalls funktioniert. Laut DB-Sprecher Bernd Honerkamp wird auch das S-Bahn-Zugangsgeschoss nach aktuellem Standard mit einem Blindenleitsystem ausgestattet. Die Umbauarbeiten auf der Bahnhofsseite sollen planmäßig im Juli abgeschlossen sein, die Sanierung auf der Seite des BBSB erst im September.