CD-Präsentation:Heilende Hände

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Vom Begleiter zum Band-Leader und Komponisten: Bastian Jütte. (Foto: Nils Kugelmann)

Mit elf durfte Bastian Jütte sich ans Schlagzeug des Nachbarn setzen. Das Instrument und der Jazz ließen ihn sie wieder los. Er wurde zu dem Taktgeber der Münchner Szene.

Von Oliver Hochkeppel, München

Die Stars im Jazz, das sind fast immer die Saxofonisten, die Trompeter und die Pianisten, die dann auch in ihrer Heimat als Gallionsfiguren herumgereicht werden. Für die Jazzszene einer Stadt sind aber im Grunde die Bassisten und Schlagzeuger viel wichtiger, also die sogenannte Rhythmusgruppe. Sie sind das Fundament nicht nur in einer, sondern in mehreren Bands und damit der Motor des lokalen Geschehens. In München waren Freddy Brocksieper und Charly Antolini die prägenden Schlagzeuger der Swingbop-Ära, abgelöst von Leuten wie Rick Hollaender, Harald Rüschenbaum, Falk Willis oder Guido May. Und bevor zuletzt eine ganze Rasselbande toller junger Drummer aufkam, mit einem Sebastian Holzgruber, einem Simon Popp, einem Valentin Renner und wie sie alle heißen, war da einer, der sie zum Teil als Dozent in München und Würzburg selbst ausgebildet hatte, und der immer noch der primus inter pares ist: Bastian Jütte.

Beim Nachbarn setzte er sich ans Schlagzeug: Da war er elf

Denn der mittlerweile 48-Jährige hat sich schon seit langem vom Schlagzeug-Begleiter zum Bandleader und Komponisten weiterentwickelt. "Inside" war 2011 sein erstes eigenes Jazzprojekt, nachdem er sich schon 2007 mit "Bastian: Not In This Game" im eher rockigen Songwriter-Fach (und auch selbst singend) versucht hatte. Musik aller Art spielte bei Jütte früh eine Hauptrolle: Sein Vater war Tonmeister beim BR und auch ein ordentlicher Pianist, sein älterer Bruder spielte Gitarre. Er selbst fand den eigenen Weg so: "Nachdem ich das Schlagzeug eines Nachbarn ausprobieren durfte, wusste ich: Das wird meine Sache. Da war ich elf."

So ging es also los, mit Blues, Rock'n'Roll und Pop. All die Informations- und Bildungsmöglichkeiten des Internet-Zeitalters gab es noch nicht, und so bedurfte es eines aufmerksamen Musikschullehrers, der Jüttes Jazz-Talent entdeckte und ihm Weather Report zu hören gab. Omar Hakim und Vinnie Colaiuta waren denn auch die ersten Vorbilder. Nachdem er herausgefunden hatte, dass man inzwischen auch am Münchner Richard-Strauss-Konservatorium Jazz-Schlagzeug studieren konnte, fing Jütte dort 1994 an. Und beendete das Studium im Jahr 2000 bei Keith Copeland in Mannheim. Seitdem ist der so asketisch Wirkende, der täglich eisern mehrere Stunden lang übt, Taktgeber, Bindeglied und Fixstern der Münchner Szene.

Bei den maßgeblichen Münchner Bands der vergangenen Jahre saß er am Drumkit, schon in den letzten Ausläufern seines Studiums etwa im Till Martin Quartett und im Martin Auer Quintett, später im Tim Allhoff Trio und bei zahllosen Projekten von Henning Sieverts, Christian Elsässer, Johannes Enders, Carolyn Breuer, Andrea Hermenau, Johanna Schneider, Thilo Kreitmeier oder Hugo Siegmeth. Wie maßgeblich, sieht man schon an den Auszeichnungen, die Jütte mit oder dank ihnen abgeräumt hat, vom Preis der Deutschen Schallplattenkritik über den Echo Jazz bis zum Neuen Deutschen Jazzpreis, der wohl bis vor kurzem bedeutendsten deutschen Auszeichnung. Die gewann Jütte 2010 als Mitglied des Tim Allhoff Trios und 2016 dann noch einmal: mit seinem eigenen Quartett.

Seine Bedeutung unterstreicht Jütte jetzt mit einem neuen Album, seinem insgesamt sechsten. "The Cure" heißt es, wieder eingespielt im Allstar-Quartett mit dem Alt- und Sopransaxofonisten Florian Trübsbach, dem Pianisten Rainer Böhm und dem Bassisten Henning Sieverts, das schon 2016 mit "Happiness Is Overrated" für Furore sorgte. Dort wie auf "The Cure" ist die Grundstimmung eher melancholisch, umso mehr, als das Album direkt vor dem ersten Lockdown in Ahnung des Kommenden eingespielt wurde. Diesmal freilich gönnt Jütte seinen enorm facettenreichen, viel Freiraum lassenden Stücken eine versöhnliche, mitunter erlösende Wendung. Logischerweise ist die Rhythmik ausgeprägter als bei üblichen Quartetten, mal geht es in ungeraden Metren wild dahin ("Odd-Yssey), mal geht es in Quintolen mit Hip-Hop-Beats ("Five Wigs"), mal reicht auch ein sanfter Besen-Groove ("Family Affair"). Streckenweise entwickelt das Sogwirkung. In jedem Fall wirkt Jüttes Musik, wie es der Titel verspricht, als kleines Remedium, als Seelentrost in tristen Zeiten. Wenn die vier das Album nun in der Unterfahrt vorstellen, achten Sie mal etwas genauer auf den Schlagzeuger, der Ihnen das beschert.

Bastian Jütte Quartet: "The Cure" (Laika-Records); live am Mi., 8. Juni, 20.30 Uhr, Unterfahrt , Einsteinstraße 42, Tel. 448 27 94

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