An der Tegernseer Landstraße zieht sich entlang der Tramgleise eine Schwelle. Sie trennt die Autofahrer von der mittig fahrenden Straßenbahn.
Nun separiert sie auch Nachtschwärmer - in solche, die auf ihren Weg achten, und solche, die es nicht tun. Rückwärts gehende Menschen fallen schon mal drüber, etwa beim Versuch, ein instagramtaugliches Bild von der Kneipe auf dieser oder jenen Straßenseite zu machen.
Denn seit Kurzem trennt Stolperschwelle mehr als nur den Verkehr - sie trennt zwei neue Orte für Nachtschwärmer, die sich dieses Wochenende auf der Tegernseer Landstraße eingerichtet haben.
Das "Altgiesing" auf der Straßenseite stadteinwärts, Nummer 93, von außen wie ein in die Jahre gekommenes Wirtshaus wirkend, innen eine charmant stilvolle Bar mit gedämpftem Licht. Stadtauswärts, in dem Gebäude Nummer 96, in dem sich das "Kaffee Giesing" nach seinem Umzug befand, das "Riffraff", schwarz die Wände, bunt die Stühle und Graffiti, wohin der Blick auch fällt.
Zwei alteingesessene Giesinger haben diese Läden in ihrem Viertel aufgesperrt; Jannis Amperiadis, der auch das "Attentat Griechischer Salat" im Viertel betreibt, macht das "Altgiesing"; das "Riffraff" gegenüber Florian Falterer, der über den Sommer das "Watzart" mit Biergarten und Konzerten auf einem dem Abriss geweihten Gelände in der Watzmannstraße ins Leben rief.
In Giesing ist noch genügend Raum für Nachtlokale, die Konzepte unterscheiden sich. Freundschaftliche Einstandsbesuche am gegenüberliegenden Tresen statt Nachbarschaftsrivalität. Ihre neuen Lokale sind noch am Wachsen, zarte Triebe in der Selbstfindungsphase.
Die neuen Nachbarn sind nicht ganz allein neu; ein paar Schritte weiter, an der Post vorbei, hat sich an der "Tela" auch das Künstlerkollektiv "Tam Tam" eingenistet. "Flo**" heißt ihr Laden, in dem alles Mögliche passiert: Lesungen und Tischtennisspiel, Kunst und Konzert. Offen ist aber nur, wenn etwas passiert. Und wenn nichts passiert, führen ein paar Schritte schnell zurück zu den anderen beiden.
Vor den sich gegenüberliegenden Türen stehen kleine Grüppchen und Rauchen. Dazu Männer in Bomberjacken, Wächter der Nachtruhe, die die Rauchenden hüten wie Schäfer ihre Herde. Die Schwelle trennt sie, ab und an rauscht eine Trambahn vorbei, ein paar Taxen, eine Streife.
Es muss keine Entscheidung werden, ob die Nacht Richtung stadteinwärts oder stadtauswärts verbracht wird. Ein gemütlicher Drink im intimeren "Altgiesing", Nummer 93, dann rüber ins "Riffraff", Nummer 96, und durch die bodentiefen Fenster das Treiben auf der Straße beobachten. Vielleicht macht die Schlachthofbronx spontan Musik, vielleicht läuft Old School Hip Hop. Vielleicht wieder zurück über die Straße.
Barhopping im Viertel beschränkte sich bisher auf einige wenige Orte. Nun ist das anders. In Giesing bewegt sich was. Nur die Stolperschwelle, die gilt es elegant zu übersteigen.