Serie "München erlesen" (Folge 38):Fragen an die Löwen

Serie "München erlesen" (Folge 38): Die Feldherrnhalle, Treffpunkt von Einheimischen und Touristen, hat als Vorbild die Florentiner Loggia dei Lanzi.

Die Feldherrnhalle, Treffpunkt von Einheimischen und Touristen, hat als Vorbild die Florentiner Loggia dei Lanzi.

(Foto: Robert Haas)

Barbara Bronnen umkreist in ihrem letzten Buch die Münchner Feldherrnhalle. Als kluge und scharfzüngige Beobachterin erweckt sie Historie und die eigene Familiengeschichte.

Von Florian Welle, München

Die Feldherrnhalle am Odeonsplatz ist eines der bekanntesten Wahrzeichen Münchens. Das klassizistische, von der Theatinerkirche auf der einen und der Residenz auf der anderen Seite flankierte Bauwerk Friedrich von Gärtners ist ein beliebter Treffpunkt für Einheimische wie Touristen aus der ganzen Welt. Wenn nicht gerade von der Pandemie ausgebremst, finden vor dem von König Ludwig I. in Auftrag gegebenen und 1844 fertig gestellten Bau im Sommer zahlreiche Konzerte statt. Ein Ort der Musik, der Begegnung und des Austauschs.

Barbara Bronnen verband seit ihrer Kindheit und Jugend eine innige Geschichte mit Münchens einzigartigem Freiluft-Salon, dem die Florentiner Loggia dei Lanzi als Vorbild gedient hat. Die Schriftstellerin, die vor drei Jahren kurz vor ihrem 81. Geburtstag in München gestorben ist, widmete ihrer besonderen Beziehung sogar ein ganzes Buch. Sein Titel lautet schlicht "Feldherrnhalle". 2016 erschienen, sollte es ihr letztes großes Werk sein.

Serie "München erlesen" (Folge 38): Barbara Bronnen kam kurz nach dem Zweiten Weltkrieg zum ersten Mal nach München. Sie sah Schutt und Trümmer.

Barbara Bronnen kam kurz nach dem Zweiten Weltkrieg zum ersten Mal nach München. Sie sah Schutt und Trümmer.

(Foto: imago stock&people)

In der für sie typischen Mischung von autobiografischen Geschichten mit historischen Reflexionen versucht die gebürtige Berlinerin dem "Rätsel" dieser Architektur, die sie als "Chiffre für ein altes wie ein neues Zeitalter" begreift, auf die Schliche zu kommen. Sie ist eine munter darauf los assoziierende Stadtführerin der besonderen Art, die die stummen Steine und das von Ferdinand von Miller entworfene Denkmal für die bayerische Armee, die monumentalen Bronzestandbilder Graf Tillys und Fürst Wredes sowie die majestätischen Löwen mit ihren Zweifeln und Fragen konfrontiert.

"Ich glaube, dass der Krieg eine Schöpfung des frigiden Mannes ist."

"Ich gehe auf das Denkmal in der Mitte der Arkaden zu ... Warum, frage ich, hat von Miller den Grundkonflikt zwischen Krieg und Frieden als Mann und Frau dargestellt?" Wenige Zeilen später gibt sie selbst die glänzende Antwort: "Ich glaube, dass der Krieg eine Schöpfung des frigiden Mannes ist." Daneben malt sie sich aus, wie die von ihr verehrten Künstler und Literaten sich wohl an dem monumentalen Bau gerieben haben mochten.

Sie stellt sich den rebellisch-fiebrigen Oskar Maria Graf vor, zu dem die alten Steine nach der gescheiterten Revolution von 1918/19 sprechen: "Plötzlich fühlt er einen heftigen Luftstrom, der aus dem Felsen dringt, und es ertönt eine mächtige Stimme, der er sich gnadenlos ausgeliefert fühlt. Was ist da los in München, brüllen hier die Steine?" Oder sie fühlt sich in Ricarda Huch ein, über die sie gut zehn Jahre zuvor bereits das Buch "Fliegen mit gestützten Flügeln" über deren letzten Lebensjahre geschrieben hatte. Lässt die nach 1933 von den Nazis totgeschwiegene Schriftstellerin und Historikerin die Löwenköpfe streicheln und mutmaßt: "Es ist ihr ein Trost, in einer Stadt zu sein, in der es solche Denkmäler gibt."

In "Feldherrnhalle" zeigt sie sich einmal mehr als kluge, scharfzüngige Beobachterin. Es sind die Widersprüche, die sie in Bann ziehen. Denn der Prachtbau war ja nicht immer ein Ort, an dem die Menschen ungezwungen zusammen kamen. Nach dem Sieg im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 zogen an ihm die Soldaten in Reih und Glied vorbei.

Sie wird nicht müde, vor dem Erstarken der neuen Rechten zu warnen

1914 sollten sie es wieder tun. Nur dass diesmal die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs auf sie warteten. Neun Jahre später endete am Odeonsplatz der Putschversuch Hitlers. "Den Ruch des Marsches auf die Feldherrnhalle wird sie nicht loswerden", schreibt Bronnen, "unproblematisch wird das Verhältnis zur Loggia nie sein". Und gerade deshalb wird sie nicht müde vor dem Erstarken der neuen Rechten zu warnen, die zur Entstehungszeit des Buches starken Zulauf erhielten. Es war die Zeit der sogenannten Flüchtlingskrise.

Die Schriftstellerin wuchs in Bad Goisern und Linz auf. Zum ersten Mal war sie unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg in München, sah Schutt und Trümmer. Als sie Ende der Fünfzigerjahre hier Germanistik und Philosophie zu studieren begann, waren diese längst verschwunden. Zusammen mit ihrer forschen Großmutter Else erwanderte sie sich ihre neue Heimat: "Wichtiger als deine Schmöker zu lesen, sagte sie, ist es, die Stadt zu entziffern, und sie schlug mein Buch zu: also raus!"

Man kann "Feldherrnhalle" auch als Auseinandersetzung der Autorin mit ihrer Familiengeschichte lesen. Dabei beschönigt sie nichts. Der Ehemann ihrer Großmutter, Ernst von Lossow, war ein Vetter jenes Otto von Lossow, der als Reichswehrbefehlshaber "auf obskure Weise in den Hitlerputsch 1923 verwickelt" war. Vor diesem Hintergrund gewinnt ihr Nachdenken über die Feldherrnhalle eine persönliche Note. Mitunter nimmt es regelrecht obsessive Züge an. Von Besuchern zurückgelassene Dinge wie Decken und Socken sammelt sie ein und hebt diese zu Hause auf.

Ein letztes Mal kommt sie in "Feldherrnhalle" auch auf ihren Vater, den Dramatiker, Brecht-Freund und politischen Opportunisten par excellence, Arnolt Bronnen, zu sprechen. An ihm, der sämtlichen Ideologien des 20. Jahrhunderts einmal anhing, arbeitete sie sich bereits in den Büchern "Das Monokel" und "Meine Väter" ab.

Die Feldherrnhalle ist ein geschichtsträchtiges Denkmal. Auch das Buch "Feldherrnhalle" hat denkmalhafte Züge. In seinen bewegendsten Kapiteln erinnert es an Männer des Widerstands gegen die Nazis wie Georg Elser oder Walter Klingenbeck.

Barbara Bronnen, Feldherrnhalle. Europa Verlag, Berlin 2016. 270 Seiten. 15,99 Euro. (nur als eBook)

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