Süddeutsche Zeitung

The Wedding Chapel:Boazn für Hipster

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Weihnachtssterne aus Plastik, Tropical Cocktails, wenig Licht: Im The Wedding Chapel lebt der Geist einer düsteren Schwulenbar weiter. Doch der erste Eindruck täuscht. Die Bar ist der neue Liebling der Szene.

Von Thierry Backes

Steffen Henssler wirft erst mal einen Blick ins Klo. Denn das Klo, sagt der neue "Restaurantteser" in der RTL-Show, das sei die "Visitenkarte eines Restaurants". Wenn das auch für Bars gilt, dann kann The Wedding Chapel nichts anderes sein als ein ziemlich hässlicher Ort. "Fresse", hat jemand in großen Lettern über das Pissoir gesprüht, darunter steht: "Kannste schütteln, kannste klopfen, in die Hose geht der letzte Tropfen."

Die Hochzeitskapelle ist eben alles andere als das, was der Name verspricht. Am Eingang hängt zwar eine ganze Wand voller Weihnachtssterne aus Plastik, aber das war's dann schon mit der Romantik. Die Wirte Markus Frankl und Robinson Kuhlmann, die sich in der Münchner Szene einen Namen gemacht haben, probieren es hier mit einer Art Boazn für Hipster.

Um sie zu verstehen, muss man wissen, wer vorher in der Thalkirchner Straße ein- und ausging. Das Pop-As war viele Jahre lang eine ziemlich düstere, altmodische Schwulenkneipe, Frauen: unerwünscht. Als der Inhaber aufhören wollte und keinen Nachfolger fand, klingelte er bei Frankl, der die Schnelle Liebe direkt nebenan führt.

Die Kapuzenpullifraktion fühlt sich hier wohl

Der wollte seine neue Kneipe so aufmachen wie sein Vorgänger sie zugesperrt hatte, entschied sich dann aber für ein paar Änderungen. Ein alter Teppich und ein Bürolampe hängen jetzt an der Decke, aus der Holzverkleidung wurden ein Tresen und die Flaschenregale hinter der Bar, die Weihnachtssterne entdeckte Frankl in einer Kiste im Hinterhof. Und so lebt der Geist des Pop-As weiter, ein kleinwenig zumindest.

Kurz nach der Eröffnung Anfang Februar treffen sich im Wedding Chapel befreundete Kellner aus den angesagten Bars der Stadt. Sie tragen Bart und Kapuzenpullis, Sneakers und Flap Caps, nippen an ihrem Bier - und das kommt hier natürlich aus Bremen. Ein Münchner Helles steht gar nicht auf dem Zettel, der als Karte dient und der immerhin den Namen des Lokals verrät, in dem man gerade sitzt. Ein Namensschild sucht man draußen vergeblich, eine Facebook-Seite wolle er nicht einrichten, sagt Frankl. "Eine Vorsichtsmaßnahme" sei das, damit ihm die Leute nicht die Bude einrennen. Ob er dabei bedacht hat, dass nichts spannender ist als eine Bar, die keiner kennen soll?

Die Drinks im Wedding Chapel überraschen nicht, abgefahren wird es erst, wenn einem Beck's und Cuba Libre nicht zusagen. Für den Fall gibt es nämlich Tropical Cocktails, dekoriert mit Früchten und Schirmchen - eine weitere Hommage an das Pop-As. Auch der Videospielautomat stammt aus längst vergessenen Zeiten.

Neu sind hingegen die Lampen, die schummriges Licht im hinteren Teil der Bar spenden und an den Tischen festgeschraubt sind. Die Kinder von Frankl und Kuhlmann haben sie bemalt; darauf findet man aber auch einen Spruch, der ganz gut aufs Klo passen würde: "Ottobrunn sucks", Ottobrunn nervt.

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Quelle:
SZ vom 28.02.2014
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