Bar im Rationaltheater:Ein ganz eigener Schlag

Rationaltheater

Vorhang auf! Das Rationaltheater ist eines der ältesten und schönsten Privattheater der Stadt.

(Foto: Rationaltheater)

Im Rationaltheater in Altschwabing, einem der ältesten und schönsten Privattheater Münchens, gibt es eine gemütliche Bar. Trotzdem kennen sie nur wenige. Schade.

Von Annette Wild

David Lynch hätte hier sicherlich seine wahre Freude, wirkt das Innere des Rationaltheaters doch, als wäre es einem seiner Filme entliehen. Der kleine Raum ist mit dunkelrotem Teppich ausgelegt, dunkelrot auch die Wände. Gerade die kleine Bühne samt Vorhang erinnert an Lynchs verstörende, fantastische und dunkle Serie Twin Peaks, in der tanzende Zwerge oder kahlköpfige Riesen an recht ähnlichem Schauplatz auftraten.

Vorhänge verdecken und trennen. Im Kino wie auch im Theater markiert ein Vorhang eine unsichtbare Demarkationslinie zwischen der realen Welt des Betrachters im Zuschauerraum und dem fingierten Geschehen auf der Bühne - also zwischen Realität und Fantasie. Beim Aufziehen des Stoffs erscheint einem Guckkasten gleich ein Fenster zu einer neuen, künstlerisch gestalteten Welt. Im Rationaltheater war dieser Vorhang, auch wenn er geschlossen war, gleichzeitig immer offen. Kunst floss ins Leben, Leben in die Kunst - vor allem in den sechziger Jahren.

"Das Rationaltheater war ein wichtiger Ort für die 68er, wo auch viel Agitprop-Theater gelaufen ist", erklärt der Betreiber Dietmar Höss. 1965 von dem Kabarettist und Volkswirt Reiner Uthoff gegründet, präsentierte es von Anfang an ein radikales Programm. "Das Rationaltheater hat viel bewegt. Damals wurde hier junges Kabarett von der politisch harten Sorte gespielt", weiß Höss.

Später kamen Filme hinzu, die man nirgendwo anders sehen konnte. Mit Edgar Reiz und Ula Stöckl baute Reiner Uthoff 1971 ein 16mm-Kino in das Theater, etablierte Filmnächte und zeigte nach den Kabarettvorstellungen auch Filme, die damals auf dem Index standen.

Künstlerische Keimzelle

Kein Wunder also, das viele Jahre später ein anderer Filmfreund und Idealist das traditionsreiche Privattheater übernahm. Nachdem das Rationaltheater zehn Jahre lange geschlossen war, pachtete es im Herbst 2008 Dietmar Höss. Der Filmemacher und Produzent, dessen Dokumentarfilme ebenfalls nicht selten für Aufregung sorgten, stellt dort seitdem ein umfangreiches, höchst ambitioniertes Programm auf die Beine. "Ich hatte damals keinerlei Ahnung von Gastronomie oder Kabarett", gibt Höss zu.

Seine lückenhafte Kenntnis machte er jedoch mit Herzblut, viel Engagement und guten Kontakten zu Künstlern wett. "Etwa zehn verschiedene Veranstaltungen biete ich jeden Monat an", erklärt Höss. Sein besonderer Stolz: Eine der besten 16mm-Projektoranlagen Münchens. "Jeden 16. des Monats zeigen wir gratis einen 16mm Film", freut sich der Filmfreund. Dazwischen finden auf der kleinen Bühne Theater- und Kabarettvorstellungen, Lesungen sowie Konzerte unterschiedlichster Musikrichtungen wie etwa Jazz, Blues oder Rock statt.

Etwas ganz Besonderes ist die Schwing-Nacht im Rationaltheater. Zwei DJs legen Schellackplatten vom Ende der zwanziger bis zum Anfang der fünfziger Jahre auf. Die Hits und Raritäten im Original-Sound kommen dann mit ein wenig Knistern und Rauschen über die Lautsprecher alter Röhrenradios, die auf einem Holzsims über der Bar stehen. "Die Veranstaltungen sind zwar oft brechend voll, doch leider verirren sich, wenn wir nur Bar-Betrieb haben, nur wenige hierher", sagt Höss.

Ein Fehler, denn auch dann lohnt sich der Weg in das charmante Privattheater, wo eine ganz besondere Atmosphäre auf den Nachtschwärmer wartet: Plüsch, Heimeligkeit und Melancholie mischen sich hier mit Gesellig- und Bodenständigkeit, aber auch Intellektualität und jugendhafter Energie.

Das Rationaltheater gedenkt respektvoll seiner Vergangenheit, heult ihr aber nicht hinterher, sondern strotzt vor Lebensfreude. Eingelullt in diese Mixtur sitzt man in dem kleinen Gastraum auf Cocktailstühlchen und Clubsesseln der fünfziger bis siebziger, trinkt Bier für 2,80 Euro (Augustiner, 0,5 l), lernt Menschen unterschiedlichen Alters und Schlags kennen, trinkt noch mehr Bier mit ihnen und redet die ganze Nacht über Leben und Kunst - ohne trennenden Vorhang dazwischen.

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