Bankgeheimnis:Friedlich und bunt

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Am Nordhaideplatz trifft sich die Welt - würde man auf die einzelnen Gesprächsfetzen achten, käme man mit Sicherheit auf ein Dutzend Muttersprachen

Von Martina Scherf, München

Wasser und ein paar Luftballons, mehr brauchen die Kinder nicht, um sich zu vergnügen. Barfuß tollen sie durch den in den Boden eingelassenen Brunnen, und jedes Mal, wenn die Fontäne angeht, jauchzen sie vor Freude. Auf einer der Bänke am Platz sitzt eine blonde Frau und schaut zu, vor ihr liegen Mädchensandalen. Die Mutter? "Nein, die Oma", sagt sie, lacht und ergänzt: "Tochter in Arbeit." Sie spreche kaum Deutsch, deutet sie an, aber das stimmt nicht ganz, denn es reicht durchaus, um sich zu verständigen. Aus Moskau ist die jung gebliebene Oma angereist, zum Babysitten. Den ganzen Monat August bleibt sie in München.

Auf dem Nordhaideplatz trifft sich die Welt. Würde man jetzt mal spontan durchzählen, man käme mit Sicherheit auf ein Dutzend Muttersprachen. Eine schwarze Mama mit Kinderwagen sitzt im Schatten einer Kastanie, eine junge Familie, sie mit Kopftuch, er im Polohemd, das Baby auf dem Arm, kommt aus der Apotheke, zwei alte, bärtige Männer auf der Bank gegenüber begrüßen lautstark einen Freund auf Kroatisch.

Kaum ein Münchner kennt den Platz allerdings unter seinem Namen. "Die Mira" hingegen kennt jeder im Münchner Norden. Das Einkaufszentrum kam mit der U-Bahn-Haltestelle Dülferstraße 2002 und ist der Treffpunkt für Jung und Alt im Hasenbergl, wie die Riem-Arcaden im Münchner Osten oder das Olympiaeinkaufszentrum in Moosach.

Ali Salo spricht Kurdisch, Türkisch, Arabisch, Deutsch und verkauft am Nordhaideplatz Döner. (Foto: Robert Haas)

"Es lebt sich sehr angenehm hier", findet Bojana Oroz, 21. Sie ist pharmazeutisch-technische Assistentin und arbeitet in der Apotheke am Platz. Ihre Kunden begrüßt sie mit einem offenen, herzlichen Lächeln. Ihr Traum: Pharmazie studieren. "Das wird nicht einfach, ich muss das Abitur nachholen, und Mathe ist schwer", sagt sie, "aber das habe ich mir vorgenommen." Bojana Oroz ist in der Nähe aufgewachsen. Das ganze Viertel habe sich zum Positiven verändert, sagt sie. Die offene Architektur, die Cafés, die großzügigen Grünanlagen, Spielplätze, Trampoline und Tischtennisanlagen entlang der Diagonale durch das neue Wohnquartier an der Panzerwiese, "es scheint, als ob sich das Äußere auch auf den Charakter der Menschen auswirkt." Natürlich gebe es am Platz manchmal Zoff unter Jugendlichen. Die Bänke wurden schon zweimal erneuert, aber insgesamt sei es in diesem Teil des Hasenbergls ein recht buntes und friedliches "Multikulti-Leben".

Es ist ihre Heimat, hier fühlt sie sich wohl. "Ich habe Griechen, Türken, Deutsche als Freunde, Leute aus Sri Lanka, das ist das Schöne an dem Leben hier." Und der neue Döner an der Ecke, der sei der beste weit und breit. Mal sehen. Ali Salo steht hinter der Theke und macht Witze, zumindest lachen die drei Männer in "Loko's Döner", vor dessen Tür eine grasgrüne Fahne weht. Seit einem guten Jahr hat der Kurde den Laden, und mittlerweile hat sich die Qualität seiner Döner herumgesprochen. Es kommen Mitarbeiter von BMW oder bis von der MAN in Karlsfeld, sagt Salo, dazu Schüler und Studenten aus dem Wohnheim gegenüber, und der Taxifahrer, der jetzt vor einem großen Teller mit Fleisch, Salat und Reis sitzt, bestätigt: "Hier waren schon alle möglichen Döner drin, aber der hier ist spitze, kein Vergleich zu vorher." Das Fleisch, die Falafel, Salate und Soßen, alles frisch geschnitten und zubereitet, das sieht man auf den ersten Blick, und - orientalische Gastfreundschaft führt unweigerlich zum Essen - man schmeckt es auch.

Alisa Korkin wohnt im Hasenbergl. Sie plaudert mit ihrer Mutter, bevor sie nach Schwabing radelt, wo sie in einer Arztpraxis arbeitet. (Foto: Robert Haas)

Bis es dazu kam, sagt der Gastronom, war es allerdings ein ganz schön steiniger Weg. 2001 ist er als 16-Jähriger allein aus dem Irak geflohen. Er spricht Kurdisch, Türkisch, Arabisch, Deutsch, durfte lange Zeit als Asylbewerber nicht arbeiten, hat sich dann in allen möglichen Jobs durchgeschlagen, bis er endlich im vergangenen Jahr seine unbefristete Aufenthaltserlaubnis von der Münchner Ausländerbehörde bekam. Jetzt ist er Wirt und sehr zufrieden, wie er sagt.

Von neun bis 22 Uhr ist sein Imbiss in der Mira geöffnet, jeden Tag. Zeit für eine Freundin hatte er in seinem anstrengenden Leben bisher noch nicht. "Ich bin glücklich, dass ich gesund bin und Arbeit habe", sagt er und lächelt. "Heute ist Bayram, wichtigster Feiertag in der muslimischen Welt", deshalb stellt er noch ein süßes Teilchen auf den Tisch.

Der Platz hat sich inzwischen gefüllt, die Kinder planschen immer noch im Brunnen. Da kommt Alisa Korkin auf dem Mountainbike angebraust, die Mutter der beiden Mädchen. Rote Haare, grüne Shorts, Sneakers. Alles in Ordnung?, fragt sie ihre Mutter auf Russisch und setzt die Kopfhörer ab. Sie hat noch schnell ihr Fitnessprogramm absolviert, bevor es in die Arbeit geht, erzählt sie.

Seit zehn Jahren lebt Alisa Korkin, 30, in München, sie ist medizinische Fachangestellte in einer Schwabinger Frauenarztpraxis und wohnt im Hasenbergl, auf der anderen Seite der Schleißheimer Straße. Es ist gut dort zu wohnen, sagt sie, der Feldmochinger See ist nicht weit, es gibt den Feldmochinger Anger, "aber da sind keine schönen Spielplätze, dort hängen oft Jugendliche rum, die sich nicht benehmen können. Hier ist es viel gepflegter."

Nach Moskau reist sie nicht, die Mutter kommt ja alle paar Monate, "so oft es das Visum zulässt", sagt sie. Dann schickt sie ihre Mutter noch zum Wasserspielplatz in der Nähe und schwingt sich gleich wieder auf ihr Fahrrad.

© SZ vom 31.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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