Bankgeheimnis:Elf Linden im Fischgebiet

Stille Idylle neben der tosenden Leopoldstraße - am Nikolaiplatz in Schwabing treffen sich Genießende und Genesende

Von Philipp Crone, München/Schwabing

Susanne Löning blickt, 20 Meter von der tosenden Leopoldstraße entfernt, auf eine stille Idylle. Sie hört das leise Plätschern des Brunnens, das raschelnde Wiegen der Bäume in einer Sommerbrise und sogar das leichte Knirschen im Tretlager einer vorbeirollenden Radfahrerin. Die Frau mit dem wallenden lockigen Haar und dem leichten Grundlächeln genießt. Und sie genest.

Löning, 31, sitzt auf einer von acht Bänken am Nikolaiplatz, den man beinahe als Park bezeichnen könnte. Wann kann man von einem Park sprechen? Auf dem Platz stehen elf Bäume und drei Bänke, neben der jungen Frau sitzen zwei weitere Frauen auf den Nebenbänken. Sie schauen am Brunnen vorbei durch einige der Bäume auf drei winzige Häuser, die hier jemand vergessen zu haben scheint. Das linke Gebäude ist 250 Jahre alt, wird der Tattoo-Studio-Betreiber im Erdgeschoss gleich erzählen, aber noch hat der nicht geöffnet, es ist ein heißer Augustmittag um kurz vor 14 Uhr. Löning ist in Brasilien geboren worden, lebt seit 26 Jahren in München und arbeitet in Pullach als Kinderpflegerin. Sie deutet auf ein Eckgebäude. In einer psychosomatischen Tagesklinik ist die junge Frau seit sieben Wochen täglich in Behandlung, es ging ihr am Anfang nicht gut, erzählt sie. Das sagt eine Frau, die ganz gelassen wirkt und ganz offensichtlich in den letzten Wochen wieder zu Ruhe und Stärke gefunden hat.

Susanne Löning sagt: "Ich finde es schade, dass über psychische Probleme so oft geschwiegen wird." Sie selber habe auch durch ihre Ausbildung und ihre Arbeit Zugang und Ahnung von der Materie, und weil es sie stört, dass Menschen von vielen Problemen sprächen , aber oft eben schwiegen, wenn es um psychische Probleme gehe, dürfe das der Autor auch gerne schreiben. Ihr sei es vor einigen Wochen eben nicht besonders gut gegangen, eine Krise, "ich glaube, so etwas hat doch jeder mal im Leben."

Bankgeheimnis: Der Nikolaiplatz: ein Mini-Park mit abwechslungsreicher Umgebung.

Der Nikolaiplatz: ein Mini-Park mit abwechslungsreicher Umgebung.

(Foto: Catherina Hess)

Dabei ist an so einem Ort, auch wenn er so absurd nahe an der lauten Verkehrsschneise in Schwabing liegt, alles an so einem Nachmittag gar nicht schlimm. Wer hier sitzt im Plätschern und Blätterrascheln, der muss wohl beinahe dieses leichte Grundlächeln im Gesicht haben, wie Löning. Ein Hundehalter kommt vorbeigeschlendert, er hat seinen Gang dem des Tieres angepasst, was bedeutet, dass er für das Passieren der Bank von Löning fast zehn Sekunden braucht. Währenddessen landen zwei Tauben am Brunnenrand, ihr Gefieder schillert in dem diffusen Licht-Schatten unter den Bäumen. Allein so ein Anblick würde wohl jeden Burn-Out-Patienten der Tagesklinik gleich ein wenig gesünder machen.

"Man kommt hier auch sofort mit Leuten ins Gespräch", sagt Löning, "also, wenn man möchte, aber so ist das ja in Schwabing." Hier lebt sie schon seit vielen Jahren, ein paar Straßen weiter. "Ich kannte den Platz vorher nicht, aber werde in Zukunft sicher regelmäßig herkommen", sagt sie. Umrahmt wird der Mini-Park von einem lieblichen Hotel, dem Kulturzentrum Seidl-Villa und den Uralt-Häuschen, der "Alles Wurscht"-Currywurst-Ecke mit dem fast kitschig schönen Gärtchen und den hinreißenden Betreibern. Hinter Löning steht an einem wuchtigen alten Mietshaus auf einer Tafel eine Erklärung zum Namen des Platzes. Denn dort stand lange Zeit die Nikolai-Kirche, bis sie vor gut 100 Jahren abgerissen wurde.

Bankgeheimnis: Susanne Löning an einem heißen Augustmittag auf dem Nikolaiplatz.

Susanne Löning an einem heißen Augustmittag auf dem Nikolaiplatz.

(Foto: Philipp Crone)

Zwei junge Männer führen junge Hunde aus, sie sehen sich die Brunnenfigur an. Ein Fischer, einen Fisch in der Hand, steht auf einer Erdkugel. Der Tätowierer Alexander Boyko fegt trockene Blätter vor seinem Studio zur Seite, es riecht nach ausgetrocknetem Gras wie in Italien im Hochsommer; nur ein paar Wahlplakate erinnern daran, dass es 2018 ist , sonst könnte man meinen, in einer Idylle von vor hundert Jahren zu sitzen. "Das Haus hier wurde deutlich vor der Seidl-Villa gebaut." Boyko war bis vor Kurzem noch an einem anderen Schwabinger Standort, doch dort wurde abgerissen, neu gebaut, teuer saniert. Hier am Platz gibt es auch eine Baustelle, von Lönings Bank aus gerade noch zu sehen. Das Gebäude, auf dem früher "Telefonbuchverlag" stand, wird saniert. Telefonbücher - nicht einmal Boyko hat noch ein analoges.

"Der Fischer auf dem Brunnen erinnert daran, dass es hier früher sehr viel Wasser gab", sagt Boyko, der sich erkundigt hat, bevor er an den Nikolaiplatz zog. "Als Schwabing vor vielen Jahren noch ein Dorf war, war das hier ein Fischgebiet und es wurde Kies abgebaut. Die Häuser hier waren Handwerkerhäuschen." An diesem heißen Nachmittag im Sommer 2018 kommt kein Kunde vorbei, das Geschäft laufe aber ohnehin über Empfehlungen, sagt er. Der kleine Park sei allerdings für ihn oft hilfreich. Die elf Linden lassen einen Kunden noch einmal in Ruhe nachdenken, bevor er sich vielleicht ein Tattoo stechen lässt. Ansonsten gibt es diverse Rauchpausen-Hocker und jede Menge Hunde-Ausführer.

Boyko sagt: "Das Angenehmste ist, dass man sich hier immer wieder über die Ruhe wundert, so nah an der Leopoldstraße, das macht die Ruhe so greifbar, bewusst und entspannend."

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