Süddeutsche Zeitung

Band der Woche:Ambers

Die Progressive-Metalcore-Band hat ihre Debut-EP "Covariance" veröffentlicht

Von Marietta Jestl

In der Mathematik, genauer gesagt in der Wahrscheinlichkeitsrechnung, gibt es die Kovarianz. Sie beschreibt den Zusammenhang zweier Zufallsvariablen. Und "Covariance" - so heißt auch die am 30. August dieses Jahres erschienene Debut-EP der Metalcore-Band Ambers aus München. Die Bandmitglieder wählten den Titel im übertragenen Sinne. Denn das Bild der zufälligen Assoziation zweier Variablen innerhalb eines Systems lässt sich auch auf die Menschen übertragen.

Der Sänger Peter Lehmkuhl sieht in dem Bild einen Gegensatz: "Da ist auf der einen Seite dieser völlig unwahrscheinliche Zufall unserer Existenz und auf der anderen Seite unsere Unfähigkeit zu handeln - wir machen oft überhaupt nichts daraus." Einige Songs auf "Covariance" haben genau diesen Vorwurf zum Thema: das ewige Ausblenden der relevanten Dinge, die das kurze menschliche Leben so kostbar machen könnten. Das Verschließen der Augen vor den Entwicklungen, die womöglich schneller als gedacht das Ende der menschlichen Spezies bestimmen werden - während der Mensch seine Konzentration egozentrisch auf sich selbst oder auf den Konsum von ablenkenden Medien richtet, und dadurch im lähmenden Nichtstun endet. "Ich denke nicht, dass die Ignoranz oder das Nicht-Wissen um unsere Probleme der Grund ist, warum so wenige Menschen handeln. Wir sind ja alle bestens informiert. Eher ist es das Gefühl der Unfähigkeit, als Einzelner zu agieren. Das behandelt zum Beispiel der Song Paralyzed", sagt Peter, der sämtliche Texte für Ambers schreibt. Die Lyrics wählt er häufig abstrakt und poetisch - dennoch wird beim Hören schnell klar, worauf die Metaphern sich beziehen. Diese Form des gesellschaftskritischen Songwritings gibt der Debut-EP einer noch sehr jungen Band ein hohes Maß an Professionalität.

Ambers fanden über Freunde und soziale Netzwerke zusammen. Jeder mit Erfahrung aus bisherigen Projekten und unterschiedlichsten musikalischen Einflüssen. Es ergab eine Kombination aus Professionalität und einer besonderen Experimentierfreudigkeit, die ihrem Genre eindeutig zugute kommt. Klassischer Metalcore im alten Stil verliert langsam an Interesse. Wegbereiter wie August Burns Red besitzen zwar eine große nostalgische Hörerschaft - seit einiger Zeit ist jedoch das Genre dabei, sich zu öffnen. Bands wie Silent Planet oder Currents stechen durch progressive, technische Elemente hervor. Dass Genregrenzen verschwimmen, stellte der Hörer spätestens fest, als Phil Bozeman, Sänger der Deathcore-Band Whitechapel, dieses Frühjahr erstmals seinen sonst brachialen Vocals eine kaum zu erahnende, seidig-klare Stimme gegenüberstellte.

Auch Sänger Peters stets vom Deathcore geprägter, gutturaler Gesang wirkt als eigenständiges, dynamisches Element, das wie ein Instrument Einfluss auf Stimmung und Rhythmus nimmt. Ambers erschaffen hier eine harte Atmosphäre, der sie dezent aber geschickt eingesetzten Clean-Gesang gegenüberstellen. "Wir mögen Bands, die anders klingen", sagt Benjamin Hoti, der mit Maurice Ernst für den Großteil des Songwritings verantwortlich ist. "Daher kommt auch unser hoher technischer Anspruch." Beide Gitarristen haben eine Vorliebe für komplexe Sounds. "Natürlich wird nicht jeder raushören, dass wir da spezielle, komplizierte Akkorde dabei haben", sagt Maurice, "aber wir denken, dass es mit den Songs trotzdem etwas macht."

Der Support bekannter Bands wie Aborted oder Shokran bot Ambers bereits Chancen, aufmerksame Hörer für sich zu gewinnen. Die Zahl dieser ist im Metal-Publikum oft recht hoch. Derzeit spielen sie so viele Gigs wie möglich, um an Publikum, Routine und Bühnenpräsenz zu gewinnen. Als nächstes sind sie am 23. November im Feierwerk auf dem "Future Progression Fest" zu sehen.

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Quelle:
SZ vom 14.10.2019
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