Theater:Der Alltagswahnsinn von nebenan

Theater: Die eigenen vier Wände: In Thersia Walsers "Kängurus am Pool" blickt man auf die absurde Enge der vergangenen zwei Jahre zurück.

Die eigenen vier Wände: In Thersia Walsers "Kängurus am Pool" blickt man auf die absurde Enge der vergangenen zwei Jahre zurück.

(Foto: Martin Kaufhold)

Mit der Uraufführung von Theresia Walsers "Kängurus am Pool" beginnen die Bayerischen Theatertage in Bamberg. Ein schwebender Abend über schwere Zeiten.

Von Yvonne Poppek, Bamberg

Was ist schon normal? Der Blick in einen voll besetzten Zuschauerraum ist es schon einmal nicht. Zumindest derzeit. Seit zwei Jahren habe es ein volles Haus auf diese Art und Weise in Bamberg jedenfalls nicht gegeben, sagte Sibylle Broll-Pape, Intendantin des ETA Hoffmann Theaters, bei der Eröffnung der 38. Bayerischen Theatertage. Auch das bayerische Branchentreffen mit ausgewählten Inszenierungen von Stadt- und Staatstheatern und freien Bühnen hatte eine lange Pause. 2018 richtete Fürth zuletzt die Theatertage aus. Doch die dürren Jahre sind hoffentlich vorbei. Jedenfalls durchwehte das Gefühl von Aufbruch die Bamberger Spielstätte am Freitagabend. Und zu Beginn setzte Broll-Pape gleich einen starken Akzent mit der Uraufführung von Theresia Walsers Stück "Kängurus am Pool".

Sie sind von Beginn an da, der Pool und die zwei Kängurus. Sie fläzen in Liegestühlen mit einem Cocktailglas samt Palmentrinkhalm in der Hand. Sofort drängt sich das Bild des vorlauten Beuteltiers aus Marc-Uwe Klings "Känguru-Chroniken" auf. Der Film zum Buch kam im März 2020 in die Kinos, wenige Tage war die Welt da noch im Normalzustand, dann kam der erste Lockdown. Die Kängurus sind also ein natürlicher Beginn für das Stück. Ohne dass Theresia Walser auch nur einmal das Wort "Corona" erwähnt, hat sie über diese von Vielem entleerte Phase der wiederholten Lockdowns geschrieben. Alltagsbeobachtungen hat sie da hineingegossen, das Zurückgeworfensein auf eine kleine Welt, die fast nur aus den eigenen vier Wänden, den Nachbarn, der Familie und dem Paketboten besteht. Bei Walser bedeutet das aber keine Tristesse, sie findet die Komik in der Verlorenheit und die Verlorenheit in der Komik. Dabei bildet sie die Ereignislosigkeit ab und den verzweifelten Wunsch, sich aus diesem Zustand zu befreien. Über all dem liegt das Sterben.

Die Existenzen sind am neuen Alltag gescheitert

Walser hat ein paar gescheiterte Existenzen versammelt. Ada nennt sich jetzt "freischaffende Unternehmensberaterin", wobei Marie-Paulina Schendel mit ihren spitzen Tönen und Blicken sofort klar macht, dass dies eine Lebenslüge ist, die die defekte Beziehung zu dem putz-neurotischem Versicherungsmakler Säm nicht retten kann. Das einzige, was sie sich schillernd ausmalt, ist das neue Leben der ehemaligen Nachbarn. Ihr Seifengeschäft florierte, jetzt haben sie einen Pool und Kängurus. Die schmetterlingshafte Tschill von Antonia Bockelmann versucht sich als Clownin, um in die Schweiz auszuwandern. Etwas, das nie sein wird. Daran erinnert sie nur zu gerne die ebenso nüchterne wie liebesbedürftige, längst arbeitslose Architektin Elly von Philine Bührer. Die Drei bilden das Herzstück von "Kängurus am Pool", um sie herum leuchten die Geschichten anderer Bewohner. So etwa jene von Sonja, einstige Lehrerin, die sich vordergründig um ihre dahinsiechende Mutter kümmert und dabei selbst nur noch zwei, drei Monate zu leben hat. Wunderbar derangiert, ebenso hart wie zerrüttet baut Clara Kroneck sie an diesem Abend zu einem Fixpunkt aus. Ebenso wie Stefan Herrmann seinen Paketboten, einen Hornisten ohne Orchester, mehr zum Sammler von Geschichten als zum Verteiler von Päckchen macht.

Theater: Starke Präsenz im Alltag hat der Paketbote ohnehin schon. Jetzt also dann auch auf der Bühne.

Starke Präsenz im Alltag hat der Paketbote ohnehin schon. Jetzt also dann auch auf der Bühne.

(Foto: Martin Kaufhold)

Es sind diese kleinen biografischen Randnotizen, die das Pandemie-Gefühl über der Inszenierung wabern lassen, ohne dass es sie erdrückt. Plötzlich weiß man, wie und wann die Nachbarn ihren Rollladen herunterlassen. Wollte man das? "Bei Ellrods kracht der runter wie eine Guillotine", heißt es im Stück. "Bei Redwans klingt's wie ein Schuss." Ach ja, überall Götter des Gemetzels.

Broll-Pape und ihr wunderbares Ensemble haben für dieses Stück einen guten, sanften Ton gefunden. Wie die Autorin haben sie vieles der Realität abgelauscht. Auf die Bruchstellen blickt man nun als Zuschauer drauf. Dafür hat Trixy Royeck ein herrlich flexibles, reduziertes Mehrfamilienhaus auf die Drehbühne gestellt, so wird man zum Voyeur, schaut dem eigenen Leben zu. Und kann tatsächlich nach zwei Jahren Pandemie auch einmal darüber lachen, über diese verzweifelten Versuche, nicht durchzudrehen. Das ist befreiend.

So weht einen also am Beginn der Theatertage ein Aufbruch an. Hat man da möglicherweise etwas hinter sich gelassen? Praktisch gesehen liegen zumindest noch ein paar Tage Theater vor den Zuschauern in Bamberg, Gelegenheiten, die Spielstätten zu füllen. Bis zum 28. Mai ist eine gelungene Mischung aus Adaptionen, Zeitgenössischem und Klassischem zu sehen, politische Auseinandersetzungen, Kinderstücke und Arbeiten fürs Digitale. "Kängurus am Pool" setzen am Anfang nun ein hübsches Ausrufezeichen hinter das Wort: hingehen!

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