Kritik:Aus dem Baukasten

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Der Tänzer Gonçalo Martins da Silva in "Moving". (Foto: Jan-Pieter Fuhr)

Peter Chus Kammerballett-Uraufführung "Moving" in Augsburg kombiniert Medienkritik und Akrobatik.

Von Sabine Leucht, Augsburg

"Magic!" Irgendwann fällt das Wort, und eine platinblonde Perücke klettert wie von selbst einen Rücken hinauf. Ganz wie es in einer jener Shows passieren könnte, in denen Peter Chu schon selbst getanzt hat. Der amerikanische Choreograf kommt vom Kunstturnen, liebt asiatische Kampfsportarten und war nach seinem Abschluss an der Juilliard in New York Showtänzer bei Celine Dion. Seit 2017 choreografiert er für seine in Las Vegas ansässige Gruppe "chuthis" und andere Kompanien, aber auch für den Cirque du Soleil. Und "Magie", schreibt er im Programmheft seines neuen Stückes "Moving", stecke für ihn bereits in der "Lust, sich einer Erfahrung hinzugeben".

Bei der Uraufführung des Kammerballetts auf der Augsburger Brechtbühne im Gaswerk scheinen die Bewegungen der Tänzer wenig mit jener Form Hingabe zu tun zu haben, die man mit Yoga-Retreats und Wellness-Übungen assoziiert. Chus Tanzsprache ist in erster Linie akrobatisch und kraftvoll, verarbeitet klassische wie Streetdance-Einflüsse und wechselt abrupt zwischen höchster Anspannung und kompletter Erschlaffung des Körpers, der wie Wasser auf den Boden fließt und sich widerstandslos wegschleifen lässt. Jenseits dieser Phasen kann man die Minimalisierung der Anstrengung, die Chu nach eigenen Aussagen anstrebt, allenfalls daran erkennen, dass der Schwung der Bewegungen weitergegeben wird - sei es durch aktive Manipulationen des anderen Körpers oder durch dynamische Kettenreaktionen.

Über fast neunzig Minuten hängt der Abend auch öfter mal durch

Vor zwei Jahren hat sich Chu mit seiner Kurz-Choreografie "Yourface" in Augsburg vorgestellt. Mit großem Erfolg. Das abendfüllende Format ist eher ein gemischtes Vergnügen. Einzelne Sequenzen bestechen durch ihren Detailreichtum und interessante Binnenspannungen. Die Tänzer bewegen sich zuweilen so, als bekämen all ihre Glieder widerstreitende Befehle. Doch über fast neunzig Minuten hängt der Abend auch öfter mal durch. Optisch zusammengehalten wird er von Kostümen im mehrfarbigen Lagenlook und einer Menge mobiler Kisten. Auf der Rückwand zeigen Videoprojektionen unter anderem, wie eine Minecraft-artige Modellstadt wächst und schrumpft. Das Baukastenprinzip dominiert Chus choreografisches Gesamtkonzept und taugt ihm hier auch als Sinnbild für das Digitale und seinen Einfluss auf uns. So erklären sich die zerrissenen, teils fremdbestimmt wirkenden Bewegungen und die Ticks, die die Tänzer immer wieder packen. Aber es geht auch tanztheaterhafter zu. In einer dieser Szenen gibt Brandi Baker mit pinkfarbenem Iro zwei Kollegen einen Atemkurs wie auf Youtube und lädt das Publikum am Bildschirm zum Mitmachen ein (die Premiere wurde zusätzlich live gestreamt). Schließlich lässt sie nachsprechen: "I am everything". Das personifizierte Digitale, das immer mehr Raum einfordert? Wenn Medienkritik verbal aufploppt, bleibt das meist banal. Da hält man sich lieber an den spannungsvollen, scharf konturierten Tanz.

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