Süddeutsche Zeitung

Balkone in München:Wie ein Balkon zur Polit-Plattform gegen Putin wurde

Vom ersten Stock in der Prinzregentenstraße aus protestiert Irina Revina Hofmann gegen Wladimir Putin. Die Lage ist günstig, der Adressat sitzt gleich ums Eck: das russische Generalkonsulat.

Von Julian Hans

Jeden Morgen, wenn die Angestellten des russischen Generalkonsulats zur Arbeit gehen, kommen sie an diesem Balkon vorbei. Und nach dem Dienst verabschiedet sie dieser Spruch in den Feierabend: "Russland, Ukraine, Europa, Syrien - Welt ohne Putin".

Seit fünf Jahren trägt der Balkon direkt gegenüber der Villa Stuck politische Botschaften. Damals, im Winter 2011/2012, protestierten in Moskau und vielen anderen großen Städten Russlands Zehntausende gegen Wahlfälschungen und gegen den Ämtertausch zwischen Dmitrij Medwedew, der vier Jahre Präsident sein durfte, und Wladimir Putin, der nun auf diesen Posten zurückkehren sollte. "Russland ohne Putin" war damals eine Parole der Demonstranten. So stand es auch auf dem ersten Plakat, das Irina Revina Hofmann im Dezember 2011 aufhängte. Sie wollte nicht tatenlos in München sitzen, während ihre Freunde in ihrer Heimat die Bürgerrechte auf der Straße verteidigten.

Und immerhin gab es an der Prinzregentenstraße ja auch Adressaten für ihre Botschaft: "Sie ist vor allem an die Diplomaten gerichtet, die im Konsulat arbeiten", sagt Revina, "und an die Russen, die dort ein- und ausgehen". Dann und wann hat sie das Plakat den Zeitläuften angepasst. Nach der Annexion der Krim wurde aus "Russland ohne Putin" "Russland, Ukraine, Europa ohne Putin". Seit Moskau 2015 Baschar al-Assad seine Luftwaffe zur Unterstützung schickte, zählt Revina auch Syrien auf.

Irina Revina wurde in Moskau geboren. 1989 kam sie nach Deutschland, da hatte Michail Gorbatschow das Land gerade geöffnet. Sie studierte in Köln Kunstgeschichte und Fernsehwissenschaften. Ihre Dokumentarfilme drehten sich oft um russische Themen. Nach dem Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja wandten sich deren Kollegen von der Nowaja Gaseta an Revina. Es gab Fotos des mutmaßlichen Täters, aber die Qualität war schlecht. Ob man mit neuesten Techniken zur Bildbearbeitung, die damals in Russland noch nicht verfügbar waren, doch noch etwas erkennen konnte? Die Münchnerin versuchte zu helfen, daraus erwuchs ein enger Kontakt mit Regierungskritikern in Russland.

Seitdem waren an der Prinzregentenstraße viele Gäste zu Besuch, die Liste liest sich wie ein Who is Who der russischen Opposition: Maria Aljochina und Nadja Tolokonnikowa von Pussy Riot haben hier Station gemacht - wenige Wochen, nachdem sie aus der Haft entlassen wurden, kamen sie zur Premiere eines Dokumentarfilms über die Gruppe nach München. Der bekannte Satiriker Viktor Schenderowitsch bezog bei Revina Quartier und auch Dmitrij Gudkow, der als letzter Abgeordneter bekannt wurde, der sich in der Duma noch der Kreml-Linie widersetzte.

Revina selbst lebt seit einigen Jahren mit ihrem Mann draußen vor der Stadt im Grünen. Die Prinzregentenstraße ist jetzt Gästehaus, der Balkon Ausdruck ihrer politischen Haltung und der Vorgarten ein Ort des Gedenkens. Nach dem Mord am Oppositionspolitiker Boris Nemzow 2015 brachten Münchner Blumen, Kerzen und Plakate vor das Generalkonsulat. Immer wieder wurde die unbequeme Mahnung zerstört. "Also haben wir entschieden, dass wir das Mahnmal bei uns aufnehmen", sagt Irina Revina. "Der Balkon war ja schon da."

Hiebe mit dem Regenschirm

Für die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch veranstaltet Revina regelmäßig Dokumentarfilm-Festivals. Die 52-Jährige trägt gern Hüte und Kleider in leuchtenden Farben, sie hat keine Scheu, aufzufallen und ihre Anliegen vorzubringen. "Manche halten mich für ein bisschen verrückt", gibt sie zu. Zu Veranstaltungen, an denen auch bayerische Politiker teilnehmen, hängt sie sich eine Tasche um, auf der ein Bild ihres Balkons mit dem Plakat prangt. Sie findet es beschämend, wie sich Edmund Stoiber und Horst Seehofer dem russischen Präsidenten anbiedern.

Die allermeisten Passanten reagieren positiv, wie sie berichtet. Einmal hat eine ältere Frau mit ihrem Regenschirm auf das Plakat "Propaganda tötet" eingeschlagen, das neben Nemzows Bild steht. "Die war wahrscheinlich auf dem Weg ins Konsulat, um ihre Rente abzuholen", glaubt Revina. Neulich, als sie gerade die Blumen und Kerzen erneuerte, kam ein junger Münchner auf sie zu und wollte ihr zehn Euro geben. Revina dachte erst, das sei eine Falle, wie sie Oppositionellen in Russland oft gestellt wird: Jemand gibt ihnen auf der Straße Geld oder bittet sie, einen Schein zu wechseln. Dabei werden sie heimlich gefilmt und das Fernsehen zeigt die Bilder dann mit der Aussage, hier würde für Protest gegen die Regierung bezahlt. Aber der junge Mann versicherte glaubhaft: "Ich möchte mich beteiligen."

Unter den russischen Diplomaten hält sich die Begeisterung derweil in Grenzen. Revina ist dort bekannt; jedes Mal, wenn in Russland gewählt wird, lässt sie sich als Wahlbeobachterin für das Konsulat registrieren. Einmal hätten die Mitarbeiter ihr ein Foto gezeigt: "Ist das Ihr Balkon?" - "Ja, natürlich!" - "Wir wundern uns, dass sie überhaupt noch zu uns kommen."

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Quelle:
SZ vom 10.04.2017/bica
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