Die Schauspieler steigen nach und nach auf die Bühne im Theater Hoch X. In ihren Körpern spiegeln sich Verwirrung, Angst und totale Irritation wider. Ihre Bewegungen sind unruhig, zittrig, als ob sie ständig auf der Hut sind. Plötzlich frieren ihre Bewegungen ein – eine kollektive Erstarrung. Es wird sofort deutlich, dass in dieser Welt, in der sie leben, etwas nicht stimmt. „Balance“, ein interkulturelles Theaterstück, inszeniert von Viktor Schenkel, erzählt die bewegende Geschichte zweier junger Menschen auf der Suche nach Gleichgewicht. Eine Produktion des Theaters Grenzenlos, das sich der kreativen Arbeit mit jungen, geflüchteten Menschen widmet.
In dem Stück wird der Junge Nuri ausgewählt, um das Gleichgewicht im Königreich wiederherzustellen. Er begibt sich auf eine Reise und trifft Zada, ein optimistisch und furchtlos erscheinendes Mädchen. Es entsteht eine Freundschaft und gemeinsam durchqueren sie tiefe Gewässer, springen über Schluchten und begegnen ihren Ängsten. Zwei Eimer, die sie ständig über den Schultern tragen – mal der eine, mal der andere, mal beide zusammen – symbolisieren ihre Suche nach Balance – immer auf der Kippe.
Ihre Geschichte wird durch die ausdrucksstarke Körpersprache und Mimik der Schauspieler sowie die stimmungsvolle Musik von Joscha Baltes vermittelt. Das Stück selbst ist wortlos. Doch Worte sind kaum notwendig, um die Emotionen der Protagonisten zu erfassen. Ein schlichtes Bühnenbild, ohne aufwendige Kulissen, Hebebühnen oder Requisiten. Stattdessen wird die Atmosphäre durch das Licht gestaltet – ein orange-braunes Licht, das je nach Szene mal heller, mal dunkler wird.
„Wir sind eine Theaterfamilie“, sagt Viktor Schenkel, der leidenschaftliche Leiter des Theaters Grenzenlos. Seit 2016 bietet das Theater jungen Geflüchteten in München eine Bühne, um ihre Geschichten zu erzählen und ihre Erfahrungen zu verarbeiten. Im Gespräch mit ihm wird deutlich, wie sehr ihm seine Arbeit am Herzen liegt. „Manche Szenen haben in den Proben bei einigen Geflüchteten tiefe Emotionen ausgelöst. Sie erlebten dann ein Déjà-vu von eigenem Erlebtem. Es kann schon passieren, dass es dann einen emotionalen Ausbruch gibt. Man ist dann einfach füreinander da.“
Auch der Vorbereitungsprozess auf ein Stück unterscheidet sich von anderen Theatern. „Der letzte Neuzugang des Ensembles ist erst seit drei Monaten in Deutschland. Viele sprechen kein Deutsch und kaum Englisch. Da ist es natürlich mit der Kommunikation untereinander nicht ganz so einfach. Es passiert vieles durch Körpersprache, Zeit und Geduld“, erklärt Regieassistentin Clara Hanae Tolle. Das Ensemble besteht zurzeit aus acht Schauspielern. Die jüngste, Alina, ist gerade mal 14 Jahre alt.
Jeden Donnerstag gibt es einen Workshop, geleitet von Lara Paschke und Wiebke Dobers, den Choreografinnen von „Balance“, bei dem Geflüchtete die Theaterwelt kennenlernen können. „Manche bleiben und manche gehen eben wieder, wenn es nichts für sie ist“, erklärt Schenkel. „Wir sind kein politisches Theater. Vielmehr ist es mir wichtig, unsere Arbeit als eine Art kultureller Integration zu sehen.“
Balance, Donnerstag, 30. Mai, Dienstag, 4. Juni bis Donnerstag, 6. Juni, 20 Uhr, Mucca, Schwere-Reiter-Straße 2, Dienstag, 18. Juni, bis Donnerstag, 20. Juni, und Dienstag, 25. Juni bis Donnerstag, 27. Juni, 20 Uhr, Mohr Villa, Situlistraße 75, Tickets gibt es hier