Süddeutsche Zeitung

Balan Trinkstube:Tresen von den Stadtwerken

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Zu wenig Platz vor der Kneipe: Doro Wirth durfte auf dem Gehweg keine Bank für die Raucher aufstellen. Doch die Wirtin der "Balan Trinkstube" hatte eine Idee.

Thomas Anlauf

Wenn es Lyriker des Alltäglichen gibt, dann zählt wohl Rocko Schamoni dazu. Der Pop-Literat liebt und leidet mit seiner Heimatstadt Hamburg und lässt in seinem neuen Roman "Tag der geschlossenen Tür" den Antihelden Michael Sonntag über den Irrsinn des deutschen Daseins philosophieren. "Ich gehe zum nächsten Kebabstand, hole mir 'nen Döner und zwei Dosenbier, setze mich auf einen Elektrokasten und nehme mein Abendmahl mit anschließender Zigarette. Wahrscheinlich wird das Rauchen auf Elektrokästen auch bald verboten." Solche Sachen schreibt Schamoni.

Doro Wirth ist auch eine Art Lyrikerin des Alltags. Kürzlich stand die Wirtin der kleinen schrägen "Balan Trinkstube" hinter ihrem Tresen und las Schamonis Buch. Draußen vor der Kneipentür in der Balanstraße standen unterdessen ein paar Gäste, rauchten im Stehen. Wie immer. Und dann kam Doro Wirth diese Idee. Sie besorgte sich bei den Stadtwerken einen dieser hässlichen grauen Verteilerkasten. Der steht jetzt ebenfalls vor der Tür. Und die Kneipengäste außen rum.

Die Geschichte ist nämlich die: Seit zwölf Jahren betreibt Doro Wirth ihr kleines Lokal in Haidhausen mit dem verbeulten Bullerofen und dem berühmten Toilettenfoto von Frank Zappa. Es ist irgendwie heimelig dort drin. Draußen vor der Tür darf aber keiner ihrer Gäste sitzen, das haben die Behörden verboten. Denn der Gehweg ist an dieser Stelle der Balanstraße um eine halbe Steinplatte zu schmal, um auch noch eine Freischankfläche genehmigt zu bekommen. In München wird diese Fläche bekanntlich mit weißen Klecksen markiert.

"Abartig", sagt Wirth. Nicht einmal die selbst gebastelte Bank - ein altes schmales Brett auf zwei hochkant gestellten leeren Bierträgern - darf sie eigentlich für ihre Draußenraucher aufstellen. "Ich hatte schon überlegt, einen Stuhl mit weißen Punkten an Nylonfäden zu basteln", sagt sie. Bürokratie, sowas macht sie wütend.

Bei den Stadtwerken hat sie mit Freunden angefragt, ob sie einen der mausgrauen Kästen für eine Performance haben könnte. Nach einigem Hin und Her bekam sie einen Verteilerkasten, zunächst für zwei Wochen. Zeitgleich schickte Doro Wirth eine Mail an Rocko Schamoni: Angeregt durch das in dessen Buch beschriebene "Raucherlebnis" habe sie sich entschlossen, einen Elektrokasten "als Freischankfläche vor dem Balan zu nutzen". Und fügt hinzu, ob er, der Autor, Lust habe, "sowas wie eine Patenschaft für den Kasten zu übernehmen".

Schamoni hatte Lust: "Ich bin am Freitag in München und könnte da Ihren Kasten einweihen, wenn Sie das wünschen - Ihr Pate." Kasten-Pate Schamoni konnte dann leider doch nicht, der Ansturm auf ihn nach der Lesung im Amerikahaus war zu groß. Aber seither hängt in der kleinen Trinkstube eine Urkunde an der Wand. Darauf steht: "Herr Rocko Schamoni bekundet mit der Zeichnung der Urkunde die Übernahme einer Patenschaft für einen Verteilerkasten Standort Balanstraße."

Der Verteilerkasten vor der Tür wird übrigens von den Gästen gern als zweiter Tresen angenommen. Beklebt ist er bereits mit St.-Pauli-Aufklebern und Passagen aus dem neuen Buch des Paten: "Ich vermute", heißt es da, "dass man bald nur noch auf Elektrokästen rauchen darf, auf denen nicht gegessen werden darf. Und auf denen gleichzeitig keine Kinder sitzen."

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Quelle:
SZ vom 26.04.2011
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