Die Lücke, die geschlossen werden soll, ist nur einige Meter lang und sorgt dennoch für große Verunsicherung. Sie liegt zwischen einem bestehenden Güterverkehrsgleis und einem Abstellgleis, auf einem Brachland in der Lerchenau. Da die Gleisstrecke die Feldmochinger Bahnstrecke mit dem Münchner Nordring verbindet, wird sie "Feldmochinger Kurve" genannt. Jahrelang wurde diese Strecke nicht befahren, nun möchte die Deutsche Bahn sie wieder nutzen. Im 24. Stadtbezirk fürchtet man nun, dass der Lückenschluss mehr Zugverkehr bedeutet - und damit erheblich mehr Lärmbelastung.
Bereits im vergangenen Herbst entdeckte der Bezirksausschuss (BA) im Entwurf zum Verkehrskonzept für den Münchner Norden die Erwägung, die Kurve zu reaktivieren, und lehnte das ab. Die Bahn möchte mit dem Lückenschluss den Zugang zu einem neu geplanten Stellwerk in Milbertshofen erleichtern. Der BA-Vorsitzende Markus Auerbach (SPD) ist diesen Planungen nachgegangen und hat seine Ergebnisse jetzt öffentlich gemacht. Aus seiner Sicht muss die Reaktivierung in einen größeren Zusammenhang gestellt werden.
Denn wie Auerbach recherchiert hat, könnte sich der Güterverkehr durch München erhöhen, weil die Europäische Union den Verkehr zwischen Skandinavien und der Adria optimieren möchte. Um bestehende deutsche Bahntrassen zu entlasten, baut die Bahn eine zusätzliche Route, die über Magdeburg in Richtung Regensburg läuft. Noch ist unklar, wie stark der Verkehr dadurch wächst. Nach einem Plan der DB Netz AG von 2012 könnten rund 40 zusätzliche Güterzüge über diesen neuen Ostkorridor fahren.
BA-Mitglied Auerbach vermutet außerdem, dass auch mit Fertigstellung des Brennerbasistunnels im Jahr 2025 mehr Güterverkehr durch München rollt. Laut einem Bahnsprecher sei es allerdings Ziel der Bahn, den ohnehin schon stark ausgelasteten Knoten München im Zusammenhang mit dem Brenner-Nordzulauf nicht noch mit weiteren Güterzügen zu belasten.
Im bestehenden Münchner Zugverkehrsnetz würde der Lückenschluss der Bahn einen Vorteil verschaffen. Bisher sind die aus dem Norden kommenden Züge gezwungen, dem Gleisverlauf in Richtung Allach zu folgen. Züge, die eigentlich auf den Weg nach Süden sind, müssen darum umständliche Umwege nehmen: Entweder sie fahren in den Rangierbahnhof München Nord, wechseln dort die Fahrtrichtung und gelangen so auf den Nordring. Oder sie nehmen den Südring, die Strecke, die von der Stammstrecke über Sendling und Giesing zum Ostbahnhof verläuft.
Würde die Feldmochinger Kurve zustande kommen, könnten sich die Bewohner der Innenstadt also freuen, ihre Belastung würde verringert. Falls nicht, würde der zusätzliche Verkehr wohl wie bisher durch ihr Viertel donnern. Lärmschutzmaßnahmen hat die Bahn in Giesing in den letzen Jahren ausgeführt, die Lärmsanierung der Braunauer Eisenbahnbrücke läuft derzeit.
Nicht nur der 24. Stadtbezirk könnte also von zusätzlichen Verkehrslärm betroffen sein: Schließlich verläuft die Strecke auch durch Orte im Norden wie Oberschleißheim, Unterföhring sowie durch den Osten, durch Trudering und Riem. Bloß: "Die östlichen Viertel sind sensibilisiert", sagt Auerbach. "Dort gibt es einen Vorbehalt: Bei Gleisausbau muss auch mehr Schallschutz kommen."
Der Ausschreibung für die Kurve zufolge ist auch eine Verlängerung des bestehenden Lärmschutzes geplant, wobei Anwohner sich fragen, wie diese Maßnahme konkret ausfallen wird. Sie bemängeln schon jetzt die bestehenden Schutzwände, die nur zur Westseite die Belastung durch den Zugverkehr eindämmen. Etwas Hoffnung macht Auerbach und den Bewohnern außerdem eine Alternativ-Route, die ab Landshut nicht in Richtung München, sondern östlich der Stadt über Mühldorf verläuft. Ob sie tatsächlich als Abzweig benutzt wird, ist ebenso noch fraglich.
Derzeit erarbeiten zwei Münchner Ingenieurbüros die Entwürfe für den Lückenschluss. Sobald sie mit ihrer Arbeit fertig sind, werden die Pläne dem Eisenbahn-Bundesamt (EBA) als Aufsichtsbehörde zur Prüfung vorgelegt werden. EBA und die Regierung von Oberbayern müssen dann entscheiden, ob ein Genehmigungs- und ein Planfeststellungsverfahren folgen, bei dem Betroffene Einwände vorbringen können.
Dabei würde auch die Landeshauptstadt München ein Wörtchen mitzureden haben: Der Stadtrat wird die Kurve nach aktueller Planung im Herbst diskutieren, das Planungsreferat recherchiert derzeit Vor- und Nachteile der Reaktivierung. Dabei wird vor allem auch der Lärmschutz eingehend geprüft.
Eine Rolle könnte außerdem ein Urteil des Münchner Landgerichts vom vergangenen August spielen. Das Landgericht hatte die Deutsche Bahn damals aufgefordert, auf dem gesamten Nordring die Lärmbelastung zu vermindern. Hintergrund: Kurioserweise konnte die Bahn keine Betriebsgenehmigung für die Strecke vorweisen, da diese wohl in den Kriegswirren verloren gegangen sei. Das Gericht wertete die Strecke darum als Neubau, bei dem ausreichender Schutz verpflichtend ist; und zwar nicht nur "passiv", also durch Baumaßnahmen wie Schutzwände, sondern auch "aktiv", mit Maßnahmen wie häufigem Schleifen der Gleise oder verminderter Fahrgeschwindigkeit. Die Bahn ging in Berufung, wann das Verfahren am Oberlandesgericht stattfindet, steht noch nicht fest.
Trotz aller Hürden und Unklarheiten: In der Lerchenau macht sich langsam aber sicher Unruhe breit, vor allem weil einige Wohngebiete nur wenige Meter von den Gleisen liegen. "Der Transrapid ist weg, und jetzt kommt die nächste Sache", merkt eine Bewohnerin an. Die vielen offenen Fragen möchte BA-Chef Markus Auerbach bei einer öffentlichen Veranstaltung im Viertel klären, an der ein Vertreter der Bahn teilnimmt. Ein Bahnsprecher sagte, bei einer Einladung werde die Bahn sicherlich einen Vertreter schicken.