Was ist schon wahr, wenn es um Boygroups wie die Backstreet Boys geht? Einen Musikkritiker sollte man da besser nicht fragen. Der würde es wohl für richtig befinden, mal wieder Howie Dorough einzutunken. Jenen selbst eher blassen Howie D, der angeblich Trump toll findet, weil der "Eier" habe, und der jetzt in München über die Instagram-Aktion "Howie Eatz" Privat-Imbisse mit sich an die Fans verhökert hat. Oder der Kritiker würde sich wundern, warum Kevin Richardson über die Medien vor einer nuklearen Bedrohung und einem neuen Kalten Krieg warnen muss, als würde da irgendein Geheimdienst irgendwas verschweigen. Band-Boys, selbst biologisch gereifte, so würde man altklug empfehlen, sollten politisch nichts sagen und sich auf ihre immer gleichlautenden und -klingenden Songs beschränken: "Verdammt ich lieb' dich" oder "Ich lieb' dich nicht mehr (oder vielleicht doch noch)."
Kritiker würden beim ersten von zwei ausverkauften Konzerten der US-Boys in der Olympiahalle über die Kostüme scherzen, als hätten die eine Gruppe verhaltensauffälliger Ghetto-Kids im Handarbeitskurs mit allerlei Badges, Blingbling, Bändchen, Netzstoff und Militärabzeichen aufgemotzt. Man könnte (der Hip-Hop- und Elektro- und Boyband-Kultur unkundig) das Fehlen von Instrumenten auf der Bühne anmahnen und beim A-Cappella-Teil ("Breath") die leichten Lippen-Unstimmgkeiten zum Gehörten. Ach, und was bitte soll der Kirchenfenster-Bildschirmschoner zu "Quit Playing Games With My Heart" oder der leuchtende Kitsch-Wasserfall auf der dunklen Insel der Einsamkeit?
Sogar Joshua Kimmich wurde gesichtet
Nun, wer in den Neunzigern genau so ein Poster in seinem Jugendzimmer hängen hatte, wird es wissen. Und nur diese mitgereiften Mädchen und Buben (ja, durchaus, sogar Joshua "kreisch" Kimmich wurde gesichtet und wie andere Bayern-Kicker von der Bühne gegrüßt. Neid!), die definitiv am lautesten kreischenden Fans irgendeiner Boyband überhaupt, haben Recht.
Wenn sie sagen, dass alle fünf mit 42 (Nick) bis 51 (Kevin) noch süß sind, noch spektakulär mit ihren Stimmen und Streetdancemoves durcheinander wirbeln. Ein Bassvibrieren kündigte Großes an, als würden gleich fünf T-Rexe auf die Bühne stampfen. Und von Anfang an schnurrte und herzpumperte alles ab wie in einem Teenager-in-Love-Film. 33 Singalongs in zwei Stunden. Es waren die schönsten Publikums-Chöre ("Show Me The Meaning of Being Lonely", "Incomplete", "Shape of My Heart") und die ekstatischsten Kollektiv-Ausraster im Disco-Laser-Blitzgewitter ("Get Down", "Larger Than Life", "Everybody" in weißen Dandy-Anzügen auf der in den Hallenhimmel gefahrenen Mittelbühne) der besten Fans der Welt, wie ja wohl Nick Carter bestätigt hat! Ach, der Nick! Auch der Brian hat richtig viel gesagt und lustig gegrinst wie immer. Und A.J. spürte es auch, "die verrückte Energie", und die "viele Liebe in diesem Raum heute Nacht".
"Wir machen Party, als ob 1999 wäre", freute sich der Kevin, fesch im Highlander-Look. Und süß, wie der Kevin mal nebenbei die Fans in der ersten Reihe mit deren Handys filmte, und wie sexy er und Nasenring-Halstattoo-A.J. sich hinter einem Paravant auszogen, und wie lustig sie dann als Revanche "für damals" ihre pinken und petrolfarbenen Unterhosen in die Menge warfen. Von zwei Fans kamen ein rosa und ein schwarzer Schlüpfer zurück, den A.J. ganz verrucht mit dem Zeigerfinger kreiseln ließ. Ein ironisches Spiel, wissen Mädels wie Boys heute längst.
Einen bitter-süßen Moment gab's aber doch, nämlich als die Band zu "No Place" vom aktuellen, neunten Album "DNA" glückliche Filmchen ihrer Spielerfrauen und Kinder zeigte. "Wir haben Familien gegründet, ihr habt Familien gegründet", sagte Kevin da, und man hörte manches Herz klirren. Da holte die Wirklichkeit die Teenager-Träume ein, das schmerzte ein bisschen, ist aber auch richtig und gehört zum Erwachsenwerden dazu.