Backstreet Boys in München:Ein bisschen Boyband, ein bisschen Banane

Die Backstreet Boys in München.

Alright! Die Backstreet Boys sind wieder da und wir sind dabei. Kevin, Howie, AJ, Brian und Nick (v.l.n.r.) in der Olympiahalle.

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

"Are you ready to party like it's 1999?" Und alle so: Kreisch! Die Backstreet Boys feiern ihr 20-jähriges Bandjubiläum in München. Zwei erwachsen gewordene Fans waren da und fragten sich: Reicht die Puste noch für Singen und Tanzen?

Aus der Olympiahalle von Felicitas Kock und Johanna Bruckner

Das Gefühl vergangenen Ruhms, der ungewohnte Umgang mit Musikinstrumenten und das Tanzen wilder Choreografien mit Anfang vierzig - die Backstreet Boys (BSB) können von all dem ein Liedchen singen. Würde man eine ganze Platte daraus machen, klänge sie in etwa so: ein "Best Of BSB" vom Tourstart in München.

Backstreet's Back

Alright! Die Backstreet Boys sind wieder da und wir sind dabei. Wir hören inzwischen meistens Indie und "so Singer/Songwriter-Sachen", auf jeden Fall nichts, was in den Charts läuft. Gelegentlich gehen wir auf Bad-Taste-Partys und tanzen zu BSB, 'N Sync und Britney Spears - mit einem ironischen Grinsen im Mundwinkel, weil wir das natürlich nicht ernst meinen. Wir, das sind vor allem Frauen oder Pärchen zwischen Anfang 20 und Ende 30, die jede Liedzeile mitsingen können und irgendwo im alten Kinderzimmer bei Muttern noch drei alte BSB-CDs liegen haben. Das würden wir aber nie zugeben.

So gesehen ist das Konzert in der Münchner Olympiahalle am Montagabend nichts anderes als eine zu groß geratene, weit in die Nullerjahre hineinreichende Neunzigerjahre-Party. Die Musik ist der Soundtrack unserer Jugend - wer BSB hörte, las Bravo und sprühte sich Deo mit Vanillegeruch unter die Achseln. Dass das 15 Jahre her ist, macht das Konzert neben der Ironie- auch zur Nostalgie-Veranstaltung. Und insgeheim fragen sich wohl viele, was sie hier eigentlich machen. Vor allem, als Nick Carter, AJ McLean, Brian Littrell, Howie Dorough und Kevin Richardson in weißen Anzügen und mit schwarzen Lackschuhen auf die Bühne kommen und dabei wirken wie die Protagonisten eines Hollywoodfilms über ein paar ältere Herren, die früher mal eine Boyband waren und es jetzt noch mal wissen wollen. Die Lichteffekte, das massive Bühnenbild, die anfangs noch etwas steif dargebrachte Choreografie, das Wissen, dass das da vorne erwachsene Männer sind - all das macht den Auftritt in den ersten Minuten befremdlich.

I Want It That Way

Es drängt sich auch die Frage auf, warum die sich das antun. Können sie nicht nur verlieren? Schließlich waren sie eine Zeit lang "Larger Than Life", verkauften 1999 innerhalb einer Woche mehr als eine Million Alben ihrer Millennium-Platte und brachen damit sämtliche Rekorde. Was soll also noch kommen?

"Wir haben akzeptiert, was wir sind - unsere größten Erfolge waren in den späten Neunzigern und frühen 2000ern", sagte Howie Dorough kürzlich in einem Interview mit dem Rolling Stone. So tun, als wären sie selbst noch Teenager, können sie schlecht, das würde ihnen niemand mehr abnehmen. Andererseits wollen die Menschen in der Halle gerade die Hits von damals hören, das wird klar, als die Band Lieder wie "Quit Playing Games With My Heart" anstimmt und die Wände durch das Gekreische der Massen erzittern.

Das eigene Älterwerden mit dem Verlangen der Fans nach "ihren Backstreet Boys" zu vereinen, ohne dabei total Banane zu wirken - kein leichtes Unterfangen. Doch die Band will es so und hat einen Weg gefunden, damit umzugehen. "Wir können uns über uns selbst lustig machen. Wir lachen mit den Leuten statt ihnen dabei zuzusehen, wie sie über uns lachen", sagt Howie. Das neue Erfolgsrezept scheint aufzugehen.

We've Got It Goin' On

Auf den beiden Großleinwänden im Bühnenhintergrund fläzen die Backstreet Boys in Sesseln und rätseln, wer denn nun der Lustigste von ihnen sei. Nick Carter bewegt in dem zweiminütigen Video-Clip, der den ersten Kostümwechsel überbrückt, nur wortlos die Augenbrauen - und die Halle kreischt. In diesem Moment, als die Band gar nicht physisch anwesend ist, ist sie plötzlich wieder spürbar. Jene hysterische Magie zwischen Fans und Idolen, die die fünf Jungs aus Orlando zu Weltstars gemacht hat. "Es ist sehr schön, euch wiederzusehen", sagt Kevin auf Deutsch, als er auf die Bühne zurückkehrt. "Wir haben euch sehr vermisst!" Und dann fragt er in seiner Muttersprache: "Are you ready to party like it's 1999?"

Diese Frage ist mitreißender als alle Songs zuvor, auf einmal stehen auch die, die bisher sitzengeblieben waren. Und dann diese Zeile: "Everybody groove to the music/ Everbody jam/ Aaaahhhh..." Dazu der unverwechselbare, knarzig-knallende Beat des ersten großen BSB-Hits (1995), den in den Achtzigerjahren Geborene für immer mit ihrer Jugend in Erinnerung bringen werden. Selbst der Umstand, dass da Männer Mitte/Ende dreißig (Nick, AJ, Brian) beziehungsweise Anfang vierzig (Howie, Kevin) zur Choreografie tanzen, wirkt jetzt passend.

"Die Backstreet Boys sind einfach die beste Boyband der Welt - und ich schäme mich nicht, das zu sagen", sagt ein junger Mann, der mindestens so enthusiastisch auf den Rängen tanzt wie seine Freundin. Ja, they still got it goin' on.

Brian Littrel von der US-amerikanischen Band Backstreet Boys in München.

Brian Littrel von der "besten Boyband der Welt" beim Auftritt in München.

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

The One

Das erste Wort, das Nick den Fans zuruft, ist: "Scheißeee!" Das meint der 34-Jährige durchaus nicht despektierlich, er ist vielmehr überwältigt, dass die Halle bis auf den letzten Platz - so zumindest seine Wahrnehmung - besetzt ist. Eigentlich ist es aber auch egal, was Nick sagt oder nicht sagt (siehe: wortlos hochgezogene Augenbrauen), und wie er meint, was er sagt. Seine Anhängerinnen goutieren alles mit: Kreischen. Der Jüngste der Fünf war und ist der Frauenschwarm, vielleicht auch, weil er sich optisch am wenigsten verändert hat und weil er der einzige ist, der noch keine Familie gegründet hat.

Gut, da war diese Sache mit Paris Hilton (die beiden waren medienwirksam verlobt), und wenn Nick heute sein Rippshirt hochziehen würde, käme darunter wohl kein Waschbrettbauch mehr zum Vorschein (deshalb tut er es ja auch nicht). Aber im Großen und Ganzen hält die Projektionsfläche nostalgischen Träumen entwachsener Mädchen noch stand. Vielleicht gibt es ihn ja doch, den Einen, und wäre es nicht schön, wenn er gerade da vorne auf der Bühne stünde?

Nick spielt mit der Gitarre herum - nicht darauf

AJ McLean reflektiert sein einstiges Image als Draufgänger - erdacht vom findigen Boyband-Macher Lou Pearlman - heute ironisch. "The original bad boy is back!", brüllt er zur Begrüßung in die Halle. Anders Nick Carter: Er kann nichts besser, als Mitglied einer Boyband zu sein. Und er will auch gar nichts anderes sein, so scheint es. Er spielt leidenschaftlich mit einer E-Gitarre herum (wohlgemerkt nicht darauf). Er tanzt und dreht Pirouetten. Er legt sich flach auf den schmalen Bühnensteg zwischen den Fans und wehrt die sich nach ihm reckenden Hände nicht ab. Und als an einer Stelle eine Gruppe Fans auf die Bühne geholt wird, rennt er als Erster hin und umarmt jeden Einzelnen. Für einen Abend macht Nick Mädchenträume wahr.

Nick Carter von den Backstreet Boys in München.

Nick Carter mit Gitarre.

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Show Me The Meaning Of Being Lonely

Wenn die Backstreet Boys früher mit seelenvollen Blicken von unerfüllter Liebe, Einsamkeit und Sehnsucht sangen, sprachen sie damit vor allem ihren Fans aus dem Herzen. Wenn Howie heute "I have no place to go" (aus: "Show Me The Meaning Of Being Lonely") ins Mikrofon schmalzt, sich mit der Hand ans Herz fasst, dann tut es ihm die versammelte Halle immer noch nach. Doch die Backstreet Boys sangen ihre Balladen vielleicht noch nie so ehrlich wie heute: Denn: Wo sollen sie hingehen, wenn nicht auf die Bühne? Ist das Vergessenwerden nicht tatsächlich die schlimmste Art der Einsamkeit? Und wer ist hier und heute "Incomplete" ohne den anderen - Fans oder Künstler?

Die Mitglieder anderer Boybands haben erfolgreiche Solokarrieren gestartet: Robbie Williams ist ohne Take That ein größerer Star als mit und auch Ronan Keating war in der Boyzone-Pause leidlich erfolgreich. Vergleichbares ist Nick, AJ, Brian, Howie oder Kevin nicht gelungen. "Wir sind Familie, Brüder, Freunde", sagt Brian - was bleibt ihnen auch anderes übrig? So begeben sich die Backstreet Boys zum 20-jährigen Bandjubiläum einmal mehr auf Deutschland-Tournee. Die deutschen Fans waren ihre ersten Fans und mit die treuesten, das wissen die Fünf und danken es ihnen. "We're going to play all your favorites", verspricht Kevin. Liebe liegt in der Luft.

In A World Like This

Aber kann eine Gruppe auf Dauer überleben mit alten Songs und Selbstironie? Was macht eine Boyband von damals in der heutigen Welt? Ein paar neue Lieder mit weniger bombastischem Sound vielleicht. Die sind im besten Fall noch selbst geschrieben, wie "Show 'Em", das Kevin und AJ ihren Kindern gewidmet haben. Sie hätten zum ersten Mal alle zusammengesessen und die Lieder für die neue CD komponiert "wie eine richtige Rockband", wird Kevin in einem Zeitungsartikel zitiert. Solche Sätze machen heimliche Fans, die heute "so Singer/Songwriter-Zeug" hören, glücklich.

Ein paar Instrumente schaden ebenfalls nicht - auch wenn Nick weiß, was die Fans denken müssen: "Eine Boyband mit Instrumenten, wo gibt's denn sowas?" witzelt er, als die Band nach einer Pause mit Gitarre, Bass und Keyboard auf die Bühne zurückkehrt. Doch die Erklärung ist einleuchtend:"Wir müssen uns schließlich eine Lösung für die Zeit in 20 oder 30 Jahren überlegen, wenn wir nicht mehr so gut die Hüften kreisen können wie heute".

Breathe

Nicht nur die Bandmitglieder machen sich Sorgen um Alterserscheinungen. Auch bei den Fans ist jugendlicher Leichtsinn erwachsenem Vorsichtsdenken gewichen: Sollte Brian wirklich vom höchsten Punkt der Bühne gut zwei Meter in die Tiefe springen? Er hat doch was am Herzen, das war damals ganz groß in der Bravo. Und dann ist da ja noch die Doppelbelastung Singen und Tanzen ...

Am Ende reicht die Puste sogar noch für zwei Zugaben, dann geht das Licht an - und es ist wieder 2014. Beim Rausgehen sagt eine junge Frau zu ihrer Freundin: "Sie haben sich immer wieder Pausen gegönnt zwischendurch." Freundin: "Das brauchen die jetzt auch!" Und nach einer kurzen Stille wiederum die erste: "Aber geil war's, richtig geil ..."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: