Backstage:Mit einem Grinsen im Gesicht

Auch die Künstler, die alle ohne Honorar auftreten, genießen den Abend - als Rückzugsort steht ihnen ein gemeinsames Zelt zur Verfügung

Von Michael Zirnstein

Das Wir-Gefühl macht sich auch unter den Künstlern breit. "Der Joko Winterscheidt hat mich begrüßt und umarmt. Dabei haben wir uns gar nicht gekannt", sagt Sebastian Horn, "alle sind unglaublich entspannt." Der vollbärtige Sänger von Dreiviertelblut allerdings wirkt etwas nervös, die Blase drückt. Mit seiner Hauptband, den Bananafishbones stand er schon vor ähnlich großen Massen auf der Bühne, aber heute ist eine Premiere: Mit dem Filmmusiker Gerd Baumann hat er für ihre Moritaten-Combo das Lied "Mir san ned nur mia" geschrieben, das Titellied für die BR-Spendengala, das auch dem Open-Air das Motto gibt. "Meinen Kinder in Lenggries ist das alles ganz egal, woher ihre Freunde kommen", sagt Horn. Alles wachse zusammen, nur eins werde wohl anders sein: "Auf der Straße werdens a lustigs Boarisch redn." Mit dieser Zeile aus dem Lied werden sie gleich auf dem Königsplatz eröffnen, zusammen mit Dieter Reiter als Aushilfs-Gitarrist. "Wir spielen nicht mit jedem Oberbürgermeister", sagt er vor dem Künstlerzelt rechts vom Haupteingang und der Bühne.

Am Abend zuvor hatte Horn noch einen Auftritt bei der Gala von Hannes Ringlstetter im Circus Krone, wie auch die Hauptorganisatoren des Wir-Festivals: Peter Brugger von den Sportfreunden Stiller und Till Hoffmann, der vor dem Künstlerzelt etwas angespannt wirkt. Es ist die größte Veranstaltung, die der Kleinkunst-Macher bisher organisiert hat. "Eine Monsterleistung, was die hier in zwei Wochen auf die Beine gestellt haben", lobt Horn.

Während der Sänger dem Auftritt entgegenfiebert, der sich wegen des Andrangs verzögert, laufen die Hip-Hopper von Blumentopf in den Backstage-Bereich. Unbedrängt. Alles ganz locker. Keine Autogrammjäger in Sicht, die Fans stehen längst vor der Bühne. "Die Atmosphäre ist total familiär", findet Señor Burns, der Münchner Siebdruckkünstler, der die Plakate und das Art-Work fürs Festival gemacht hat, "aber irgendwie haben sich ja auch alle gegenseitig eingeladen. Alle laufen mit einem Grinsen im Gesicht herum."

Für die Medien gilt backstage: Wir müssen leider draußen bleiben. Das musste Marc Liebscher, der Manager der Gastgeber Sportfreunde Stiller, den Künstlern zugestehen. Anders als bei anderen großen Festivals gibt es keine Einzelkabinen zum Zurück- oder Umziehen. Deswegen sollen sie wenigstens im Zelt ein wenig Ruhe haben und unter sich bleiben.

Immer wieder treten Künstler heraus, um Fernsehteams von BR, N24 oder Sat.1 Interviews zu geben. Warum er hier sei, wiederholt der Comedian Michael Mittermeier die Frage der Reporterin. "Damit ich mit zwei Millionen Euro nach Hause gehe." Natürlich nicht, er sei ehrenamtlich hier, wie alle. "Für mich war das keine Frage." Er sei schon als Jugendlicher bei Demos auf diesem Platz gestanden und habe die Faust gegen die Mächtigen gereckt. Dann redet er sich in Rage gegen all die "Das wird man wohl noch sagen dürfen"-Sager.

Auch Joko Winterscheidt ist gefragt, nicht nur als Interview-Partner. Gerade bittet ihn das Refugee-Aid-Team der Volksküche München zum Erinnerungsfoto. Der Circus-Halligalli-Moderator macht gerne mit, auch er lächelt, mehr gerührt als professionell. Er fühlt sich ganz zu Hause - was vielleicht auch daran liegt, dass er gerade von Berlin nach München gezogen ist, wie er später auf der Bühne sagen wird. Dorthin, wo das Wir großgeschrieben wird.

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